Kapitel 17

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Sobald wir im Auto saßen, schwiegen wir. Mir fiel kein Gesprächsthema ein. Es war nicht so, dass ich generell etwas gegen Stille hatte. Aber ehrlich gesagt schon. Möglichst unauffällig hob ich meine Hand und schaltete das Radio ein. Nicholas beschwerte sich nicht, also drehte ich es noch etwas lauter und sah dann aus dem Fenster. Hoffentlich waren wir bald da.

Als wir vor meiner Haustür standen, wünschte ich, die Autofahrt hätte länger gedauert. Ich atmete tief durch, bevor ich klingelte und aufschloss. Nachdem mich meine Mom mal erwischt hatte mit meinem Date, ging sie auf Nummer sicher und machte sich sehr deutlich bemerkbar, wenn sie nach Hause kam. Ich hatte das einfach übernommen, auch wenn ich sehr hoffte, dass es theoretisch nicht nötig wäre.

Kaum standen wir im Flur, kam Mom aus der Küche. „Noah! Nicholas!" Sie umarmte uns überschwänglich. Wieso fühlte ich mich plötzlich, als würde ich ihr meinen Freund offiziell vorstellen und nicht, als hätte ich einen Freund zu Besuch?

„Ihr seid früher da als gedacht, aber das macht nichts. Ich brauche nicht mehr lange, zeig Nicholas so lange doch alles, mein Schatz." Sie verschwand wieder in der Küche, völlig unberührt von der Seltsamkeit der Situation.

Ich deutete ungelenk auf die Garderobe, während ich meine Schuhe abstreifte. Nicholas herumzuführen war viel zu persönlich, ich wollte das nicht tun. Mir fiel aber leider keine gute Ausrede ein, also ging ich zur Treppe, deutete währenddessen auf das Wohnzimmer, murmelte: „Wohnzimmer" und plante, das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

Als ich im ersten Stock war, fiel mir auf, dass Nicholas auf der Treppe stehen geblieben war.

„Ist das von dir?", Nicholas deutete auf die Urkunde.

Die Frage war überflüssig, ich wusste, dass mein Name draufstand. Meine Wangen wurden warm, ich starrte auf meine Fußspitzen.

„Ist nichts Besonderes, habe ich mit acht oder neun oder so für einen Talentwettbewerb bekommen", meine Stimme klang zu leise. Warum musste Mom auch so nostalgisch sein und den Kram aufbewahren?

„Was hast du aufgeführt?"

Kurz überlegte ich, zu lügen, oder auszuweichen. Mir fiel auf die Schnelle aber nichts ein, also musste ich wohl ehrlich sein: „Habe Geige gespielt."

„Du kannst Geige spielen?" Nicholas wirkte überrascht. Kein Wunder, die meisten wären vermutlich überrascht, wenn sie das erfahren würden.

„Spielst du noch?"

Ich schüttelte meinen Kopf, fühlte mich mehr als unwohl. Daran wollte ich wirklich, wirklich nicht denken.

„Warum nicht?"

„War einfach nicht das Richtige. Komm, ich zeig dir mein Zimmer."

Zum Glück ließ Nicholas das Thema jetzt in Ruhe. Hoffentlich blieb es auch dabei.
Ich war nicht besonders unordentlich, also war spontaner Besuch kein Problem.

Nicholas sah sich neugierig um. Sein Blick fiel auf die Regenbogenflagge, die über meinem Bett hing. „Ist das die Lichterkette, die du bei Ikea gekauft hast?"

„Mh-Hm. Warte kurz." Ich ging an ihm vorbei zu meinem Nachttisch und holte Kai.

Dann gab ich die kleine Pflanze in dem übergroßen Topf Nicholas. „Hier. Du kannst dich jetzt persönlich davon überzeugen, dass dein Namensvetter noch lebt."

„Das freut mich. Aber da fehlt noch was." Nicholas ging zu meinem Schreibtisch und setzte sich hin, vollkommen entspannt, als wäre er schon hundert Mal hier gewesen.

„Hast du noch deine Geige?" Nicholas saß mit dem Rücken zu mir, weshalb ich nicht sehen konnte, was er gerade tat.

Mich verwirrte, dass er auf dieses Thema zurückkam. „Keine Ahnung, vielleicht hat meine Mom sie mit der Zeit auch entsorgt", eine glatte Lüge. Sie würde das nie tun und bis jetzt hatte ich es auch nicht übers Herz gebracht. Sie war tief in meinem Schrank vergraben.

Never enoughWhere stories live. Discover now