Kapitel 31

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Ich zog die Autotür erleichtert hinter mir zu und atmete das erste Mal seit Stunden richtig durch. Obwohl wir erst kurz vor dem Essen bei Nicholas' Eltern angekommen waren und praktisch direkt danach wieder los sind, sind wir eine ganz schön lange Zeit da gewesen. Aber Essen mit einer großen Familie war auch deutlich unruhiger und lauter, als wenn man nur zu zweit an einem Tisch saß und sich ein bisschen vom Tag erzählte.

Bevor Nicholas den Wagen startete, beugte er sich zu mir herüber, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. „Du hast es überlebt", sagte er belustigt, nachdem ich übertrieben laut aufgeseufzt hatte.

Das hatte ich. Da so viele Menschen da gewesen sind, hatte es sich auch nicht wirklich wie ein 'ich stelle dich jetzt meinen Eltern vor' angefühlt. Die Aufmerksamkeit ist die meiste Zeit nicht mal auf mir gewesen. „So schlimm war es eigentlich gar nicht. Außer, ich habe verpasst, dass deine Eltern mich in Wirklichkeit hassen und nur dem Schein zu Liebe nett waren."

Nebenbei auf das Ausparken konzentriert, sprach Nicholas etwas langsamer als sonst: „Niemand aus meiner Familie würde so etwas tun, dafür sind sie zu stur. Naja, außer mein Onkel, seine Frau und deren Sohn. Sei froh, dass die nicht da gewesen sind. Ihre scheinheilige Nettigkeit ist eigentlich nur verpackte, passive Aggressivität."

Ich grinste. „Klingt nach Spaß. Ich kann es gar nicht erwarten, euch alle auf einem Haufen zu sehen." Erstmal interessierte mich aber nur der Teil von Nicholas' Familie, den er mochte. „Ist es eigentlich ein schlechtes Zeichen, dass mich Mayra ignoriert hat?"

„Nein, wenn sie dich ignoriert, duldet sie dich. Auf mehr kannst du vorerst vermutlich nicht hoffen." Nicholas lächelte verlegen. „Meine Schwestern sind nicht alle so umgänglich wie ich."

„Bestimmt hast du sie mit der ganzen Aufmerksamkeit, die du ihnen gibst, verzogen", sagte ich in einem betont scherzhaften Tonfall, damit Nicholas nicht auf die Idee kam, ich würde es ernst meinen. Mehr als Mayras Verhalten, beschäftigte mich aber etwas anderes. Besser gesagt jemand. „Lennja hat mich zwischendurch böse angesehen. Interpretiere ich das auch falsch? Ist das so ihre Art?"

„Ähhh, nein. Lennja... ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dich nicht mag." Nicholas warf mir kurz einen entschuldigenden Blick zu, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.

„Habe ich etwas falsch gemacht?" Nicholas hatte noch nicht mit mir Schluss gemacht, also schien es für ihn in Ordnung zu sein, dass ich mich nicht mit jedem aus seiner Familie verstand. Das mit Lennja überraschte mich nicht wirklich. Anfangs haben Nicholas und ich nebeneinander an dem Esstisch gesessen, Mayra auf seiner anderen Seite. Dann hatte Lennja sich zwischen uns gequetscht. Zum Glück hatten sich außer Nicholas' Eltern auch Melina und ihr Mann mit mir unterhalten. Dass Melina mich mochte, konnte ich mit ziemlicher Sicherheit behaupten.

Ich zuckte zusammen, als ich ein Hupen hörte. Irgendwie erwartete ich, dass Nicholas ungehalten reagieren würde, wie die meisten meiner Freunde beim Autofahren. Vor allem, da er, soweit ich mitbekommen hatte, gar nichts falsch gemacht hatte. Aber er war absolut gelassen und ignorierte es einfach. „Ich bin mir nicht ganz sicher, woran es liegt. Sie könnte eifersüchtig auf dich sein, weil ich weniger Zeit mit ihr verbringe, seit wir zusammen sind. Andererseits hat sie Elena sehr gerne gemocht. Vielleicht mag sie dich auch aus Prinzip nicht, weil sie Elena vermisst."

Wir hatten immer noch nicht richtig über Nicholas' Exfreundin geredet. Gelegentlich, nicht oft, erwähnte er sie wie eben am Rande.

„Deine Eltern mögen mich, Melina mag mich glaube ich auch, Mayra duldet mich, Lennja hasst mich. Was ist mit Freya?"

Nicholas lachte unterdrückt. „Ich glaube, bei ihr müssen wir aufpassen, dass du nicht ihr nächster Schwarm wirst. Nicht, dass ich es ihr verübeln könnte."

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