Rain

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Die Nacht war kurz und unruhig gewesen.
Tsuki war sich nicht mal sicher das er geschlafen hatte, alles was er immer wieder vor sich sah, wenn er an Schlaf dachte, war die Zimmerdecke.
Alles was er hörte war Tadashi Atem, alles was er fühlte war diese Leere in ihm und seine feuchten Wangen.
Die einzelnen Tränen die ihm immer wieder über die Haut rannten und salzige Spuren hinterließen.
Tropfen für Tropfen. Kleine werden zu großen und fließen zu einem Rinnsaal zusammen.
Regen.
Seit einer Stunde waren sie auf dem Weg zurück. Es regnete und Tsuki fixierte die einzelnen Tropfen auf der Scheibe ohne die vorbei rauschende Landschaft dahinter wirklich wahrzunehmen.
Seit etwa einer Stunde starrte er auf den unendlichen Regenfluss am Fenster und hatte kaum etwas anderes mitbekommen.
Wenn Tadashi ihn nicht von A nach B gezogen hätte würde er vermutlich immer noch vor der Tür im Haus stehen.

Als er aufgewacht war hatte er nicht gewusst wie er diesen Tag meistern sollte.
Obwohl er sich immer wieder einzureden versuchte das er stark war und das er weiter machen würde, wurde ihm doch unsagbar schlecht wenn er nur daran dachte ihn wieder zu sehen.
Dann würde er wahrscheinlich augenblicklich zusammen brechen und zu heulen beginnen.
Um sich diese Scenerie zu ersparen hatte er sich seine Schritte genau überlegt.
Er hatte das Frühstück ausfallen lassen.
Hatte sich schon vor allen anderen ins Bad geschlichen um sich fertig zu machen und hatte dann hinter der Tür gewartet.
Mit seiner Lieblingsmusik auf den Ohren hatte er den Moment abgewartet bis mehrere schwere Schritte an ihm vorbei eilten.
Jungs die ihre Sachen packen gingen.
Dann schlüpfte er durch die Tür, ging in die Küche schnappte sich dort schnell eine Flasche Wasser und ein übriges Gebäckstück und verließ das Haus.
Erst jetzt traute er sich wirklich frei zu atmen.

Es dauerte eine weitere halbe Stunde bis er am Rande mitbekam das die anderen das Haus verließen. Aus Vorsicht sah er fast ausschließlich auf den Boden, das war sicherer.
Gerade als mehrere Fußpaare auf ihn zukamen warf Sugawara ihm plötzlich eine Tasche entgegen sodass er strauchelte und seine Kopfhörer verrutschen.
"Hier Tsukishima, das ist dafür das du nicht beim Aufräumen geholfen hast.
Die kannst du jetzt bis zum Bus tragen."
Die Tasche war so groß das er gänzlich dahinter verschwand.
Im ersten Moment hätte er sie ihm gerne um die Ohren gehauen doch dann war er dankbar für die Ablenkung.
Er hörte mit halben Ohr wie sich die anderen verabschiedeten.
Zum Glück konnte er in dem ganzen Durcheinander nicht genau die einzelnen Stimmen hören.
Allein seine warme Stimme hätte vermutlich ausgereicht um ihm die Knie zittern zu lassen.
Plötzlich war er froh um die Zusätzliche Tasche auf seinen Armen. Sie verhinderte von Oikawa gedrückt zu werden oder Iwaizumis aufbauenden abschließenden Schulterschlag abzubekommen.
Er spürte nur eine warme Hand wenig später die ihn irgendwann in eine Richtung schob.
Sugawara sah ihn mit mütterlichem Blick an der ihn wohl aufbauen sollte.
Also gingen sie.
Tsuki drehte sich nicht noch einmal um, bis sie den Bus erreicht hatten der die Schüler der Karasuno zum Zug fahren würde.
Als sie im Bus saßen und dieser abfuhr riskierte er einen letzten Blick zurück.
Gerade durch das grüne Blätterdach konnte er noch erkennen wie zwei Menschen den Berg hinunter liefen.
Einer davon hatte schwarze Haare.

Die nächste Zeit flog an ihm vorbei, Tage, Wochen, Monate.
Als er zurück nach Hause kam hatte er nur kurz einen Blick ins Wohnzimmer geworfen.
Seine Mutter hatte ihn nur einmal kurz gesehen doch in ihren Augen lag diese übersinnliche Kraft sofort zu wissen was los war.
Doch auf ein mütterliches tiefsinninges wahrscheinlich ihn aufzubauendes Gespräch war ihm nicht.
Er verkroch sich stattdessen in seinem Zimmer. Schlüpfte unter die Decke und gestattete sich schwach zu sein.
Zu weinen und zu trauern um das was er verloren hatte.
Dieser Zustand hielt eine ganze Weile an.
Eine Woche ging er weder zur Schule, noch zum Training.
Er hatte nur alle paar Tage mal eine liebevoll gekochte Mahlzeit seiner Mutter hinunter bekommen.
Zu allem Überfluss hatte ihn auch noch eine fette Erkältung erwischt, was vermutlich an dem stundenlangen, nächtlichem Sitzen im Freien gelegen hatte.
Aber irgendwie fühlte es sich auch gut an.
Husten und Schnupfen, Fieber.
Er schwitzte alles aus. Irgendwann wusste er schon nicht mehr ob sein Gesicht vom Schweiß oder den Tränen nass war.
Die Fieberträume waren das schlimmste. Sie zeigten ihm manchmal was er sich wünschte, das Kuro es sich anders überlegen würde, sich entschuldigen würde und alles wie früher werden würde. Manchmal aber auch war es ein unerkennlicher Wirrwarr aus verschiedenen Gefühlen und Menschen und Zeit.
Und das schlimmste waren die Träume in denen Kuro ihn beschuldigte das er ein gefühlsloser und wertloser Idiot sei, das er ihn nie geliebt hatte, sondern ihn einfach für einen Flirt gehalten hatte.
Aus solchen Träumen erwachte er meist mit einem erschrockenem Wimmern und war sich gänzlich unklar was er glauben sollte. Meist begann er dann zu weinen und schlief letztlich aus Erschöpfung wieder ein.

