Kapitel 16

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Sophias Augen weiteten sich und ich hörte, wie sie scharf die Luft einsog. Sie musste komplett verwirrt sein. Und überrumpelt. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Mir würde es auch so gehen an ihrer Stelle. »Hallo Sophia, geht es dir besser?«, rief Frau Vogel und lächelte sie an. Diese stammelte nur etwas Missverständliches zurück. Vielleicht aber hatte ich ihre Antwort auch nur nicht verstanden, weil die Musik so laut war. Dann sah Frau Vogel wieder mich an. Es war mir unangenehm, dass ich gerade irgendwie zwischen den Stühlen stand. Auf der einen Seite wollte ich nichts lieber als den Abend mit meiner Lehrerin verbringen, aber auf der anderen Seite war ich mit meiner besten Freundin hier, die Gefühle für diese wundervolle Frau hatte. Frau Vogel sah toll aus. Sie trug eine dunkelgrüne Bluse und dazu eine schwarze Jeans. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr lösen, bis ich mich schließlich dazu zwingen musste. Meine Augen wanderten zu Carolin, die mich ertappt ansah. Was war denn nur los mit ihr? Oder mit mir?

»Man sieht sich«, rief Carolin uns zu und zog Frau Vogel mit sich mit, die mich ganz verdutzt anschaute. »Bis dann«, schrie sie gegen die Musik an und dann waren sie in der Menge verschwunden. Sophia keuchte neben mir. »Was macht sie denn hier?«, kreischte sie mir dann mit schriller Stimme ins Ohr. »Keine Ahnung.« Ich wusste nicht, ob sie meine Antwort gehört hatte, aber es war mir in diesem Moment so egal. Hatte ich vor einigen Minuten noch so viel Freude bei ihrem Anblick verspürt, so war jetzt nichts mehr davon übrig. Ich war traurig. Ich wollte sie in meine Arme ziehen und mit ihr tanzen. Ihre Lippen küssen. Aber es ging nicht. Verdammt, sie war meine Lehrerin. Schmerz breitete sich in meinem Körper aus und ich musste meine Tränen wegblinzeln. Ich durfte jetzt nicht weinen. Nicht hier. Nicht in diesem Augenblick. Nicht vor Sophia.

Meine beste Freundin hatte sich wieder erholt. Sie schnappte sich unsere Cocktails und deutete mir mit einer Kopfbewegung an, ihr zu folgen. Ich tat es. Ich war wie in einem Schwebezustand. Meine Beine trugen mich automatisch durch den Club, der mir plötzlich viel zu klein, zu heiß und zu laut vorkam. Ich ignorierte alle Menschen um uns herum und konnte nicht glauben, dass wir sie hier getroffen hatten. Dass sie wirklich hergekommen war. Dass sie mich angesprochen hatte. Mich – Lisa! Sophia riss mich aus meinen Gedanken. »Hier, jetzt nimm doch mal endlich deinen Cocktail«, rief sie und hielt ihn mir vor das Gesicht. Ich nahm ihr das Glas aus der Hand und starrte es an. »Was ist das denn bitte für ein Zufall?«, wollte sie wissen und man merkte, wie aufgekratzt sie war. Sie hatte überall am Körper rote Flecke bekommen, die ihre Aufregung verrieten. Gepaart mit dem Alkohol war es eine gefährliche Kombination.

Mein Blick wanderte durch die Masse, aber ich konnte sie nicht entdecken. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mir sofort ins Auge fallen würde. Und ich wusste, dass es kein Zufall war. Das hatte man ihr angemerkt. Doch trotzdem verstand ich das alles nicht. »Los, wir ziehen mal ein bisschen durch den Club. Vielleicht entdecken wir sie ja.« Stirnrunzelnd sah ich Sophia an, die einen unschuldigen Blick aufsetzte. Wie schnell sich doch die Laune ändern konnte, stellte ich mit Entsetzen fest. Ich würde gerade alles dafür geben, dass sie mich auch nur ein einziges Mal küsste. Die Vorstellung war schon atemberaubend, wie war es dann erst in der Realität? Autsch. Die Realität. Sie holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Was wollten wir hier tun? Sophia wollte loslaufen, doch ich hielt sie zurück. »Stopp. Das können wir doch nicht machen.« Sie zog ihre Augenbrauen nach oben und schrie mir ins Ohr: »Wieso nicht?« Ich seufzte und zuckte die Achseln. Vielleicht ging das alles viel zu weit. So weit, dass ich schon viel zu viel in unbedeutende Dinge hineininterpretierte.

Im Endeffekt ließ ich mich doch überreden und folgte Sophia etwas mürrisch. Ich wollte Frau Vogel natürlich auch unbedingt sehen, aber was dann? Ich konnte ja wohl schlecht zu ihr gehen und sie nach einem Tanz fragen. Das würde komisch wirken. Vor allem vor Sophia. Wir irrten durch die Masse und ich zog kräftig an meinem Strohhalm. Mein Getränk war schön kalt und kurz bekam ich eine Gänsehaut, obwohl es hier unglaublich heiß war. Meine Gefühle spielten verrückt. Der ganze Tag war doch auch schon so gewesen, stellte ich fest. Wie ein Traum. Gleich würde ich wahrscheinlich aufwachen, denn das konnte doch nicht die Realität sein, oder? »Da ist sie! Und sie kommt direkt auf uns zu!!!« Sophia stieß mir mit ihrem Ellenbogen so unglücklich in die Seite, weil sie es unauffällig anstellen wollte, dass ich nach Luft schnappen musste und mich dabei verschluckte. Sie musste eine empfindliche Stelle getroffen haben. Ein Hustenanfall folgte und nun stand Frau Vogel wieder direkt vor uns. Ohne Carolin. Zum Glück.

Mitten ins Herz || txsWhere stories live. Discover now