4 Levyaku

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„Levochka!", breiter als breit grinsend rannte die junge Frau auf ihren Bruder zu, zog ihn in eine feste Umarmung. Es war zwar nicht einmal einen halben Monat her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, sie hatte wegen einer dringlichen Angelegenheit nach Russland gemusst, doch ihren süßen Bruder vermisste sie schon, wenn sie ihn nur einen halben Tag nicht sah.

„Du erdrückst mich Alisa", keuchte er, versuchte sich aus dem Klammergriff der Älteren zu befreien, scheiterte kläglich, auch wenn man es ihr nicht direkt ansah, war sie recht muskulös, nicht so sehr wie er, aber wenn sie ihre ganze Kraft einsetzte, dann löste er sich nicht von ihr.

„Alisa, bitte ich brauche Luft!", gespielt röchelte er, grinste seine Schwester belustigt an, war sie doch die Ältere, vermisste ihn aber immer weitaus mehr als er sie. „Ist ja gut", leicht beleidigt zog sie sich zurück, verschränkte ihre Arme vor der Brust und musterte ihren Bruder eingehend.

„Wo ist Yaku?", fragte sie dann nach ihrem zukünftigen Schwager, blickte sich irritiert um, in der Regel waren die beiden nicht voneinander zu bekommen, wohl besser Lev war nicht von Morisuke zu bekommen, aber die Details waren ihr jetzt egal, sie wollten nur wissen wo der Verlobte ihres Bruders blieb.

„Er ist noch beschäftigt", erklärte der Jüngere, schnaubte dann, „Warum interessierst du dich eigentlich mehr für Morisuke als mich?" Es war kein richtiger Vorwurf, mehr so ein halber oder auch gar keiner, aber irgendwie fraß ihn das ein ganz klein bisschen an. „Weil ich sehen will, was mein Bald-Schwager macht!", erklärte Alisa völlig selbstverständlich, zog die Schulter hoch.

 „Tja, wenn er noch arbeitet, dann kann man wohl nichts ändern. Bevor ich es vergesse, Mama und Papa wollen heute Abend mit uns essen gehen, seit um acht im üblichen Restaurant, wir sehen uns dann!", genauso blitzartig wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder, ein Fahrer öffnete ihr die Tür zu der lackschwarzen Limousine, bevor sie gänzlich in dem schicken Gefährt verschwand, winkte sie ihrem Bruder noch einmal, stieg ein und das Auto fuhr los.

Ohne anzuklopfen betrat Lev das Büro seines Partners, in dem gerade eine Handvoll Männer von einem kleinen Problem berichteten, er hört nicht genau zu, war nicht sein Aufgabenbereich, also war ihm da so ziemlich egal. Er konnte verstehen, warum zwei der Männer leicht zitterten, wenn Dinge nicht nach Morisukes Plänen verliefen, wurde der Kleine oft ungemütlich, dass hatte er schon am eigenen Leib gespürt.

Die schwere Tür fiel ins Schloss und auf einmal wandten sich alle Anwesenden zu dem Halbrussen um, die fünf Männer in Anzügen verbeugten sich, sein Verlobter bedachte ihn mit einem recht kühlen Blick. „Warum bist du hier?", fragte er dann, ignorierte gekonnt, dass seine Männer anwesend waren, war es für ihn lästig, dass Lev in dem Moment auftauchte, in dem er ihnen ihre Strafe hatte verkünden wollen. 

„Alisa hat uns eingeladen, Abendessen um acht", erklärte er, sprang leichtfüßig wie eine Katze auf den Mahagoni-Tisch und lächelte seinen Geliebten von oben ein wenig an. „Sag ihr, ich kann nicht, ich muss arbeiten"; erklärte der Ältere, fuhr sich durch das Haar und lehnte sein Gewicht den Gehstock, den er immerzu bei sich trug. 

„Geht nicht, meine Eltern sind die Gastgeber", überlegen grinste Lev, sich bewusst darüber, dass Morisuke so einmal von seinem Schreibtisch und der Arbeit davon kam, die ihm im übermäßigen Maße schadete. Genervt griff der Ältere sich an die Stirn, drückte mit Zeige und Mittelfinger und Daumen dagegen und atmete tief ein. 