Am 8 Tag nach seiner Ankunft zuhause ging es ihm langsam wieder besser, zumindest was seine Krankheitssymtome betraf.
Sein Herz blutete immer noch, doch an manchen Stellen bildete sich langsam Schorf.
Als er wieder mal einen Nachmittag im Bett vor seinem Laptop verbrachte und irgendwelche Serien laufen lies klopfte es plötzlich.
"Ich hab keinen Hunger Mum", antwortete er routinemäßig und zog seine Decke wieder höher.
"Gut, ich hab dir auch nichts mitgebracht", kam es dann von seiner Mutter als sie die Türe öffnete.
"Was willst du dann", fragte er und klang dabei ziemlich genervt. Eigentlich war das nicht fair, seine Mutter versuchte ja nur ihm zu helfen.
"Ich weiß das du lieber allein sein möchtest und das die Erkältung dich sehr geschwächt hat, aber es ist jetzt an der Zeit das du wieder aufstehst".
"Und was soll ich dann machen", fragte er vollkommen ungläubig als hätte er verlernt wie die Welt außerhalb seines Zimmers funktionierte.
"Das werde ich dir sagen", meinte sie und ging erstmal durch sein Zimmer und öffnete die Fenster.
"Erstmal stehst du auf und räumst hier auf, es sieht furchbar aus und stinkt."
Da hatte sie nicht ganz unrecht.
Um ihn herum standen mehrere Teetassen, Taschentücher, Bonbonschachteln, Medikamente, halb aufgegessene Obstteller oder Suppenschüsseln und die ein oder andere Kekspackung.
Auch als er mal an sich roch, wusste er was sie gemeint hatte.
Er konnte sich nicht entsinnen wann er das letzte Mal ein frisches T-Shirt angezogen hatte, an das letzte Mal duschen ganz zu schweigen.
"Und wenn du damit fertig bist, lasse ich dir ein Bad ein und du schrubst mal all den kranken und schwitzigen Geruch von dir runter. Das ist wirklich dringend nötig."
"Da hast du wohl recht", sagte er seufzend und stellte seinen Laptop beiseite.
"Ich war noch nicht fertig. Danach wirst du Tadashi anrufen. Er ruft seit Tagen an und erkundigt sich über dich. Du ignorierst seine Nachrichten das ist nicht sehr nett, so habe ich dich nicht erzogen."
Zu seiner Verteidigugn er hatte seit Tagen nicht mal auf sein Handy gesehen, wahrscheinlich hatte er an die hundert Nachrichten.
" Ist gut, ich werde ihn zurück rufen".
"Gut. Ich weiß das Jungs nicht gern über ihr Liebesleben mit ihrer Mutter reden doch ich habe mir meinen Teil ausgemalt. Wenn du irgendwann doch noch einen Rat willst oder dich mal ausheulen willst, weißt du das ich da bin".
Der letzte Teil, lies Tsuki schwer schlucken und er brachte keine Antwort heraus, deshalb nickte er nur.
Alle um ihn herum waren so hilfsbereit, und er? Er verhielt sich wie ein egoistisches Arschloch. Als wenn noch nie jemand eine Trennung durchgemacht hatte. Das war etwas vollkommen normales, es passierte eben, ständig, überall auf der Welt. Das Gefühl in ihm drin, das spürten hunderte oder tausende Menschen vielleicht jeden Tag.
Und sie lebten auch weiter. Zumindest hatte er noch nie von jemandem gehört der an Liebeskummer gestorben war.
"Weißt du Kei, man muss nach vorne blicken. Vielleicht sollte es jetzt noch nicht sein, doch es gibt mit jedem Mal etwas was wir dazu gelernt haben. Meistens lernen wir etwas über uns selbst."
Sie setzte sich neben ihn aufs Bett und legte eine Hand auf seinen Oberschenkel.
Tsuki sah auf ihre feinen im Gegensatz zu seinen HÄnden kleinen Fingern hinab und lauschte den Worten.
Sie hatte wohl Recht.
Er hatte auch viel über sich selbst gelernt. Hatte neue Dinge ausprobiert, gelernt was er wollte, was er brauchte und wo seine Schwächen waren.
Trotzdem seufzte er.
"Ach komm schon mein Schatz, das wird schon wieder und weißt du, andere Mütter haben auch schöne Söhne".
Trotz dieser abgedroschenen Wortwahl musste er erstickt lachen und seit Tagen schlich sich ein lächtes Lächeln auf seine Lippen.
Auch wenn sie die Geschichte hinter seinem Kummer nicht kannte, war sie ihm doch eine große Stütze. Vielleicht hatte er den Arschtritt gebraucht.

Kurotsuki Gemeinsam statt einsamWhere stories live. Discover now