Kapitel 43

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Den letzten Block überstand ich gerade so. Ich verspürte die ganze Zeit über einen inneren Druck, der mir zu schaffen machte. Ich war froh, als ich endlich zu Hause ankam und natürlich kreisten meine Gedanken ununterbrochen um Vanessa. Schon bald würde die Beerdigung sein. In meinem Zimmer lief ich auf und ab. Ich wollte mich nützlich machen, aber das war von hier aus nicht möglich. Ich konnte ihr in diesem schweren Moment nicht zur Seite stehen. Tränen schossen aus meinen Augen und strömten heiß über meine Wange. Wieder einmal war ich überfordert. Wie so oft. Gab es bei mir eigentlich noch einen Normalzustand? Entweder war ich überglücklich oder todunglücklich. So fühlte sich mein Leben jedenfalls zur Zeit an. Ich schmiss mich mit voller Wucht auf mein Bett und stieß mir dabei den Kopf. Das hatte ich wohl nicht anders verdient. Ich berührte die Stelle und schloss die Augen. Es tat höllisch weh. Scheiße. Warum war ich nur immer so tollpatschig? Im gleichen Moment wurde ich abgelenkt. Unten fiel die Haustür ins Schloss. Meine Mama hatte Feierabend.

Ich wischte mit einem Taschentuch die Tränen aus meinem Gesicht und ging dann nach unten, um sie zu begrüßen. »Hey Mama«, sagte ich und erschrocken fuhr sie herum. »Mensch, Lisa. Warum schleichst du dich so an?«, wollte sie mit geweiteten Augen wissen. »Ich bin nicht geschlichen. Ich bin ganz normal gegangen«, verteidigte ich mich und verzog das Gesicht, denn die Stelle an meinem Kopf entwickelte sich zu einer kleinen Beule. »Alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt. Ich winkte ab. »Ich habe mir nur gerade den Kopf gestoßen«, erzählte ich ihr und sie musste ein Grinsen unterdrücken. »Das ist nicht witzig«, ergänzte ich und wollte ernst bleiben, doch ich musste nun auch grinsen. Dann warf ich einen Blick auf die Uhr, die wir schon ewig hatten. Ich konnte mich an keine andere erinnern, so alt war sie schon. Gerade hatte die Beerdigung angefangen und ich musste schlucken. Bevor sie nachfragen konnte, erklärte ich leise: »Gerade ist die Beerdigung.« Sie seufzte und umarmte mich. »Deshalb bist du von deinem Wesen her gerade so aufgewühlt. Wollen wir etwas machen? Ablenkung würde dir sicher nicht schaden.« Ich nickte nur. »Ich schaffe hier noch kurz Ordnung und dann können wir vielleicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen, wenn du Lust hast.«

Das klang nach einem guten Plan. Ich ging noch einmal auf die Toilette, holte meine Sachen und wartete dann, bis meine Mama fertig war. Sie musste noch mit meiner Oma telefonieren, was sich ziemlich in die Länge zog. »Wo wollen wir hinfahren?«, wollte sie von mir wissen, als sie endlich auflegte, aber es war mir egal. Sie sollte entscheiden. Im Auto setzte ich mich auf den Beifahrersitz. Ich vermisste es, mit Vanessa Auto zu fahren. Ich konnte sie dabei immer von der Seite betrachten, ihr wunderschönes Seitenprofil genießen. Aber ich musste akzeptieren, dass sie nicht hier war. Ich richtete meinen Blick nach vorn und hing meinen Gedanken nach. War es schon vorbei? Wie lange ging eine Beerdigung? Würden viele Leute da sein? Es machte mich so wütend, dass Eric dabei war. Ich wünschte mir, dass es seine Beerdigung war und nicht Irmgards. Ganz egal, was für ein Geheimnis sie hatte, diesen Tod hatte sie nicht verdient. Wir waren langsam unterwegs, denn draußen war es kalt und etwas glatt. Meine Mama hatte ein Café in der Altstadt ausgesucht und parkte in einer Nebenstraße. Jedenfalls versuchte sie es angestrengt. Etwas belustigt sah ich ihr dabei zu. Parken gehörte definitiv nicht zu ihren Stärken. Nach vier Einparkversuchen hatte sie es endlich geschafft. »Ich hasse es, wenn ich so parken muss. Sonst muss ich immer nur vorwärts oder rückwärts parken und nicht so blöd seitlich«, stöhnte sie und brachte mich damit zum Lachen. »Deine Talente liegen halt woanders. Du kannst dafür sehr gut kochen, Mama«, munterte ich sie auf und dann liefen wir los.

Der Wind kam von vorn und ich zog meine Jacke oben ein Stück enger. Ich folgte meiner Mama und wir betraten ein gemütliches Café, in dem ich mich erstaunt umsah. Warum war ich noch nie hier gewesen? Es war wirklich total süß eingerichtet und es roch herrlich. »Das Café hat erst vor Kurzem eröffnet«, erklärte meine Mama und beantwortete somit meine stumme Frage. Es war ziemlich voll, nur eine längere Tafel und zwei Tische waren noch frei. Eine junge Kellnerin kam auf uns zu. »Sie können sich einen Platz aussuchen«, begrüßte sie uns und zeigte auf die beiden freien Tische. Meine Mama überlegte. »Wollen wir den nehmen?«, fragte sie und zeigte auf den Tisch, der weiter von der längeren Tafel entfernt war. »Falls hier gleich eine Gruppe kommt, wird es sicher sehr laut.« Mir war es egal, also nahmen wir den Tisch, der weiter entfernt war und sich sogar in einer kleinen Nische befand. Als wir uns ausgezogen und gesetzt hatten, reichte uns die Kellnerin jeweils eine Karte. Sie hatte ein breites ehrliches Lächeln auf den Lippen und ich vermutete, dass sie ihren Job mochte. Vielleicht gehörte ihr sogar das Café?

Mitten ins Herz || txsWhere stories live. Discover now