|| 55 || Alarm - Part 1

3.4K 129 14
                                    

Avyanna Salvatore

«Wieso?», ist das Erste, was ich frage, nachdem Luigi reingekommen ist. «Wieso hast du meine Mutter all diese Jahre eingesperrt? Wieso hast du mich all die Jahre leben lassen und erst jetzt gefangen genommen?» Diese Fragen wollen mir nicht aus dem Kopf gehen. Sechs Jahre sind seit dem Vorfall vergangen. Sechs lange Jahre, in denen Luigi mir jeden Monat aufs Neue in den Kommissionen begegnet ist. Sechs Jahre lang besuchte ich monatlich das Montana Schloss, während meine Mutter ein paar Zimmer weiter festgehalten wurde. Sechs Jahre und ich hatte keinen blassen Schimmer.

Luigi legt seinen Kopf schief, nimmt sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er antwortet. «Du musstest unter deinem Verlust leiden und die Welt musste glauben, dass sie tot ist.» Nachdem ich kurz darüber nachdenke, macht es Sinn. Wäre ich wenige Monate danach entführt worden, hätte das Aufsehen erregt und man hätte angenommen, dass der Mörder meiner Eltern dahinsteckt.
«Aber wieso hast du so lange gewartet?»
«Diane musste erst anfangen, mich zu lieben.» Er presst seine Lippen aufeinander, so dass sie nur noch eine dünne Linie bilden. «Zu meinem Bedauern dauert dies länger, als ich erhoffte.»

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. «Du hast ihren Ehemann vor ihren Augen getötet und sie entführt und dann erwartest du, dass sie sich in dich verliebt?» Ich schnaube. «Das hier ist das echte Leben, nicht irgendein idiotisches Buch und auch kein Film.»

Verärgert ziehen sich seine Augenbrauen zusammen. «Du solltest besser auf deine Worte achten. Ich kann dich jederzeit umbringen.»
Trocken lache ich. «Und dabei riskieren, meine Mutter noch mehr gegen dich aufzuhetzen? Keine gute Idee.»
Seine Hände ballen sich zu Fäusten. «Ich kann dich foltern lassen. Du mochtest doch die Honigdroge so sehr?» Schief grinst er.
Ich knirsche mit den Zähnen. «Selbes Ergebnis.»

Luigi zuckt mit den Schultern. «Ich habe Jahrzehnte auf deine Mutter gewartet, da halte ich auch noch etwas länger aus.»
Ich seufze. Unvorstellbar, wie sehr er meine Mutter lieben muss, um so viel für sie zu riskieren, so lange auf sie zu warten. Aber nein, das ist keine Liebe. Ich strecke mein Kinn nach vorne, starre Luigi in die Augen.  «Würdest du sie wirklich lieben, hättest du nicht ihren Seelenpartner getötet.»
«ICH bin ihr Seelenverwandter!»

Vor Schreck zucke ich zusammen. Ich schlucke, bevor ich entgegne: «Wärst du ihr Seelenverwandter hättest du auf sie gewartet, bis sie von alleine zu dir kommt.»
Luigi atmet tief durch. Seine Ohren werden rot und seine Nasenflügel blähen sich. «Ich wollte den Prozess beschleunigen.»
«Das ging nicht hinten los», murmele ich.

Wenn dieser Psychopath, der von meiner Mutter besessen ist, sie niemals getroffen hätte, würde mein Leben ganz anders aussehen. Ich hätte ein normales, schönes Leben führen können - so normal wie ein Leben als Tochter eines Mafia Bosses sein kann.
Mein Vater wäre mein Mentor gewesen, nachdem ich in einem angemessenen Alter die Mafia übernommen hätte. Meine Eltern würden jeden Geburtstag, jeden Festtag mit mir feiern. Ich wäre die Achterbahn mit den Schrauben und dem Looping mit meinem Vater als erstes Mal gefahren, nicht mit Leandro.

Tränen kitzeln hinter meinen Augen. Leandro. Der Mann, der vorspielte, mich zu lieben. Er ist ein genauso großer Psychopath wie Luigi.

Der eine "liebt" zu sehr, der andere zu wenig.

Männer können mich mal am Arsch lecken.

«Das weiß ich selbst», brummt er. «Aber ein Zurück gibt es nicht. Irgendwann wird sie sich in mich verlieben.»
Ich rolle meine Augen. «So naiv bin nicht einmal ich.»
«Du bist genauso naiv», sagt Luigi. Mich überrascht, dass er seine Naivität nicht abstreitet. «Du dachtest, Leandro würde dich lieben.»

