|| 49 || Liebe, Schuld und Angst

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Leandro Cassamento

Ich schlage meine Augen auf. Dunkelheit. Das schwärzeste Schwarz, die dunkelste Dunkelheit, die düsterste Düsterheit empfängt mich.

Meine Stirn runzelt sich, Fragen schießen durch meinen Kopf, meine Haare stellen sich auf. Meine Pupillen huschen von links nach rechts, auf der Suche nach Licht. Ich will mir an meinen dröhnenden Kopf fassen, doch mein Arm prallt gegen etwas Hartes. Ich zische auf.

Wo bin ich? Bin ich blind? Was ist passiert? Hilfe! Ich brauche Hilfe!

Mein Puls rast, mein Atem geht schnell. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Ich schreie nach Hilfe. Niemand antwortet mir.

Dann kommen mit einem Schlag meine Erinnerungen zurück. Der Ball, der Verlobungsring, der Sekt auf meinem Anzug, der See, Luigi, Fall in die Dunkelheit.
Bin ich tot? Fühlt sich so der Tod an? Aber wieso spüre ich noch mein rasendes Herz? Wieso tun meine Knochen weh? Wieso schmerzt mein Kopf? Das kann nicht der Tod sein. Aber was dann? Wo bin ich?

Ich versuche mich aufzusetzen, doch ich komme nicht weit. Nach nur wenigen Zentimetern kracht mein Kopf gegen etwas Hartes. Mit den Zähnen knirsche ich. Wo zur Hölle bin ich und wieso habe ich nicht einmal genügend Platz, mir den schmerzenden Kopf zu reiben?

Meine Gedanken überschlagen sich, versuchen herauszufinden, wo ich mich befinde und wie ich hier wieder rauskomme. «Beruhige dich, Leandro», flüstere ich nach unbestimmbarer Zeit zu mir selbst. Meine krächzende Stimme klingt laut, schallt leicht.
Ich atme tief durch, versuche die Kontrolle über meinen hyperventilierenden Körper zurückzugewinnen. Niemand kann mir helfen. Ich selbst bin meine einzige Rettung. Um hier rauszukommen, muss ich zuerst herausfinden, wo ich mich befinde.

Ich liege auf meinem Rücken, spüre einen harten Boden unter mir. Ich strecke meine Arme aus, berühre die Decke und fahre über diese. Ich runzele meine Stirn. Ist das Holz? Wenn ich versuche meine Arme und Beine auszubreiten, komme ich nicht weit, nur wenige Zentimeter. Auch hoch ist dieses Objekt nicht. Die Luft ist stickig. Kein Licht findet den Weg hierein. Ich bin allein.

Demnach befinde ich mich in einer Truhe aus Holz, in die ein Mensch passt. Als ich es versuche, mir bildlich vorzustellen, setzt mein Herz auf einmal einen Schlag aus.
Ach. Du. Heilige. Scheiße.

Ich liege in einem Sarg.

Der erste Gedanke, der mir kommt, ist, dass ich zum Glück keine Platzangst habe. Der zweite Gedanke behauptet, dass ich nicht lebend in seinem Sarg sein kann, dass das hier ein Albtraum sein muss. Der dritte Gedanke, realisiert, dass ich hier sterben könnte, ohne Avyanna alles erzählt zu haben, während sie in Lebensgefahr schwebt.

Tief durchatmen, Leandro. Ein und aus. Nein. Halt. Stopp. Mir wird der Sauerstoff ausgehen! Oh, Gott.
Wie viel Zeit bleibt mir noch?
Ich habe womöglich noch eine Stunde, bis ich einschlafe und letztlich ersticke. Wenn ich nur wüsste, wie lange ich bewusstlos war! Aber sicher ist, dass mir nicht viel Zeit bleibt.

Tränen brennen in meinen Augen. Das darf nicht wahr sein. Verdammt! So kann mein Leben nicht enden! Nicht so! Ich kann das nicht zulassen! Ich muss hier raus!  Nur wie?

Von Verzweiflung angetrieben platziere ich meine Hand¬innenflächen an der Decke des Sarges, drücke mit aller Kraft dagegen an. Das Holz knarzt, mehr nicht. Es ist, als würde ein Gewicht auf dem Sarg liegen. Meine Augen weiten sich. Erde. Ich liege nicht nur in einem Sarg. Ich liege sieben Meter unter der Erde.

Luigi, dieser Psychopath, hat mich begraben.

Meine Lippen beben, mein Körper zittert. Wie soll mich jemals jemand finden? Ich könnte irgendwo im nirgendwo liegen. Ich presse meine Augen zusammen. Mein Herz verkrampft sich. Eine heiße Träne fließt.

Mafia Romance 1 Where stories live. Discover now