Kapitel 18

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Aufgedreht putzte ich meine Zähne. Anstatt in den Spiegel zu sehen, klebte mein Blick fast durchgängig auf meinem Handy, welches ich auf den Waschbeckenrand gelegt hatte.

Nachdem er mir eine gute Nacht gewünscht hatte, hatte Nicholas nichts mehr geschrieben. Die Nachricht, die ich vorgestern ignoriert hatte, ist aus einem Gruppen-Chat gewesen.

Nicholas hatte meine Nachricht gelesen. Aber nicht geantwortet. Ich hatte ihm gestern ein 'guten Morgen' geschickt, in der Hoffnung, dass er schreiben würde. Was er nicht getan hatte, auch wenn er es wieder gelesen hatte. Im Laufe des Tages hatte ich ihm noch häufiger Nachrichten und Fotos geschickt. Keine Reaktion. Mit jeder Stunde die vergangen war, hatte sich die Befürchtung verstärkt, dass Nicholas seine Worte doch nicht so gemeint hatte und eigentlich wollte, dass wir uns auseinanderlebten. Und was das anging war ich mir mittlerweile sicher, dass ich das nicht wollte. Egal, ob zwischen uns etwas laufen würde oder wir Freunde blieben, ich wollte ihn weiterhin sehen. Zumindest versuchte ich mir einzureden, dass nur Freunde zu sein auch in Ordnung wäre.

Heute Morgen hatte mir Nicholas endlich geschrieben. Er hatte mich gefragt, ob wir uns in ein paar Stunden in dem Café treffen könnten, in dem wir vor einer Weile gelernt hatten. Warum ein Café, warum so plötzlich, nachdem er mir gestern nicht geantwortet hatte, was er von mir wollte: alles Fragen, die mir im Kopf herumschwirrten und die ich ihm am Liebsten gestellt hätte. Doch ich hatte es gelassen und ihm einfach nur zugesagt. Es würde sich schon alles selbst erklären, sobald wir uns sahen. Ich wollte nicht, dass Nicholas mitbekam, wie nervös ich gerade war. Und ich war ziemlich nervös. Denn es könnte gut sein, dass er sich nur mit mir treffen wollte, um mir höflich, aber bestimmt zu sagen, dass er es doch nicht mehr für eine gute Idee hielt, mit mir befreundet zu sein. Allerdings würde ich das nicht herausfinden, wenn ich nicht hinging.

Nachdem ich fertig war mit Zähneputzen hielt ich eine kleine, innere Debatte, ob ich Duschen sollte oder nicht. Schaden konnte es nicht. Und ich konnte währenddessen über das Outfit nachdenken, dass ich anziehen wollte. Ich machte mir viel zu viele Gedanken um dieses Treffen, es war ja nicht so, als würde es sich um ein Date handeln. Es war definitiv kein Date. Kein. Date. Zumindest dieses Mal noch nicht. Ugh, ich sollte mir nicht so vorschnell Hoffnungen machen.

Natürlich war ich zu spät. Warum musste ich ausgerechnet bei Nicholas zu spät kommen? Ich hoffte, er hatte noch nicht allzu lange gewartet.

Es war nicht schwer, ihn in dem Café zu finden. Sobald ich ihn sah, traf mich eine Welle der Nervosität. Es gab bestimmt nichts zu befürchten, ich machte mir ganz umsonst Gedanken, ganz bestimmt.

Trotzdem schindete ich Zeit, blieb in der Nähe des Eingangs stehen und betrachtete Nicholas. Obwohl er mit dem Rücken zu mir saß und ich deshalb weder seine Augen noch die Narben sehen konnte, sah Nicholas auffällig aus. Vor allem in dem zierlichen Caféstuhl fiel seine Größe und Statur auf, ein blaukariertes Flanellhemd spannte sich um seine breiten Schultern. Mein Blick fiel auf seine schulterlangen Haare, die er, wie sonst auch, zu einem lockeren Knoten hochgebunden hatte. Ehrlich, warum machte er sich die Mühe, wenn innerhalb von wenigen Minuten eh Strähnen in sein Gesicht hingen?

Ich beschloss, zu ihm zu gehen, bevor ich ungewollte Aufmerksamkeit auf mich zog.

„Hey", sagte ich, bevor ich mich auf den Stuhl ihm gegenüber setzte.

Erschrocken zuckte Nicholas zusammen, der Tisch wackelte, als er mit dem Knie dagegen stieß.

„Hi!"

Einen Moment lang sahen wir uns an, dann wichen wir gleichzeitig dem Blick des anderen aus.

Ich hielt die Stille nicht mehr aus, also fragte ich: „Warum wolltest du dich treffen?"

Never enoughWhere stories live. Discover now