Bin ich es wert?

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Von außen musste das was er da tat, wie gestört aussehen.
Joggen konnte man es auf jeden Fall nicht nennen.
Tsuki rannte.
Er rannte einfach drauf los.
Er versuchte dagegen anzurennen.
Gegen die Gedanken die in seinem Kopf Achterbahn fuhren.
Teilweise funktionierte es ganz gut.
Sein Körper ächzte weil er sich nicht aufgewärmt oder gedehnt hatte, doch die Schmerzen taten gut.
Sie lenkten ihn ab.
Sein Herzschlag der sich zu überschlagen drohte und sein Atem der mehr einem Ertrinkenden glich als einem regelmäßigen aktiven Läufer.
Gut das er sich unterbewusst für die Strecke Richtung Wald entschieden hatte, dadurch kam ihm wenigstens niemand entgegen.
Tsuki hätte das unmöglich erklären können.
In ihm kämpften zwei Gedanken.
Natürlich freute er sich das Kuro seine Zukunft so plante das er näher bei ihm sein konnte, und ja vielleicht sollte er sich einfach darüber freuen, doch ein rationales kleines Männchen in seinem Kopf sagte das das absolut hirnrissig war.
Sie waren erst viel zu kurz zusammen, sie waren nicht mal komplett geoutet, sie waren sich in so vielen Dingen noch uneinig. Viel zu oft entstanden Missverständnisse zwischen ihnen die alles kaputt machen konnten.
Was wenn es genau so passieren würde?
Was wenn ein so ein Konflikt sie schon nach wenigen Monaten auseinanderreisen würde. Eine Trennung.
Auch wenn ein Teil in seiner Brust zu schmerzen begann, als er daran dachte, zwang er sich trotzdem ihn zu Ende zu denken.
Was dann? Dann hätte er seine Familie verlassen, war allein in einer Stadt in der er sonst keinen kannte.
Naja so wie er seinen Freund kannte, fiel es ihm bestimmt nicht schwer neue Freunde zu finden und trotzdem blieb der Gedanke das er all das Risiko wegen ihm eingegangen hatte und enttäuscht wurde. Er das Risiko nicht wert gewesen.
Der Stich der augenblicklich seinen Körper fast in zwei Hälften zu reisen schien zwang ihn anzuhalten.
Völlig außer Atem stützte er sich an einem Baum ab und versuchte wieder Luft zu bekommen.
Eine Hand legte er auf sein wie wild schlagendes Herz das doch so schmerzte im Moment.
Erst als er seine Brille wieder auf die verschwitzte Nase schob bemerkte er die Tränen die über sein Gesicht liefen.
In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so viel geweint wie in den vergangenen Monaten.
Aber, er war auch noch nie so glücklich gewesen.
Tsuki kniff die feuchten Augen zusammen und vor seinem inneren erschienen Bilder von Kuro und ihm.
Der erste Kuss im Wald.
Ihre erste gemeinsame Nacht.
Seine Liebeserklärung in der Turnhalle.
Als sie zusammen einkaufen waren und rumalberten.
Die Nacht bei ihm zuhause auf der Couch.
Wenn er ihn schützend im Arm hielt und es schaffte das er über alles redete was er dachte.
Ein leises schluchtzen bahnte sich den Weg durch seine zugeschnürrte Kehle.
Im Moment da fühlte er sich so hin und hergerissen.
War er das Risiko wert?
Für Kuro schien das klar, doch wie stand es bei ihm?
Normalerweise war er kein Typ der ein geringes Selbstwertgefühl hatte, doch hier und jetzt das zweifelte er hart daran, wer er war und was er geben konnte. Und wer in aller Welt konnte ihm darauf eine Antwort geben?