Das war ein unerwarteter Stich ins Herz. Doch dann runzele ich meine Stirn. «Woher weißt du das?» Niemand außer Leandro und ich selbst, wissen von dem Vorfall. «Hat dieser Psychopath damit geprahlt, mein Herz erobert zu haben?» Panik fliegt in meiner Stimme mit.
Das würde er nicht tun, oder? Allerdings hat er auch vor meinen Augen eine andere geküsst und mein Herz gebrochen. Er hat die ganze Zeit mir bewusst etwas vorgespielt, dafür gesorgt, dass ich mich in ihn verlieben. Ich hätte es wissen müssen. Kein Mann kann so perfekt sein.

Luigi schürzt seine Lippen, antwortet nicht.
Die Falten graben sich tiefer in meine Stirn. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass irgendetwas nicht stimmt. Luigi verschweigt mir etwas. Meine Gedanken rasen, versuchen herauszufinden, was mir entgeht. Dann geht mir ein Licht auf. «Du hast Leandro erpresst! Gib es zu! Du hast–»

Ein lautes Schrillen unterbricht mich.
Ein Alarm.

Meine Augen reißen auf. Feuer? Oder– Könnte es sein? Könnte es wahrhaftig sein? Kommt Leandro zu meiner Rettung?
Nein, ich naive Idiotin. Leandro hat mich verlassen, hat mir gezeigt, wie viel – oder besser gesagt wie wenig – ich ihm bedeute. Doch was ist, wenn ich recht habe? Wenn Luigi hinter alle dem steckt?
Verdammtes Herz. Ich werde nicht noch einmal so naiv sein.

Doch vielleicht kommen Sergio, Mayra und Dorian mir zur Rettung. Hoffentlich. Denn ich fühle einen ausgeprägten Wunsch den Mistkerl vor mir zu verletzen, bis er um Erbarmung winselt. Erbarmung, die er nicht bekommen wird.

Wegen Luigi ist Najada tot, Miguel im Koma, und meine Mutter sechs Jahre in Gefangenschaft, während ich dachte, sie wäre tot. Sobald ich entfesselt bin, wird Luigi brüllen, betteln und bluten.

Ich bin kein Superheld. Ich bin nicht gut. Ich lasse die Menschen leiden, die meinen Liebsten Schmerzen zu bereiten, Ich vergebe nicht, ich bringe den Tod.

Luigi flucht. Mit zusammengepressten Lippen und herausstehenden Wangenknochen geht er an sein klingelndes Smartphone und eilt aus dem Zimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Ich höre noch wie er sagt: «Division Eins zu Gefangene Eins. Division zwei-» Dann verklingt seine Stimme, genauso wie seine Schritte.

Ein Stoß Adrenalin schießt durch meine Adern. Mehrere Ideen sausen durch meinen Kopf, aber keine ist effektiv, keine Idee garantiert meine Befreiung aus den Fesseln. Die Seile sind dick, robust (und sehr kratzig). Ohne ein scharfes Messer bin ich machtlos.

Meine Finger finden den Weg zu dem Verlobungsring meiner Mutter. Flink schraube ich die zierliche Rose vom Ring ab, entblöße den kleinen, aber spitzen Stachel. Dies wird mich nicht befreien können, doch, falls mir jemand anderes zu Hilfe eilt und mich entbindet, und ich anschließend mit jemand kämpfen muss, schmerzt meine Faust mehr, als meine pure Stärke es tun würde. Der Stachel wird mich nicht retten, allerdings ist im Kampf jede noch so kleine, harmlose Waffe entscheidend.

Auf einmal höre ich schnelles Fußgetrampel, welches auf mich zukommt. Hoffnung entflammt, wird jedoch im Keim erstickt, als ich höre, wie eine männliche Stimme schnaufend brüllt: «Passt auf! Fallt auf keine Tricks rein! Wenn wir sie nicht in den Keller bringen, wird Luigi uns umbringen!»

Meine Mundwinkel zucken. Er respektiert mich, fürchtet mich. Besser so. Jeder, der mich bisher unterschätzt hat, hat seine Überlebenschancen weit überschätzt.

_________________________

Der nächste Part wird wieder etwas länger. Sorry, dass momentan nur relativ kurze Parts kommen & auch nur einmal pro Woche

Mafia Romance 1 Where stories live. Discover now