|| 58 || Kriege fordern Unmenschliches

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Avyanna Salvatore

Nun wende ich all meine Aufmerksamkeit auf Avan, der gerade seinen verstorbenen Freund anschaut, mit einem so verletzten Ausdruck in den Augen, dass er mir fast leidtun könnte.
Doch es ist nicht meine Schuld. Der Blonde hat Luigi gedient, seine Machenschaften unterstützt. Er verdient den Tod. Genauso wie Avan.

Während Avan versucht seine Tränen wegzublinzeln und ich tief durchatme, huscht mein Blick zu meiner Mutter und Luigi, die noch immer kämpfen, beide ohne schwerwiegende Verletzungen. Wobei man es kaum Kampf nennen kann, da Luigi größtenteils nur ausweicht und Schläge abwehrt. Dabei wäre es nicht schwer, meine Mutter umzubringen, denn ihre Kondition sowie Konzentration lässt nach. Aber Luigi scheint die wenigen Schläge und Tritte, die ihn treffen, über sich ergehen zulassen.
Zumindest muss ich mir keine Sorgen, um meine Mama machen.

Mein Leben wiederum ist in akuter Gefahr. Die Trauer in Avans Augen ist verschwunden, hat Platz für Rachedurst gemacht. Seufzend streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Nicht nur die Kondition und Konzentration meiner Mutter lässt nach, sondern auch meine. Meine Kehle ist trocken, verlangt nach Wasser, und meine Muskeln sind schwer, sehnen sich nach einer Verschnaufpause. Jedoch sind Kriege brutal, fordern unmenschliches.

Avans Blick trifft auf meinen. Ein Schatten liegt auf seinen tiefblauen Augen. Wir umkreisen uns. «Ich werde dir dein Leben nehmen, wie du mir mein Leben genommen hast.»
Meine Stirn legt sich in Falten, bis mir ein Licht aufgeht. «Ohh», entfährt es mir. «Du hast ihn geliebt.»
Schmerz blitzt in seinen Augen auf, bevor der Schatten seine Gefühle auffrisst, Schwere zurücklässt. Er schnappt sich den Dolch von seinem Waffengürtel, umgreift ihn, dass seine Adern hervortreten. «Er ist –» Stocken. «Er war alles, was ich habe.»

Mein Herz zieht sich zusammen. Er mag auf der falschen Seite stehen, aber er ist noch immer ein Mensch. In diesem Moment wird mir mal wieder bewusst, dass ich nicht seelenlose Teufel töte, sondern echte Menschen. Ich schlucke schwer. Dennoch, er ist einer von Luigis Männern, der mich zudem nur allzu gerne umbringen möchte. Mitgefühl wird nur zu meinem Tod führen. Entweder ich töte Avan oder er tötet mich.

Innerhalb eines Wimpernschlages sperre ich meine Gefühle in die Tiefen meines Herzens. Im Krieg sind Gefühle Hindernisse und Schwächen, nichts weiter.
Kriege fordern wahrhaftig unmenschliches.

Ich lege meinen Kopf schief, während wir uns weiterhin umkreisen, den jeweils anderen scharf beobachten, bereit anzugreifen. «Du unterstützt Luigi. Du verdienst jedes Leiden.»
Er schnaubt, sein Körper spannt sich an. Sein Blick saust zu Luigi. Meine Stirn legt sich in Falten. Ist das Hass in seinen Augen? «Luigi und sein homophober Arsch kann mich mal.»

Von dem Geständnis überrumpelt, sehe ich nicht rechtzeitig kommen, wie Avan mich angreift. Ich schaffe es gerade noch den Dolch aus seiner Hand zu schlagen, bevor er ihn in meinem Herz vergraben kann. Der Dolch schlittert über den Boden. Von Frust ergriffen, schreit Avan auf. Er reißt mich zu Boden. Ich grabe meine Finger in sein T-Shirt, reiße ihn mit mir mit. Er schafft es, mich zu entwaffnen. Mein Messer rutscht nur wenige Zentimeter über den Boden, jedoch kann ich es nicht greifen, brauche beide Arme für den Kampf.

Schließlich rollen wir uns auf dem Boden, versuchen den jeweils anderen zu treten und zu schlagen, ganz so, als wären wir Teenager die sich im Schulhof vermöbeln.
Auf einmal schlägt er auf meine Stirn. Mit Wucht prallt mein Hinterkopf gegen den Boden. Ich keuche auf, versuche den pochenden Schmerz zu ignorieren, während Sterne vor meinen Augen tanzen. Aus Reflex fasse ich mit einer Hand an die verletzte Stelle. Schneller als ich blinzeln kann, greift Avan nach meinem Messer. Ein Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.

Meine Augen weiten sich, meine Haare stellen sich auf. Blankes Entsetzen rast durch meine Adern. Mein Gehirn sucht nach einer Lösung, mich aus der misslichen Lage zu befreien, allerdings war der Aufprall auf den Boden hart und stechende Kopfschmerzen behindern meinen Denkprozess. Verdammt.