Plötzlich legte sich eine warme schwitzige Hand auf seine Schulter und er fuhr erschrocken herum. Befand er sich doch mitten im Wald, abseits jedes Weges. Keine Menschenseele hatte er bei seinem Lauf gesehen.
Wer in aller Welt?
"Du kannst...echt schnell laufen".
"Tadashi"?
Ungläubig sah er seinen völlig verschwitzten Freund an.
Seine braunen Haare klebten ihm feucht an der Stirn und sein grauer Pulli hatte eindeutig Schweißflecken unter den Achseln.
Sein Gesicht war rot doch seine Augen strahlten und hatten einen mitleidigen Ausdruck den er eigentlich sosehr hasste. Doch irgendwie war das nicht schlimm denn in ihnen lag auch ein anderer Satz.
Ich verstehe dich.
So viele Fragen lagen ihm auf den Lippen.
Was machst du hier?
Wieso bist du mir gefolgt?
Was willst du?
Und doch schaffte es keine einzige an die Oberfläche. Für eine Weile sahen sie sich nur an, doch dann legte Tadashi zögerlich einfach die Arme um ihn und drückte ihn.
Ohne es zu wissen, war es genau das was er jetzt brauchte.
Erst etwas zögerlich doch dann immer fester hielt er seinen besten Freund im Arm. Es tat so gut.
Die Wärme des anderen Körpers und die Hände die ihn stützten, gaben ihm ein beschütztes Gefühl und er konnte sich fallen lassen.
Mit verschwommenen Blick sah er wie seine Tränen über seine Wange rollten und auf Tadashis Pullover kreisrunde Flecke hinterliesen.
Das allein wäre schon ein Grund gewesen es zu leugnen. Sich so schwach zu zeigen war nicht seine Art. Aber keine Ahnung irgendwie schaffte er es über seinen Schatten zu springen und mit einem riesigen Klos im Hals und verheulter Stimme zu erzählen was ihm auf dem Herzen lag.
Sein Freund lies ihn nicht los, er sagte nicht einmal was, er war einfach nur da und strich ihm beruhigend über den Rücken.
Vielleicht genau das was er brauchte.
Als Tsuki seinen kleinen Monolog mit den Worten: "Ich weiß nichtmal genau ob ich das Risiko wert bin" beendet zog er geräuschvoll die Nase hoch.
Jetzt fühlte er sich unglaublich leer und irgendwie taub.
Zwar war alles raus was ihn belastete und in gewisser Weise ging es ihm jetzt besser und doch fühlte er sich so schwach wie noch nie.
Doch dann drückte ihn Yamaguchi langsam von sich und zwang ihn hochzusehen.
"Wenn nur das dir Gedanken macht kann ich dich beruhigen".
Seine Stimme klang ebenfalls belegt doch irgendwie stark.
"Wir kennen uns jetzt schon viele Jahre und ich glaube ich kann dir das sagen ohne drüber nachzudenken. Du bist es wert.
Am Anfang bin ich dir zwar nur gefolgt um nicht wieder fertig gemacht zu werden, doch dann wurden wir richtige Freunde.
Du bist ein unglaublich starker Mensch Tsuki, doch das musst du nicht immer sein. Ich weiß das du genauso unsicher manchmal sein kannst, ich habe es selbst gesehen. Doch das ist nicht schlimm, es macht dich menschlich nur umso schöner.
Du hast so viele Seiten an dir, die es sich lohnt zu sehen und du gibst viel mehr als du denkst. Zumindest mir.
Ich glaube Kuro hat viele dieser Seiten gesehen und hat verstanden das er keine davon missen will, deshalb hat er sich dafür entschieden auf diese Uni zu gehen. Weil er bei dir sein will."
Tsuki atmete hörbar auf und kämpfte die Tränen hinunter die sich erneut in seinen Augenwinkeln zu sammeln schienen.
"Du hast deine Antwort doch schon längst. Er hat sich für dich entschieden und das Risiko das es doch nicht klappt nimmt er gerne in Kauf weil er weiß das du es wert bist und das du ihn glücklich machen kannst."
Sein Gegenüber sah ihn aufbauend an und drückte seine Schulter als Bestätigung seiner Worte.
Seine Worte trafen tief in ihm einen Punkt an dem er keine Gegenfrage mehr fand.
"Ich glaube du hast Recht".
Selten brachte er diese Worte heraus, doch in diesem Fall entsprachen sie der Wahrheit.
Von keinem anderen hätte er jemals einen Rat angenommen, da man nie wissen konnte, welchen Hintergedanken der Verfasser hatte.
Doch wenn er in die Augen seines Freundes sah, dann war da nur Mitgefühl und tiefe Freundschaft.
"Na wie hat das aus deinem Mund geschmeckt", meinte Tadashi grinsend.
"Na wie Essig", sagte er wahrheitsgemäß und sie beide mussten lachen.
Das lockerte die emotionale Stimmung auf und sie liesen einander los.
"Sag mal hast du eigentlich eine Ahnung wo wir sind", fragte Yamaguchi und sah sich seufzend um.
"Ganz ehrlich ich hab nicht wirklich auf den Weg geachtet", erklärte Tsuki planlos.
"Na dann müssen wir wohl einfach mal losgehen und kucken wo wir rauskommen", sagte sein Freund und der blondhaarige sah ihn verwirrt an.
"Was ist denn mit dir los? Keine Angst, hast du nen Egoshub bekommen oder ist mir da was entgangen", fragte er schalkhaft und boxte ihn spielerisch in die Seite.
Der andere lachte und wich zurück dann grinste er erkennend.
"Stimmt, ich glaube ich hab jetzt einfach nicht mehr so viel Angst wie früher".
"Und was ist der Grund dafür"?
Neugierig sah er ihn an während sie durch das Unterholz liefen.
"Ich weiß nicht genau ich glaube es ist das Gesamtbild. Da ist mein bester Freund der mir plötzlich Dinge anvertraut die er vielleicht nur mir erzählt", ein unsicherer Seitenblick und eine klare Antwort.
"Darauf kannst du wetten".
"Menschen die dich so akzeptieren wie du bist und dich nicht kritisieren wenn mal was schief geht. Und.. "
"Und was"?
Er klang schon etwas forsch doch das schien Tadashi nicht zu stören er lächelte und sprach weiter.
"Und ein Mädchen das dir das Gefühl gibt das du einzigartig bist".
Grinsend sah er ihn an.
"Achso ist das", sagte Tsuki provokant und schubste seinen Freund lachend und strubbelte ihm durch die immer noch nassen Haare.
Yamaguchi musste ebenfalls lachen und das dümmliche Grinsen das ihm förmlich aus dem Gesicht sprang kannte Tsuki nur zu gut.
"Ich glaube du hast auch was zu erzählen", meinte er und während der andere anfing zu schwärmen da erfasste ihn ein unbekanntes Gefühl.
Ein Gefühl tiefer Verbundenheit.
Ihre Freundschaft war aus einer Not entstanden doch war sie in den vergangen Monaten so stark geworden das er sie niemals verlieren wollte.

Kurotsuki Gemeinsam statt einsamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt