Prolog

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Es war ein stürmischer Tag mitten im Oktober und der Regen prasselte stark gegen die Fensterscheibe. Ich schloss für einen Moment die Augen und lauschte nur den Geräuschen, die die Natur uns schenkte. Der Sommer war heiß gewesen, aber das störte mich nicht. Ich liebte den Sommer, aber auch jede andere Jahreszeit. Jede hatte etwas an sich, was ich mit schönen Dingen verband. Im Frühling mochte ich, wie alles wieder bunt wurde und die ersten warmen Sonnenstrahlen sich zeigten. Mit dem Sommer brachte ich definitiv das Meer, Grillabende, Wassermelone und lange Nächte in Verbindung. Der goldene Herbst überzeugte mich mit seinen bunten Farben und ich ging gern spazieren in dieser Zeit. Und der Winter war für mich ein Synonym für kuschelige Socken, Glühwein und gemütliches Lesen im Kerzenschein. Ich mochte es, dass es immer der gleiche Ablauf war. Immer Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Niemals Herbst, Frühling, Sommer, Winter. Das beruhigte mich irgendwie ungemein und gab mir so etwas wie einen festen Halt.

Ich öffnete die Augen wieder und seufzte innerlich. Die Herbstferien neigten sich dem Ende zu und ich spürte Aufregung in mir aufsteigen, die sich in meinem gesamten Körper ausbreitete. Meine beste Freundin Sophia war bei mir und da wir uns die letzten Tage kaum gesehen hatten, gab es eine Menge zu berichten. Aber vor allem stand ein Thema ganz oben auf unserer Liste: Schule. Aus ganz verschiedenen Gründen. Ich würde ab Montag auf ein anderes Gymnasium gehen, weil mein altes geschlossen hatte. Es lag außerhalb der Stadt und durch die geringe Anzahl der Schülerinnen und Schüler existierte es nun nicht mehr. Ich hatte mich damals bewusst für diese Schule entschieden und hatte jeden Tag eine Fahrt von insgesamt fast zwei Stunden auf mich genommen. Ich war schon ziemlich traurig, denn ich hatte es dort gemocht. Meine Freunde kamen aus der ganz anderen Richtung, sodass ich die Einzige aus unserer Gruppe war, die jetzt hier in der Stadt die Schule besuchen würde, denn der Weg zu dem anderen Gymnasium wäre noch weiter gewesen. Der einzige Vorteil war, dass Sophia und ich nun noch die restliche Schulzeit miteinander verbrachten und ich keine lange Fahrt mehr auf mich nehmen musste. Doch ich mochte keine Veränderungen. Sie machten mir Angst. Natürlich wusste ich, dass sie zum Leben gehörten, aber mir blieb trotzdem die Luft weg, als ich an meinen ersten Schultag an der neuen Schule dachte.

»Das wird super, Lisa«, sagte Sophia gerade und lachte. Sie hatte leicht reden, dachte ich. Ich murmelte etwas Missverständliches und sie sah mich mit einem Funkeln in den Augen an. »Und außerdem lernst du endlich Frau Vogel kennen«, strahlte sie und ich verdrehte die Augen. »Du und deine Frau Vogel«, erwiderte ich und grinste. Frau Vogel war ihre, und ab Montag unsere, Lehrerin. Sophia hatte ein Auge auf die Lehrerin, die seit Schuljahresbeginn dort an der Schule unterrichte, geworfen. Aber ich schenkte ihrer Schwärmerei nicht allzu viel Beachtung. Sie ließ nichts anbrennen. So oft schon hatte sie sich verknallt; ob nun in Männer oder Frauen. Meistens hatte sie auch das bekommen, was sie wollte, aber dann wurde es ihr schnell langweilig. Sie war nicht so der Beziehungstyp. Es dauerte ein paar Wochen, dann war die Schwärmerei also auch schon wieder vorbei. Bei Frau Vogel war es tatsächlich etwas anders. Das musste ich zugeben. Weil sie sie nicht erobern konnte?

Ihre Schwärmerei ging nun schon etwas länger als üblich und es war aktuell kein Ende in Sicht. Man merkte ihr schon immer an, wenn das Interesse langsam erlosch, aber in diesem Fall loderte es gerade erst richtig auf. »Aber das Thema hatten wir doch schon. Du hast keine Chance bei ihr. Mensch, sie ist verheiratet und hat einen kleinen Sohn.« Düster starrte sie mich an. Mir war klar, dass sie das nicht hören wollte, aber es war die Wahrheit. So schmerzhaft sie vielleicht auch war. »Das ist ein Grund, aber kein Hindernis.« Mir fehlten die Worte. Deshalb schüttelte ich nur mit dem Kopf. Aber ich musste zugeben, dass ich wirklich etwas neugierig war. Da Frau Vogel neu war, konnte man kein Bild auf der Homepage der Schule finden. Und auch sonst schien es, als würde sie die sozialen Netzwerke meiden. Man fand nichts über sie. Nichts.

Sophias Stimmung wurde immer finsterer. Ich machte mir Sorgen. »Lisa, ich habe mich wirklich in diese Frau verliebt«, kam es plötzlich über ihre Lippen und verblüfft sah ich sie an. So etwas hatte sie noch nie gesagt. Auch wenn sie für viele Menschen schwärmte – von verliebt sein hatte sie noch nie gesprochen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. »Du musst sie dir aus dem Kopf schlagen. Du hast dich da in etwas verrannt«, versuchte ich, ihr klarzumachen. »Sie wird deine Gefühle nicht erwidern.« Die Situation war schon etwas ironisch. Ich gab ihr Tipps, dabei war ich noch nicht ein einziges Mal verliebt gewesen. Letztes Jahr hatte ich mehrere Dates mit einem Mann gehabt, aber ich war nicht bereit gewesen, mich ihm zu öffnen.

Ich glaubte an Liebe auf den ersten Blick. So kitschig es vielleicht auch klang. Entweder passte es oder nicht. Und ich hatte mein passendes Gegenstück eben nur noch nicht gefunden. Aber das war auch nicht schlimm, denn ich war gerade mal 18 Jahre alt. Mich hetzte niemand und ich würde es auf mich zukommen lassen. In diesem Moment konnte ich es noch nicht ahnen. Ich konnte nicht wissen, dass Frau Vogel stolperte. Mitten in mein Herz.

Mitten ins Herz || txsWhere stories live. Discover now