Kapitel 1

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„Du siehst gut aus, Maus. Du brauchst jetzt nicht noch 20 weitere Kleider probieren. Wir stehen doch jetzt eh schon seit gefühlten Stunden hier, kannst du dich nicht endlich mal entscheiden?", sagt meine beste Freundin, während ich noch immer nach einem passenden Outfit für das Konzert heute Abend suche. „Ja, ich hab's ja gleich, lass mich noch dieses hier anprobieren", sage ich, während ich ein richtig schönes, nicht zu elegantes, kurzes Kleid aus meinem Schrank hole. Ich ziehe mich hinter meinem Pavillon um. „Wow, das passt dir ja mega gut", staunt Sophie, als ich wieder hervortrete. „Ja, find ich auch. Ich glaub, ich nehme das" „Endlich!" „Ok, wir müssen uns eh beeilen. Wann ist Julian da?" „Er wird in ca. 5 Minuten da sein" „Perfekt!"

Nach etwa 10 Minuten höre ich ein Klingeln an der Tür und laufe runter. Da steht auch schon Julian, Sophies Freund, und ist bereit, uns abzuholen. „Das wird so cool", sage ich, als ich ins Auto steige. „Ja, ich kann's auch schon nicht mehr erwarten, das erste Konzert seit langem, ich freu mich so", kreischt Sophie. Julian sieht sie mit einem Blick an, mit dem ich auch irgendwann mal angesehen werden möchte. Ich bin 21 und habe noch nie einen Freund gehabt, was ja eigentlich nicht schlimm ist, aber langsam wär's schon mal nett jemanden zu haben, der mit einem kuschelt und da ist, wenn man einschläft und aufwacht.

„So, bitte einmal diesen Eingang hier nehmen", weist uns ein Mitarbeiter des Stadiums an. Die Energie hier ist großartig. Alle sind schon richtig aufgeregt und können es nicht mehr erwarten. Etwa 15 Minuten nachdem wir zu unseren Plätzen geführt wurden, beginnt auch schon die Vorband, die nach einer halben Stunde mit ihrer Setlist durch ist. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, Sophies und meine absolute Lieblingssängerin zu sehen. Als sie auf die Bühne kommt, muss ich vor lauter Aufregung zu weinen beginnen, das ist einfach einer der coolsten Tage meines Lebens.

„Ich geh noch schnell auf die Toilette", sage ich zu Sophie, bevor wir die Halle verlassen. „Soll ich mitkommen?", fragt sie, wir gehen selten alleine auf die Toilette. „Nein, Nein, passt schon" Ich will, dass die beiden auch ein bisschen Zeit zu zweit haben können. Also mache ich mich alleine auf den Weg. Aber schon nach ein paar Metern wird mir extrem schlecht und schwindelig. Als ich aus der Toilette komme, spüre ich plötzlich, dass ich mich nicht mehr aufrecht halten kann. Überall sind schwarze Punkte. „Hey, alles in Ordnung?", höre ich eine unbekannte Stimme. Ich kann nicht mal reagieren, bevor ich zusammenklappe.

Als ich aufwache, schauen mich zwei besorgte, aber wunderschöne Augenpaare an. „Na, wieder da?", lächelt er erleichtert, als er sieht, dass ich langsam wieder zu mir komme. „Was... was ist passiert?" Ich habe Schwierigkeiten, mich zu erinnern. Der nette Mann hilft mir auf und sagt: „Ganz ruhig. Sie sind kollabiert, aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Darf ich sie zum Ausgang begleiten und Ihnen ein Taxi rufen? Ich möchte eigentlich nicht, dass sie in dem Zustand alleine fahren." „Passt schon, ein Freund nimmt mich mit", sage ich und bevor er noch was sagen kann, haste ich davon, weil mir die ganze Situation extrem unangenehm ist und ich einfach nur flüchten möchte.

Als ich wieder zu Sophie und Julian stoße, schaut Julian mich musternd an. Oh nein, jetzt kommt wieder dieses Arztgehabe, das ich so hasse. „Hey, du bist mir ein bisschen zu blass", sagt er und will nach meinem Handgelenk greifen, was ich jedoch unterdrücke, indem ich meine Hand hinter meinem Rücken verstecke. „Komm Jackie, jetzt stell dich bitte nicht so an und lass mich kurz deinen Puls messen. Mehr mache ich auch gar nicht, du brauchst keine Angst haben" Ich überlege kurz, gebe dann aber auf und reiche ihm meinen Arm. Inzwischen schaut mich Sophie ebenfalls besorgt an. „Ok, das ist mir definitiv zu schnell. Ich fahre dich jetzt nach Hause. Wenn dir schwindelig wird oder irgendwas, dann musst du mir das aber sagen. Ich plädiere da an deinen gesunden Menschenverstand", sagt er mit ernster Miene. „Jaja" „Nein, kein jaja. Ich könnte dich auch gleich untersuchen, möchte dir das aber ersparen. Hast du mich also verstanden?", fragt er ernst. „Ja, hab' ich" „Gut."

Am nächsten Morgen wache ich auf und fühle mich schon wieder viel besser. Ich hätte jetzt echt keine Lust gehabt mich von Julian untersuchen zu lassen, da habe ich einfach viel zu große Angst davor. Ich hasse alles, was mit Ärzten zu tun hat, obwohl mein Vater Kinderarzt ist und mich eigentlich früher spielerisch an das Thema herangeführt hat. Trotzdem habe ich extrem Angst vor dem ganzen Arztzeugs, deshalb bin ich sehr froh, dass es mir jetzt wieder gut geht. Selbst wenn ich Julians Untersuchung entkommen wäre, der meines Vaters bestimmt nicht. Seit meine Mutter gestorben ist, als ich klein war, ist er extrem vorsichtig, was meine Gesundheit angeht, was ich verstehen kann, mir aber natürlich nicht gefällt. Als ich auf mein Handy schaue, sehe ich einen Text von Julian: „Alles wieder gut? Wenn nein, dann schreib mir bitte. Ich bin mir aber sicher, dass dein Vater es sowieso merken würde, selbst wenn du mich jetzt anlügen würdest. Bitte pass auf dich auch. Wenn du irgendwelche Symptome hast, dann lass dich bitte von deinem Vater oder mir untersuchen." Ich hasse dieses übervorsichtige Gehabe. Es ist ja cool, dass der Freund meiner besten Freundin und ich uns so gut verstehen, aber er geht mir manchmal damit auf den Nerv, dass er so besorgt ist, wenn jemand krank ist. „Es ist wirklich wieder alles gut, danke:)", schreib ich zurück und lege mein Handy aufs Bett.

„Guten Morgen. Wie war's gestern? Sorry, dass ich noch Schicht hatte, als du nach Hause gekommen bist", sagt mein Vater, als ich die Treppe runterkomme. „Kein Ding. Es war so cool dort. Ich konnte es nicht glauben, sie wirklich mal live zu erleben" „Das freut mich. Wann hast du eigentlich heute Kurs?" „Um 3 Uhr muss ich im Studio sein, ich wird jetzt dann noch kurz einkaufen gehen, essen und werde dann schon mal hinfahren und mich aufwärmen" „Alles klar, Schatz. Soll ich dich hinführen oder abholen? Ich hab' heute frei" „Nein, passt schon. Ich geh heute mal wieder zu Fuß"

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Where stories live. Discover now