|| 25 || Mona Lisa

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Avyanna Salvatore

«Beeindruckendes Anwesen», sage ich mit dem Blick auf den Cassamento Turm. Natürlich habe ich schon Bilder von dem Turm gesehen – allein schon, da er des Öfteren in den Nachrichten erwähnt wird – allerdings habe ich ihn noch nie in echt gesehen. Normalerweise gehe ich strikt den Anwesen der anderen Mafia Bosse aus dem Weg, um bloß nicht jemanden zufällig zu begegnen.

Leandro hat mich eingeladen, ihn zu besuchen. Er meinte, dass er nun schon mehrmals bei mir zu Hause war, aber ich noch nie bei ihm. Das wolle er ändern. Und nun stehe ich hier, direkt vor dem Turm, mit dem Kopf in den Nacken gelegt, um die Größe des Hochhauses zu erfassen.

«Nicht wahr?», schmunzelt Leandro neben mir. «Wollen wir?» Er bietet mir seinen Arm an. Lächelnd hacke ich mich bei ihm unter. Ein glücklicher Papparazzo schießt Fotos, während Leandro und ich gemeinsam den Cassamento Turm betreten. Die Bilder werden noch morgen in allen Zeitschriften und Nachrichten zu sehen sein.    
Jeder weiß, dass lediglich Familia Mitgliedern und Bekanntschaften für eine Nacht Einlass in den Cassamento Turm gewährt wird. Zu welcher Kategorie gehöre ich?

Es das erste Mal, dass Leandro höchstpersönlich eine Begleitung mit in den Turm bringt und dazu gleich noch ein anderer Mafia Boss. Nicht nur irgendein Boss, sondern ausgerechnet eine Frau. Das wird Aufsehen erregen.
In weniger als vierundzwanzig Stunden werden sämtliche Gerüchte über unsere Beziehung im ganzen Land kursieren. Die Welt wird früher über unsere Beziehung spekulieren, als ich mir auch nur einen einzigen Gedanken in diese Richtung gewähre.

Ich will und kann einfach nicht über diese Verbindung zwischen Leandro und mir nachdenken. Vor wenigen Wochen hielt ich Leandro für einen eingebildeten, machtbewussten Boss, dem alle Frauen zu Füßen liegen – und damit lag ich goldrichtig.

Allerdings hat er noch so viele andere Facetten, die ich niemals bei ihm erwartet hätte. Facetten, die mich berühren, mein Herz zum Stolpern bringen und Schmetterlinge in meinem Bauch erwecken.

Nun führt mich Leandro in einen Aufzug, der von zwei Wächtern bewacht wird. Ausschließlich Leandro, Cassian, sein Unterboss und sein Vater dürfen diesen Aufzug benutzen, da nur dieser in die oberen Stockwerke fährt.
Leandro schaut mich für einen Augenblick eingehend an, bevor er die Tasten drückt, um ins höchste Stockwerk zu gelangen.

Als sich die Aufzugstüren hinter uns schließen, sage ich zu ihm: «Danke, Leandro.» Irritiert dreht er sich zu mir. «Ich weiß den Vertrauensbeweis zu schätzen.» Nicht jeder darf sein Stockwerk betreten. Daher zeigt es umso mehr Vertrauen, dass er mich, eine potenzielle Gegnerin, in seine privaten Gemächer einlädt.

Leandro lächelt und sieht mich mit einem Blick an, der mein Herz höher schlagen lässt. Dann gehen auch schon die Aufzugstüren auf und wir treten hinaus.
Die Wände im Gang sind in einem beigen Ton gehalten, geschmückt mit Familienportraits und bekannten Gemälden.

Als wir an einem eingerahmten Gemälde, welches die Mona Lisa von Leonardo da Vinci zeigt, vorbeilaufen, stoppe ich und betrachte es genauer. Leandro hält neben mir an, verschränkt grinsend seine Hände hinter dem Rücken.

Ich lege meinen Kopf schief. «Das Gemälde wirkt täuschend echt.» Ein Schauder läuft meinen Rücken herab. Es stimmt, man fühlt sich wahrhaftig von ihrem Blick verfolgt. Die Wirkung die dieses Gemälde auf mich hat ist fast schon beängstigend. «Wer hat es gemalt?» Der Künstler ist äußerst talentiert. Er hat es geschafft Leonardo da Vincis Stil so einwandfrei nachzuahmen, dass man glauben könnte, man hat das Original vor sich.

Leandro grinst verstohlen. Während sein Blick weiterhin auf dem Bild verweilt, sagt er: «Leonardo da Vinci.»

Ich rolle meine Augen. «Ich lebe nicht auf dem Mond. Ich weiß, wer das Original gemalt hat.» Genauso weiß ich, dass das originale Werk im Pariser Louvre ausgestellt ist. «Aber wer hat diese Fälschung gemalt?» Ich wende mein Blick von der Fälschung ab und sehe Leandro an, der sich nun auch zu mir dreht.
Leandros Augen leuchten auf. «Das Gemälde wirkt nicht nur täuschend echt, es ist echt.»

Meine Augen fallen mir beinahe aus meinen Augenhöhlen. Bitte was? «Du verarschst mich.» Daraufhin lacht er. Mit gerunzelter Stirn mustere ich zuerst Leandro, dann das Gemälde und wieder Leandro.