Ich versuche mich aus seinem Griff rauszurollen. Avan reagiert mit einem Stich in meinen rechten Oberschenkel. Ich schreie auf. Noch bevor mein Schrei in der Luft verklingt, holt er erneut aus, sticht mir wieder genau in die frische Oberschenkelwunde. Schrill erklingt mein Schmerzensschrei. Ich presse meine Augen zusammen, eine Träne rollt über meine Wange. Als ich kurz blinzele, um zu sehen, was er tut, erkenne ich die überwältigende Rachesucht in seinen Augen, die das tiefe Blau in ein unheilvolles Schwarz verfärbt.

Erneut bohrt sich das Messer in dieselbe Wunde. Aber dieses Mal schreie ich nicht. Stattdessen beiße ich mir auf meine Lippe. Ein metallener Geschmack bereitet sich in meinem Mund aus. Weitere Tränen fließen über mein Gesicht. «Du Teufel!», zische ich.

In einem erbärmlichen Versuch, ihn zu entwaffnen, kneife ich ihm unter den Achseln, wodurch er zwar kurz keucht, jedoch das Messer nur noch fester umklammert. Das Feuer der Rachelust flammt in seinen Augen auf.

Keine Sekunde später dringt die Messerklinge in meinen anderen Oberschenkel. Meine Zähne bohren sich tiefer in meine Lippen, Tränen nehmen mir die klare Sicht.
Na toll. Jetzt kann ich gar nicht mehr laufen, geschweige denn kicken oder wegrennen.

«Du willst Luigi verletzen?», presse ich unter Schmerzen hervor. «Hintergehe Luigi. Trete meiner Mafia bei.»
Gefühlskalt lacht er auf. «Jämmerlich.» Sein Blick huscht zu Luigi. «Ihr beide seid jämmerlich.»
Empört schnappe ich nach Luft. Hat er mich gerade mit Luigi gleichgesetzt? Mich jämmerlich zu nennen ist eine Sache, aber mich mit Luigi auf eine Stufe runtersetzen eine ganzandere.

Rasend vor Wut haue ich ihm so schnell gegen sein Kinn, dass er keine Chance hat, auszuweichen. Er schreit auf, als es knirscht. Verdient. «Im Gegensatz zu Luigi unterstütze ich LGBTQ+!»
Er rollt seine Augen, bevor er sich an sein Kinn fasst. «Das macht dich nicht automatisch zu einem guten Menschen.»

Es dauert eine Sekunde, bis ich dies verdaut habe. Er hat Recht. «Ich habe nie behauptet, ich wäre ein guter Mensch.»
«Dann sind wir uns ja einig, dass du das hier verdienst.» Und schon saust das Messer auf meine Brust zu.

Im letzten Moment drehe ich mich soweit wie möglich zur Seite. Die Klinge streift meine linke Schulter.
Zischend packe ich sein Handgelenk, möchte einen Polizeigriff anwenden, um ihn zu entwaffnen, jedoch reagiert er schneller und schlägt mit seiner freien Hand gegen meine Nase. KNACK!
Auch ohne Röntgenbilder weiß ich, dass meine Nase gebrochen ist. Scheiße schmerzt diese Kacke!

Reflexartig greife ich nach meiner Nase. Warmes Blut fließt auf meine Lippe. Wunderbar. Jetzt habe ich Blut im und auf dem Mund. Einfach wunderbar.

Okay, so langsam wird es Zeit Panik zu schieben.

Wir zur verdammten Hölle soll ich mich aus seinem Griff befreien? Wie, verdammt nochmal, soll ich hier lebend rauskommen?

Verzweifelt wie ich bin, versuche ich ihm mein Knie in seine Intimzone zu knallen, allerdings ist dies nicht möglich. Belustigt schmunzelt er. «Ich habe besseres von dir erwartet, Lady.»

Und booom. Zorn explodiert in meinem Inneren. Ich schreie auf. Mein linker Arm schnellt nach vorne, deutet einen Schlag an. Gleichzeitig winkele ich meinen Arm an, schlage ihm mit meinem Ellbogen gegen sein Auge. Zu meinem Bedauern gelingt es ihm rechtzeitig seine Augenlider zu schließen. Drei Tränen rollen über seine Wange.

Sein Schrei zerreißt die Luft. Irritiert runzele ich meine Stirn. War mein Schlag so stark?
Gerade als ich zu einem weiteren Schlag ansetzen möchte, verharre ich mitten in der Bewegung. Die Anspannung weicht aus Avans Körper. Sein Schrei mag verklungen sein, doch seine Augen schreien weiter.
Plötzlich kracht er zu Boden und seine Augen verlieren ihr Licht.

Was zur Hölle ist gerade passiert?

Mafia Romance 1 Where stories live. Discover now