Kapitel 9

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Der nächste Morgen war ein großes Gefühlschaos für mich. Auf der einen Seite bescherten mir Frau Vogels Worte ein Lächeln, aber auf der anderen Seite wusste ich, dass ich sie heute und auch morgen nicht sehen würde. Es war ein komisches Gefühl. Es war dumpf und füllte meinen ganzen Körper aus. Ich wusste, dass ich mich albern verhielt. Dass es naiv von mir war. Aber was sollte ich machen? Ich musste ständig an diese Frau denken. In meinem Kopf ging ich unzählige Szenarien durch, nur um am Ende enttäuscht den Kopf zu schütteln. Kein einziges Szenario davon würde jemals wahr werden. Aber ganz egal, wie sehr ich mich gegen das Herzklopfen wehrte, es brachte alles nichts. Ich musste sie nur ansehen und alles veränderte sich in mir. Es waren nur zwei Tage ohne sie, aber für mich fühlten sie sich wie eine Ewigkeit an. Ich konnte mich schon gar nicht mehr an das Gefühl erinnern, wie es ohne sie in meinem Leben war. War das nicht merkwürdig? Es war verrückt, wie viel innerhalb einer einzigen Woche gefühlstechnisch geschehen konnte.

Seufzend erhob ich mich und erntete dafür einen bösen Blick meiner Katze. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufwecken«, entschuldigte ich mich bei ihr, aber sie hatte die Augen schon wieder geschlossen und streckte sich einmal. Einmal so entspannt wie eine Katze sein. Das wäre es. Für einen Moment betrachtete ich sie und beneidete sie um ihre Ruhe. Nichts und niemand schien ihr etwas anhaben zu können. Ich wandte mich ab und schwang die Beine aus dem Bett. Brrr. Ich spürte, wie die Kälte bis zu meinen Knochen vordrang, dabei hatte ich auch in meinem Zimmer die Heizung an. Es konnte gar nicht kalt sein, aber ich wusste, dass eine warme Dusche jetzt genau die richtige Entscheidung war. Deshalb schlich ich ins Bad, zog mich aus und stieg blitzschnell in die Dusche. Als ich das Wasser anstellte, überkam mich plötzlich ein seltsames Gefühl. Ich fühlte mich schrecklich einsam und jeder Wassertropfen verstärkte mein Empfinden. Ich kannte dieses Gefühl nicht wirklich und wusste nicht, wie und wo ich es einordnen sollte. Wenn ich ehrlich war, dann war ich damit überfordert. Was machte man dagegen? Hielt man es aus? Hörte es irgendwann wieder auf?

Ich ließ das heiße Wasser eine Weile über meinen Körper laufen. Dabei schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf eine gleichmäßige Atmung. Besser, dachte ich. Viel besser. So langsam wärmte ich wieder auf, doch ich ärgerte mich darüber, dass Frau Vogel schon wieder in meinem Kopf auftauchte. Ich stand nackt in meiner Dusche und dachte an sie. Das wurde ja immer besser. Wo sollte das nur hinführen? Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich an Sophia dachte. Sie war verliebt in unsere Lehrerin. Warum gerade in sie? Ich stellte das Wasser ab, griff nach meinem Handtuch und wickelte mich darin ein. Mit meinen Händen wischte ich über den beschlagenen Spiegel und blickte mich selbst an. Was war denn nur los mit mir? »Du hörst jetzt sofort auf damit«, sprach ich zu meinem Spiegelbild und mir wurde bewusst, dass sich das echt verrückt anhörte. Führte ich jetzt wirklich schon Selbstgespräche? Das wurde ja immer besser. Ich wandte den Blick ab und ging zurück in mein Zimmer. Emma lag immer noch seelenruhig im Bett und ließ sich von mir nicht stören. Im Kleiderschrank suchte ich nach warmen Klamotten und zog sie mir an. Ich streckte mich und spürte, dass ich leichte Gliederschmerzen hatte. Wurde ich jetzt krank? Bitte nicht. Ich setzte mich wieder auf mein Bett und warf einen Blick auf mein iPhone. Sophia hatte geschrieben. Eilig öffnete ich die Nachricht.

»Moin Lisa, bist du schon wach?« Ich war etwas irritiert. Wir waren doch erst heute Abend verabredet. Ich schrieb zurück: »Ja, wieso?« Wenige Sekunden später erschien ihr Name auf meinem Display. Sie rief an. Ich nahm das Gespräch entgegen, aber erst atmete ich tief durch. Was wollte sie nur? »Ich musste dich jetzt einfach anrufen. Ich weiß nicht, mit wem ich sonst darüber reden soll.« Ich ahnte, über was oder wohl eher über wen sie sprechen wollte. Die Erkenntnis schlug mir direkt auf den Magen und ich wollte am liebsten wieder auflegen. »Letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zubekommen. Dass wir gestern Finn kennengelernt haben... Das ist unglaublich. Wir haben einen weiteren Teil von ihr kennengelernt. Gott, ich vermisse sie total.« Ich schluckte. Was sollte ich antworten? Dass es mir auch so ging? Dass ich in genau in diesem Moment Frau Vogels hübsches Gesicht vor Augen hatte? »Lisa? Bist du noch dran?« Ich nickte, bis mir auffiel, dass sie es gar nicht sehen konnte. »Ja, tut mir leid. Finn ist wirklich süß.« Sofort sprach sie weiter: »Und dass sie dich auch noch gefragt hat, ob du ihn mit auf die Toilette nehmen kannst. Du hast auch immer ein Glück.«

Mitten ins Herz || txsWhere stories live. Discover now