«Ich würde dich niemals anlügen, Avyanna.»

«Das Gemälde», ich zeige auf die Mona Lisa, «ist wirklich das Original?» Leandro nickt. Meine Augenbrauen wandern in die Höhe. «Dann ist die Mona Lisa im Louvre also eine Fälschung?» Wieder nickt er. Die einzig wichtige Frage, die jetzt noch übrigbleibt ist: «Wie?? Wie zur Hölle hast du das geschafft?»
«Ich bin ein Mafia Boss», grinst er, als würde das alles erklären.

Ich seufze und unterdrücke ein Augenrollen. «Das beantwortet meine Frage nicht.»
«Ich habe viele Kontakte und bin einflussreich.» Leandro zuckt mit den Schultern. «Und Geld. Ganz viel Geld.» Ein weiterer Beweis, dass Geld sämtliche Türen öffnet. «Mit der richtigen Portion von Drohungen und einer Menge Stapel von Geldscheinen ist nichts unmöglich.»

Lächelnd schüttle ich leicht den Kopf. «Unglaublich.»
Ganz langsam verblasst Leandros Lächeln. Er senkt seinen Kopf, bevor er mir wieder in die Augen schaut. «Meine Mutter war ein großer Fan von Leonardo da Vinci. Sie schwärmte oft von der Mona Lisa und flog immer, wenn es ihr schlecht ging, mit dem Privat Jet zum Louvre, nur um dieses Gemälde zu betrachten.» Er schluckt. «In den Monaten vor ihrem Tod hatte sie nicht mehr die Kraft dies zu tun.»

Er stockt kurz, dann redet er mit gesenkter Stimme weiter: «Schließlich dachte ich mir, dass dann das Bild zu ihr kommen muss, wenn sie nicht mehr zu dem Bild kommen kann.»

Er macht eine kurze Atempause. «Es hat lange gedauert die richtigen Personen zu finden und zu bestechen. Es sollte eine Überraschung für meine Mutter werden, daher hab ich alles daran gesetzt, das Gemälde zu bekommen. Es war schwer meiner Mutter dieses Projekt zu verheimlich. Schließlich habe ich mir sehr auf ihre Reaktion gefreut und wollte ihr ständig von meinem Plan erzählen. Aber ich konnte mich zusammen reißen. Sie hat nichts geahnt.»

Für einen kurzen Augenblick schließt er die Augen. «Nach viel Überredungskunst, mehreren Drohungen und einer Menge Geld habe ich dann endlich meinen Willen durchsetzen können. Jedoch zu spät. Das Bild kam erst nach ihrem Tod an. Mein Geschenk kam einen einzigen Tag zu spät an. Sie hat es nicht mehr gesehen.»

Als Leandro seine kleine Geschichte zu Ende erzählt hat, stehen ihm, wie auch mir, Tränen in den Augen. Seine Mutter hat niemals von seinem Geschenk erfahren. Sie wusste nicht, dass Leandro für sie das Unmögliche möglich gemacht hat.

Ich hebe meinen Kopf, schaue ihm mit meinen feuchten Augen direkt in seine. Wie von selbst hebe ich meine Hand, lege sie an seine warme Wange und streichle sie mit meinem Daumen. Eine heiße Träne tropft auf meine Hand.

«Oh, Leandro», hauche ich. Mein Herz schmerzt. Ich weiß nicht, was mehr weh tut: Leandros Geschichte oder sein Blick?

Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss, als sie verstarb und er wusste, dass sie nie sein Geschenk erhalten konnte. Es muss bestimmt Wochen, wenn nicht Monate, gedauert haben, um eine perfekte Fälschung zu finden, sämtliche Leute zu manipulieren und zu bestechen, und dann einen Plan auszudenken, wie man das gut bewachte Gemälde mit der Fälschung austauschen kann.
So viel Arbeit – umsonst.

«Das tut mir so, so Leid für dich.» Eine Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wange. «Deine Mutter hätte die Geste bestimmt sehr berührt. Aber ich bin sicher, sie wusste auch so, wie viel sie dir bedeutet.»
Leandro presst seine zitternden Lippen aufeinander, schließt seine Augen und atmet tief durch. Dann hebt er seine Hand, legt sie auf meine, die noch immer an seiner warmen Wangen verweilt.

Unsere Blicke treffen sich. Amethyst auf Orient.
Für einen Moment bleibt die Welt um uns herum stehen.

Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, mein Atem stockt. Ich schlucke schwer, überwältigt von der knisternden Spannung, die sich gebildet hat. Schweren Herzens reiße ich meinen Blick von seinem und entziehe meine zitternde Hand seinem Griff.
Doch noch während ich meinen Arm senke, schnellt seine Hand nach vorne, packt mich am Handgelenk. Plötzlich zieht er mich in eine Umarmung. Mein Herz bleibt stehen, die Luft weicht aus meinen Lungen.

Als seine starken Arme sich um mich schließen, ich seinen Duft einatme, seine Wärme mich umgibt, mein Kopf auf seiner definierten Brust liegt und ich seinem rasenden Herzschlag lausche, stelle ich fest, unsere Herzen schlagen im Gleichklang.

Mafia Romance 1 Where stories live. Discover now