Kapitel 46

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Die nächsten Tage fühlte ich mich wie in Watte gepackt. Alles prallte an mir ab, ich bekam kaum etwas von meinem Umfeld mit. Sophia gab sich Mühe, mich abzulenken, doch auch das half nicht. Ich konnte Vanessa nicht verstehen. Was war aus ihrem Versprechen geworden, dass ich sie nicht verlieren würde? Wie konnte sie so etwas versprechen, wenn sie es nicht halten konnte? Wenn sie sich einfach aus meinem Leben schlich ohne eine weitere Erklärung? Sie hatte mir vor einiger Zeit gesagt, dass sie sich scheiden lassen würde. Ich war in diesem Moment der glücklichste Mensch der Welt gewesen. Jetzt musste ich mit den Auswirkungen einer anderen Entscheidung leben. Niemals hätte ich gedacht, dass sich das alles in so eine traurige Richtung entwickeln würde. Sie hatte mich blockiert oder sogar ihre Nummer gewechselt und mir war bewusst, dass es an mir lag. Deshalb fuhr ich auch nicht mehr zu ihr nach Hause. Ich konnte nicht. Es ging einfach nicht. Ich kam mit diesem Durcheinander nicht klar. Ich konnte ihr jetzt nur Zeit geben und hoffen, dass sie in sich ging und sich fragte, was sie wirklich wollte. Eigentlich war ich mir bisher sicher gewesen, dass sie mich auch wollte, aber ich bekam zu spüren, dass man sich niemals sicher sein konnte. War es einfach für sie, mich zu vergessen? Ich dachte nicht mehr in Aussagen. In meinem Kopf spukten nur noch Fragen umher und ließen mich nachts nicht schlafen. Ich hatte heftige Bauchkrämpfe und auch mein Herz tat weh. Ich wusste, dass es eigentlich nicht brechen konnte, denn es war ein Muskel, doch trotzdem fühlte es sich so an.

Selbst das Umdrehen im Bett kostete unheimlich viel Kraft. Ich hatte mich noch eine weitere Woche krankschreiben lassen. Ich wusste, dass mein Abschluss in Gefahr war, wenn ich weiterhin fehlte. Nächste Woche musste ich wieder in die Schule gehen, aber wie sollte ich das aushalten, wenn ich alles, was ich dort sah, mit Vanessa verband? An meiner Zimmertür klopfte es und meine Mama steckte ihren Kopf in den Raum. »Möchtest du etwas essen?«, fragte sie vorsichtig, doch ich erwiderte: »Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.« Sie blieb stehen und meinte: »Lisa, das geht so nicht. Du musst etwas essen.« Mein Kopf platzte gleich. »Ich will aber nicht. Bitte lass mich in Ruhe.« Sie seufzte und ging dann wieder nach unten. Ich wollte ihr keine Sorgen bereiten, doch ich hatte heftigen Liebeskummer. Wie sollte man das nur aushalten? Wurde es irgendwann besser? Wir mussten uns doch aussprechen, oder nicht? Wollte sie das zwischen uns einfach im Sand verlaufen lassen? Das ging doch nicht. Sie konnte mir nicht ewig aus dem Weg gehen. Oder vielleicht schon. Keine Ahnung.

Dann kam der Montag und ich raffte mich etwas auf. Ging zur Schule. Dachte an meine Zukunft. Haha. Ich konnte an keine Zukunft ohne Vanessa denken. Wie sollte das funktionieren? Mit jeder Minute, die ich in diesem Gebäude verbrachte, wurde der Schmerz größer. Ich hatte jetzt seit 1,5 Wochen nichts mehr von ihr gehört. Das machte mich wahnsinnig und ich fühlte mich, als wäre ich nichts wert. Als würden meine Gefühle nicht zählen. Ich dachte immer, dass ich die Jüngere war, doch ihr Verhalten war gerade einfach nur kindisch. Meine Freunde wussten nicht, was los mit mir war. Bis auf Leon und Sophia. Sophia hatte sich irgendetwas als Ausrede einfallen lassen, warum es mir schlecht ging, aber ich hatte den Grund gar nicht mitbekommen. Es war mir aber auch völlig egal. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Ich schämte mich für diesen Gedanken. Warum war mir plötzlich alles nur so egal? Seitdem Vanessa nicht mehr an meiner Seite war? Ich hätte mit ihr alles geschafft. Ganz egal, wie schwierig es auch war. Doch jetzt überforderte mich sogar das Atmen. So erbärmlich. Ich versuchte, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Natürlich hatten wir direkt im ersten Block Mathe und ich schaltete auf Durchzug. Ich wollte nie wieder etwas von Gleichungen hören, wenn es nicht aus Vanessas Mund kam. Ich hasste den Vertretungslehrer. Nicht, weil er seine Sache schlecht machte. Ich konnte nur einfach keinen anderen Menschen an Vanessas Stelle ertragen.

So vergingen meine Tage. Ich dachte, es würde mit jedem Tag einfacher werden, doch das Gegenteil passierte. Meine Fragen häuften sich und immer wieder fragte ich mich, ob sie auch noch ab und zu an mich dachte. Mit jedem Tag, der verging, wurde ich auch wütender. Ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht besser damit zurechtkam. Dass mir ihr Verlust so zusetzte, obwohl sie mich so sehr verletzt hatte. Aber wenn ich genauer darüber nachdachte, dann wusste ich, woran es lag. Ich liebte diese Frau. Ohne Einschränkungen. Nach wie vor. Und wollte nur in ihren Armen liegen und ihrem Herzschlag lauschen. Ständig hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Ich hatte mit der Zeit etwas an Gewicht verloren. Meine Sachen saßen mittlerweile viel lockerer, was mir nicht gefiel. Ich war so froh, als endlich die Winterferien anfingen und ich das Haus nicht mehr verlassen musste. Draußen schneite es und ich sah die Flocken fallen, währenddessen ich in meinem Bett lag. In den letzten Tagen kam mir immer häufiger der Gedanke, Vanessa einen Brief zu schreiben. Ich wollte ihr sagen, wie sehr unsere Situation mich zerstörte. Doch würde sie ihn überhaupt lesen? Oder würde sie ihn direkt zerreißen? Vielleicht konnte ich mich in den nächsten Tagen entscheiden, ob ich mir die Blöße geben wollte. Aber eigentlich tat ich es für mich, oder? Dass ich mich davon befreite. Oder wollte ich, dass sie es sich dadurch vielleicht doch anders überlegte? Wenn ich die passenden Worte fand? Das war doch absurd.

Mitten ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt