Kapitel 31

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Für einen Moment stand ich wie versteinert da und war zu keiner Bewegung fähig. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. War das gerade wirklich passiert? Als ich es schaffte, mich umzudrehen, sah ich den Bus nur noch von hinten. Konnte das wahr sein? Mein Puls beschleunigte sich. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Wie ich mich verhalten sollte. Hatte Vanessas Omi unser Geheimnis gelüftet? Wusste sie Bescheid über uns? Kaum vorstellbar. Das war doch nicht möglich. Ich musste es falsch verstanden haben. Aber trotzdem musste ich natürlich mit Vanessa darüber sprechen. Ich musste ihre Meinung dazu hören, denn immerhin betraf es uns beide. Uns. Mir wurde ganz flau in der Magengegend. Hatte ich zu viel erzählt? War es jetzt wirklich meine Schuld, wenn alles zwischen uns vorbei war? Obwohl es noch gar nicht richtig angefangen hatte?

»Hey Lisa, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, rief Sophia und kam direkt auf mich zu. Auch das noch. »Ist alles in Ordnung?« Ich presste nur ein kurzes »Ja« hervor, dann liefen wir nebeneinander zur Eingangstür. Dann plapperte sie auch schon darauf los. Ich hörte ihr gar nicht zu, denn der Schock saß noch immer tief. Ich wurde erst hellhörig, als sie meinte: »Mit wem sie wohl unterwegs war? Die Beifahrerin sah sogar etwas aus wie du. Verrückt. Schade, dass es schon so dunkel war und ich nichts erkennen konnte.« Mein Herz sprang mir fast aus der Brust. »Ja, schade«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Wir hatten direkt im ersten Block Mathe, aber ich musste vorher mit Vanessa reden. Nur leider blieb dafür keine Zeit mehr. Also folgte ich Sophia und wir warteten vor dem Raum auf Vanessa.

Ich war innerlich aufgebracht. Ungeduldig. Unruhig. Wie sollte ich die 90 Minuten nur überstehen? Ich konnte ihr nicht mit meinen Blicken signalisieren, was passiert war. Aber ich konnte das doch auch nicht noch so lange für mich behalten. Dann kam sie um die Ecke und für einen Moment hielt ich unbewusst die Luft an. Wie konnte diese Frau nur so wunderschön sein und ausgerechnet für mich Gefühle entwickeln? Völlig ahnungslos kam sie auf uns zu und als unsere Blicke sich trafen, runzelte sie kaum merklich die Stirn. Sie wusste, dass mich etwas beschäftigte. Alle betraten den Raum und ich wartete so lange, bis uns keiner mehr hörte. Dann flüsterte ich ihr schnell zu: »Wir müssen unbedingt reden. Es ist wichtig.«

Ihr Blick war voller Sorge und ich wollte es ihr nicht noch schwerer machen, aber ich wollte es auch nicht vor ihr geheim halten. Es betraf das, war zwischen uns war. Außerdem ging es immerhin um ihre Oma. Ich ließ mich auf meinen Platz gleiten und nervös trommelte ich mit den Fingern leicht auf die Tischplatte. Bis Sophia mir einen fragenden Blick zuwarf und auf meine Finger deutete. Sofort ließ ich es bleiben und meine Augen huschten zu Vanessa, die bereits mit dem Unterricht angefangen hatte. Auch sie wirkte beunruhigt und spielte an ihrer Kette herum. Dann fiel mir ein, dass sie mir auch noch erzählen würde, was sie Eric als Ausrede aufgetischt hatte. Das wurde alles immer schlimmer. Wie konnte ich hier nur rumsitzen mit dem Wissen, was ich hatte? Dann fiel mir ein, dass ich keine andere Wahl hatte. Ich konnte nicht einfach aufstehen und mit Vanessa reden, denn sie war noch immer meine Lehrerin.

»Hey, was ist denn mit dir los?«, fragte Sophia nach einer Weile und durchbohrte mich mit ihrem Blick. »Gar nichts«, flüsterte ich erstickt zurück und war in diesem Moment unendlich froh darüber, dass wir Unterricht hatten und ich ihr nicht auf ihre Fragen antworten musste. Ich spürte Vanessas Blick und als ich aufsah, drehte sie den Kopf schnell in die andere Richtung. Es ging nicht anders. Ich musste bis nach der Stunde warten und mich so lange zusammenreißen. Ich musste immerhin nur hier sitzen im Gegensatz zu Vanessa, die sich auf die ganze Klasse konzentrieren musste. Ich wollte diese Frau nicht wieder hergeben. Das, was zwischen uns war, fühlte sich echt an. Nein, es fühlte sich nicht nur so an. Es war echt. Als ich sie betrachtete, war mein gesamter Körper voll mit Liebe. Auch wenn es vielleicht etwas naiv klang, konnte ich mir keinen anderen Menschen an meiner Seite vorstellen. Denn es gab niemanden, der mich so berührte, wie sie es tat. Der diese Gefühle in mir zum Vorschein brachte, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie tatsächlich existierten. Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr ich lieben konnte. Schon nach dieser extrem kurzen Zeit.

Mitten ins Herz || txsWhere stories live. Discover now