#54 Parallel lines

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Ein Stechen durchfuhr meinen schlafenden Körper. Als ich zur Besinnung kam, konnte ich ausfindig machen, dass der Schmerz aus meiner Handinnenfläche kam. Ich öffnete meine Augen und wollte meine Hand von der Schmerzensquelle wegziehen, doch Jimin hielt sie mit seiner fest. Wie es aussah, behandelte er meine Wunde, indem er sie zunächst mit einem Tuch abwischte. Müde brummte ich und drehte mich dann auf den Rücken, um in meinem Aufwachprozess mehr von meiner Umgebung zu erkennen. "Du schläfst unglaublich lange", merkte Jimin neben mir an, immer noch meine Wunde versorgend, während ich mir ein Auge rieb. "Hättest du mich nicht, würdest du den ganzen Tag verschlafen und deinen Schafrhythmus total versauen", ich lachte in mich hinein, "und hättest du mich in diesem Moment gehabt, wäre das vielleicht gar nicht passiert." Er meinte meine Hand und ich seufzte. Wenn er nur wüsste.

"Ich habe nachgedacht", gab er zu und ich schaute ihn gespannt an. Gleichzeitig wünschte ich mir, dass er nicht nachgedacht hätte, da aus seinen Gedanken meistes nichts Gutes resultierte - zumindest was mich anging. "Vielleicht haben wir damals funktioniert, weil wir es nicht versucht haben. Wir haben einfach funktioniert.  Vielleicht fehlt uns das heute." Ich wollte nicht, dass er darüber nachdachte, was uns fehlte, auch wenn ich verstehen konnten warum er das tat. Nebenbei angemerkt, war nicht gut drauf heute, das sah ich, als sich unsere Blicke kreuzten. Er hatte zu viel nachgedacht, viel zu viel, wahrscheinlich all die Stunden, in denen ich geträumt hatte. Zudem sah er kraftlos aus, eher kalt als warm. Eher wie ein regnerischer Morgen, als ein sonniger Mittag. Einer, an dem man das Bett nicht verlassen wollte, selbst wenn man musste.

"Wie geht es dir heute?", ließ mich dies Fragen und sein Blick fiel auf meine Hand zurück, welche er nun verband. Ich wollte, dass er mir antwortete, aber stattdessen presste er seine Lippen aufeinander, als würde er seine Worte zurückhalten. Als er dann aufstehen wollte, hielt ich seine Hand fest. "Jimin."
"Wenn du meine Hand halten willst, musst du nur danach fragen." Mit diesen Worten schüttelte er meine Hand ab und ging zum Schrank hinüber. Schwer schluckend setzte ich mich auf und fragte mich, ob ich ihn in diese Stimmung versetzt hatte, da ich mich nicht daran erinnern konnte. "Wegen gestern", setzt ich anders an, "Warum hast du dich nicht getraut, das Licht anzumachen?" Ich sah ihm dabei zu, wie er sich ein anderes Oberteil anzog.
"Ich hatte Angst, dass das Licht das Monster nicht verschwinden lässt, sondern es sichtbar macht. Müsstest du kennen." Er schaute mich für eine Weile an, bevor er die Sachen, mit denen er zuvor meine Wunde versorgt hatte, aufnahm und in die Kommode an der Wand räumte. "Was soll das heißen?", fragte ich mit einem harten Unterton, da er mich nun offensichtlich auf etwas hinwies. Jimin jedoch zuckte nur mit den Schultern, ich sollte selbst darauf kommen und ich hatte schon eine Vorahnung.

"Ich muss gleich los. Meine Schicht geht heute bis sechs, also bin ich um Viertel nach wieder hier. Mir ist egal, ob du hier bleibst oder wieder nach Hause gehst. Und danke, dass du heute Nacht gekommen bist." Er sprach mit mir wie ein Chef mit seinem unbedeutenden Angestellten und wollte gehen, als würde er mir die Arbeit überlassen. "Hey", ich stieg schnell aus dem Bett und ergriff seinen Arm, bevor er den Raum verlassen konnte. Dadurch zwang ich ihn indirekt, mir in die Augen zu schauen, womit ich mir einen Trumpf erspielte. Ich wusste nicht, ob es immer noch die Nachwirkungen unseres Streits waren oder ob sein Verstand zu benebelt von zu vielen Zweifeln war, was uns anbelangte, jedoch wollte ich ihn nicht einfach damit zur Arbeit schicken. "Ich liebe dich", sagte ich ehrlich, vielleicht sah er in meinen Augen, dass ich ihn nicht verlieren wollte. "Das ist das einzige, das du mir von dir erzählst", antwortete er darauf, "und es wäre mir genug, würde es so funktionieren." Mit diesen Worten ging er aus dem Raum, ließ mich verwirrt zurück.

Wenig später hörte ich die Wohnungstür zufallen und es war, als würde die Luft stehen bleiben und die Zeit anhalten. Ein Moment, in dem ich meine Zweifel betrachten und mich selbst bemitleiden konnte. Sicherlich hatte Jimin das beabsichtigt. Mich alleine zu lassen mit der Anregung, über ihn und mich nachzudenken, schlussendlich das Wir zu erkennen. Ohne Veränderung würde sich nichts verändern und ich hatte nichts als ihn zu verlieren.

「 devil 」 - yoonminWhere stories live. Discover now