Kapitel 7

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In den frühen Morgenstunden wurde ich mit einem Lächeln wach. Mir tat das ganze Gesicht weh und ich fragte mich, was passiert war. Es fühlte sich wie Muskelkater an. Vorsichtig betastete ich die schmerzenden Stellen. Was hatte ich getan? Dann bemerkte ich, dass ich noch immer grinste. Ich entspannte meine Muskeln und machte verschiedene Übungen mit dem Mund und den Wangen. Mir kam ein Gedanke, aber konnte der wahr sein? Hatte ich wirklich die ganze oder halbe Nacht mit einem Lächeln im Gesicht geschlafen und nun war alles angespannt? Mir ging es gerade total gut und ich ahnte, was der Grund dafür war. Ich spürte den weichen Stoff an meiner Haut und atmete den Geruch tief ein. Er war noch immer sehr intensiv und das beflügelte mich. Ich würde es niemals offen zugeben und eigentlich kam ich mir auch total bescheuert vor, weil ich hier mit dem Pullover kuschelte, aber es tat mir gut. Das war doch nicht normal, oder? Aber was war heutzutage schon normal?

Ich blieb noch im Bett liegen, denn ich wollte mich nicht von dem Pullover trennen. So langsam hatte ich verinnerlicht, was passiert war. Real fühlte es sich trotzdem nicht an. War sie schon wach? Wahrscheinlich schon. Mit einem Kind war man meistens früh wach. Hatte sie schon gefrühstückt? Frühstückte sie überhaupt? Wenn ja, was aß sie am liebsten? Oder trank sie nur einen Kaffee? Reichte ihr das? Mochte sie überhaupt Kaffee? Rauchte sie? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Jedenfalls roch sie nicht danach, was ich gut fand. Ich war kein Fan von Zigaretten, aber letztendlich musste jeder alleine wissen, was er tat. Ich nahm noch einmal einen tiefen Atemzug und ließ mich benebeln. Ich fand es toll von ihr, dass sie mir angeboten hatte, den Pullover am Montag zurückzugeben. So hatte ich ihn noch das ganze Wochenende. Würde sie sich heute anders verhalten? Irgendwie erwartete ich eine Reaktion von ihr, aber ich wusste, dass das nur Wunschdenken war. Klar, sie hatte mir ihren Pullover geliehen, aber das bedeutete nicht gleich, dass sie mich nun anders behandeln würde, auch wenn ich die Hoffnung hatte.

Seufzend erhob ich mich. Ich konnte jetzt nicht mehr schlafen. Heute war Freitag. Meine erste Woche an der neuen Schule war schon vorbei. Ich musste so viele Eindrücke verarbeiten und die Zeit war an mir vorbeigeflogen. Aber das, was am meisten Eindruck bei mir hinterlassen hatte, war nicht die Schule. Auch nicht meine Klasse. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war die Antwort: Frau Vogel. Meine Lehrerin. Sie hatte definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es fühlte sich an, als würde ich sie schon ewig kennen, obwohl ich kaum etwas von ihr wusste. Das war ein ganz komisches Gefühl. Ich befand mich im Zwiespalt. Ich mochte sie, aber ich wusste, dass ich aufpassen musste. Ich durfte keine Grenzen überschreiten und mich davon runterziehen lassen, obwohl es doch eigentlich keinen Grund dafür gab. Oder? Ich genoss die Gedanken an sie einfach und mochte gern an ihr Lächeln und ihre Augen denken, obwohl ich wusste, dass sie eine verheiratete Frau war, die mitten im Leben stand. Und ich? Ich hatte noch nicht einmal meinen Schulabschluss. Es waren zwei verschiedene Welten, die sich nicht zusammenfügen ließen.

Eine ganze Weile saß ich noch im Schneidersitz auf dem Bett und starrte durch das dunkle Zimmer. Dann schaltete ich das Nachtlicht an und meinen Wecker vorzeitig aus. So ersparte ich mir diesen fürchterlichen Ton. Dann stand ich auf und lief durch das Zimmer. Ich war völlig aufgekratzt und wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Ich konnte nicht laut sein, meine Eltern schliefen noch. Deshalb beschloss ich, dass ich schon unter die Dusche sprang. Ich ließ mir dabei viel Zeit, schäumte mich ausgiebig ein, nutzte eine Spülung für die Haare und dann hörte ich, wie jemand die Treppe nach unten ging. Endlich, dachte ich und stöhnte erleichtert auf. Nach dem Duschen und Haare trocknen schlich ich zurück in mein Zimmer und räumte den Pullover weg, sodass ihn niemand finden konnte, wenn man einen Blick in den Raum warf. Das würde nur unnötige Fragen aufwerfen. Ich würde ihn dann am Wochenende waschen.

Heute hatte ich im letzten Block Mathe. Ich freute mich sehr auf die 90 Minuten und wusste, dass ich es aus falschen Gründen tat. Aber was sollte ich machen? Ich war aufgeregt, weil ich Frau Vogel sehen würde und wenn ich das Gegenteil behauptete, wäre es eine Lüge. Es war mir egal, was sie unterrichtete. Selbst Geschichte würde bei ihr Spaß machen. Ihre Leichtigkeit übertrug sich immer wieder auf die Klasse. Ob ihr das eigentlich bewusst war? Plötzlich kam mir eine Frage in den Sinn. Hätte ich gestern nichts gesagt, hätte sie sich dann nicht umgedreht? Hätte sie mir dabei zugesehen, wie ich meinen Pullover auszog? Ich hätte ihr dabei gern zugesehen, wenn sie ihren ausgezogen hätte. Erschrocken über mich selbst schüttelte ich den Kopf. Ich wusste, dass ich so etwas nicht denken durfte. Sie sollte mir auch im Allgemeinen egal sein, aber ich interessierte mich für alles, was sie tat. Sie war ein vielseitiger Mensch, bei dem es immer wieder neue interessante Dinge zu entdecken gab. Das konnte ich jetzt schon sagen.

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