„Gut, heute Abend um acht, das geht schon irgendwie, dann verschiebe ich zwei Meetings auf Morgenfrüh", er grübelte ein paar Sekunden lang vor sich hin, legte gedanklich zwei Termine an den nächsten Morgen, einen an den Abend, quetschte noch drei in den restlichen, sowieso schon vollen Zeitplan, wenn der Tag doch nur mehr als vierundzwanzig verdammte Stunden hätte.

„Geht!", überrascht blickte Morisuke auf, starrte seinen Partner fassungslos an, der seine Männer mit einem derart aggressiven Blick beäugte, dass sie innerhalb von einer Millisekunde das gigantische Büro verließen, keine Gegenfragen stellten, sich einfach nur aus dem Staub machten. 

„Was sollte das?", fuhr er den Jüngeren an, starrten ihn so vernichtend an wie er es konnte, Lev brachte seine Zeitplan noch mehr durcheinander als es das Abendessen mit seinen Eltern tat, eine Pflichtveranstaltung der er gern beiwohnte, die für ihn aber auch immer eine gewaltige Portion Leistungsdruck bedeutete. 

Er war nicht ihr Sohn, er war ja noch nicht mal mit diesem verheiratet, sie waren lediglich verlobt, die Hochzeit für das nächste Jahr angedacht. Es stand außer Frage, dass er Lev leibte, tat er seit Jahren und er würde es für. immer tun, alles würde er für diesen kindischen Idioten wegwerfen, sosehr liebte er ihn. Levs Eltern waren nicht unbedingt streng, nur eiskalte Mafiosi, er selbst hatte diese Kälte nur vom Zusehen erlebt und von Lev der ein einziges Mal, als ein verquerer Typ in angeschossen hatte, so frostig gewesen war, dass er beinah Angst vor ihm bekommen hatte. 

Er konnte sich keine Fehler erlauben, er musste jede Aufgabe perfekt erledigen. Er war kein Blutsverwandter, lediglich der verlobte ihres Sohnes, Fehler waren strikt verboten, seine Arbeit durfte keine Probleme bereiten. 

Das waren Regeln, die er sich selbst auferlegte, die beiden Bosse vertrauten ihm, sie eine bildhübsche Japanerin, führte eine Yakuzaorganisation in der elften Generation, er ein durchtrainierter Russe, hatte seine Organisation von seinem Vater mit gerade mal siebzehn übernommen, in so einem Stammbaum waren Fehler unzulässig. 

Das Ironische daran war wohl, dass nicht ihr gemeinsamer Sohn sich druck macht, sondern sein Partner. Lev war in dieser Welt großgeworden, er plauderte spielerisch mit seinen Eltern, Morisuke mochte sie, sie mochten ihn aber er hatte Angst einen Fehler zu begehen.

„Hör auf damit immer nur zu arbeiten, dass ist nicht gesund verdammt, außerdem nimmst du dir keine Zeit mehr für mich, für uns!", seine Stimme, Levs Stimme, war fest gewesen, bist zu dem Punkt als er sie, ihre Beziehung angesprochen hatte. 

Er leibte Morisuke, doch dieser verbrachte mehr Zeit an seinem Schreibtisch als mit ihm, sie sahen sich in der letzten Zeit außerhalb des beruflichen Rahmens nicht mehr oft und das obwohl sie zusammen in einer gigantischen Wohnung lebten. Wenn Morisuke denn irgendwann mal nach Hause kam, er tat es oft auch nicht, schlief vielleicht drei Stunden in seinem Büro, war Lev schon gänzlich im Schlaf versunken. 

„Ich will einfach nur nichts falsch machen, weißt du. Ich hab das Gefühl wenn ich nicht genug arbeite, bin ich es nicht wert hier zu sein, dich zu haben", wann er das letzte Mal geweint hatte wusste der Ältere nicht, es war bestimmt lang her. Auch an ihm nagte das Niesehen, aber er musste doch arbeiten um bei Lev bleiben zu können.

„Du verlierst mich, indem du immer nur arbeitest Morisuke", flüsterte Lev, nahm das Gesicht seines Geliebten in seine Hände, fuhr sanft die Tränen nach, wischte sie weg. „Fahr einfach mal ein bisschen runter, ja Love?",  er schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln, küsste ihm eine der salzigen Tränen weg. 

„Ich versuche es", vorsichtig nahm der jüngere Levs Hände in seine, drückte sie und blickte ihn dann wieder an, „Ich versuche es", wiederholte er seine Worte, hauchte einen sanften Kuss auf ihre verschränkten Hände. 

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now