21 Soukoku

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Sein ganzer Körper schrie, tief gehend durchzog ihn der Schmerz, kroch in jeden Winkel seines Fleisches, kletterte in die Muskel, nistete sich im Blut ein. Alles tat einfach nur weh, schmerzte, er war nicht in der Lage etwas anderes zu empfinden, so vorherrschend, so mächtig war der Schmerz.

Er spürte den kalten Boden unter sich, er stach ihm in den Rücken. Ein eisiger Wind wehte durch die zerbrochenen Fensterscheiben, kroch in seine Knochen, ließ ihn noch mehr leiden als schon die Wunden es taten.

Seine Arme waren an mehreren Stellen aufgeschlitzt, seine Schulter hatte eine Kugel gestreift, aus mindestens zwanzig Wunden quoll warmes rotes Blut. Es quoll ihm über den gesamten Körper, benetzte die einst so reine Haut, Haut die früher einmal weich und hell gewesen war, schöne Haut, sanfte Haut. Seine Hände waren einmal sanft gewesen, die Fingerkuppen nicht rau, seine Hände nicht beschmutzt, heute waren sie getränkt in Blut.

Er konnte nicht sagen wie viele Menschen seine Hände schon verletzt hatten, gefoltert, getötet, vielleicht wollte er das auch gar nicht. Er lief gern davon, wenn er nicht mehr wollte. Er lief immerzu vor der Wahrheit davon, eine angeborene Veranlagung, die er selbst am allermeisten hasste.

Er ertrug nicht weiter zuzusehen und so lief er davon, verschwand im nichts, zog davon, versteckte sich vor der Realität. Er war doch kein Monster. Und doch benahm er sich wie eines, wie ein menschliches Monster, ein böswilliges.

Selten konnte er sich an eine Zeit erinnern zu der er kein Monster gewesen war, ihm Menschenleben etwas bedeutet hatten, einen gewissen Wert besaßen. Mittlerweile besaß nicht einmal sein eigenes Leben einen Wert, er selbst, seine ganze Existenz war zu nichts weiter gut. Warum lebte er überhaupt noch?

Ein impulsiver Schmerz durchzog ihn, ging aus von seinem Bauch, oberhalb der linken Taille, einer Taille die derart schmal war, dass eine große Anzahl an Frauen ihn sicher um sie beneidet hätte, ein Neid den er niemals verstehen können würde, seine Statur hatte ihm immerzu Probleme bereitet, war ein tiefer Schnitt, er zog sich schräg über seinen halben Oberkörper bis hin zur rechten Brust.

Wir automatisiert wanderten die Finger seiner rechten Hand an den untersten Punkt des Schnitts, die tiefste Stelle, das spitze Messer hatte sich durch sein Fleisch gefressen, erbarmungslos wie eine gierige Raubkatze, sanft strich er mit den Fingern seiner grausamen Hand am Rand der Wunde entlang.

Er wusste wie solch ein Schnitt zu behandeln war, er hatte das schon hunderte Male gemacht. er hatte Kugeln aus blutendem Fleisch gezogen, hatte Wunden genäht, hatte sie mit hochprozentigem Alkohol behandelt, immerzu dafür gesorgt, dass niemand starb.

Doch diesmal würde er sich nicht um die Wunde kümmern, dieses Mal würde er gar nichts tun. Zum einen weil er nicht die Kraft dafür hatte, nicht mal mehr gerade sitzen konnte, zum anderen weil er es einfach nicht wollte.

Er wollte nicht weiter, er wollte nicht wieder aufstehen, nicht weitermachen. Er hatte es immer getan, einfach weiter gemacht, weiter gelebt als wäre nichts gewesen. Er hatte eine Welt akzeptiert, zu seiner eigenen gemacht, die er selbst abstoßend fand, weil es einfach bequem war, er in dieser Welt nicht davon rennen musste, stehen bleiben konnte.

Schritte hallten in dem leeren Saal wieder, federleichte Schritte, die dennoch so klar und deutlich waren, so stark, dass er innerhalb eines Wimpernschlags wusste wem sie gehörten, wer gerade dieses zerstörte Gebäude betrat.

Er kommentierte es nicht, abgesehen davon, dass seine Stimme mittlerweile recht schwach klingen würde, wollte er es auch nicht. Er wollte keinen Kontakt mehr zu Lebenden, keinen Kontakt mehr zu jemandem der noch atmete. Er ertrug er nicht damit konfrontiert zu werden, einfach in Ruhe seinen letzten Atemzug tun zu wollen.

Die Schritte wurden schneller, er nahm einen unruhigen Atmerhythmus war, Chuuya war in Eile, vermutlich besorgt, suchte ihn. Die Schritte stoppten, Osamu blickte nach wie vor an die Decke des Raumes, studierte die Malereien, blickte nicht in die Richtung, in der Chuuya stand, sein Chuuya.

Der Chuuya der in Windeseile neben ihn hechtete, sich neben ihn kniete, die Wunde betrachte.
Der Chuuya dem die Farbe aus dem Gesicht wich, als er erkannte wie tief die Wunde war, dass sie Organe verletzte, bemerkte wie groß die Blutlache war, die sich unter Osamu gebildet hatte.
Der Chuuya, der sanft seine Hand ergriff, offensichtlich unwissend, was er überhaupt tun sollte, tun konnte.
Der Chuuya, der ihm einmal sanft an der Wange entlang strich, ihm einen Kuss auf die kühlen Lippen hauchte, ihm durch die Haare wuschelte.

„Wir kriegen das wieder hin, ja?", fragte er, lächelte. Nein, das bekamen sie nicht wieder hin, nein er würde nicht wieder leben, er würde nicht wieder gehen, nicht wieder lachen, ihn nicht wieder necken. Er würde gar nichts mehr.

„Hey Osamu, alles ist gut", sagte er, erfasste die linke Hand, die von Osamu so verhasst wurde, seine beiden Hände hasste er, weil sie Dinge taten, die er doch eigentlich nicht tun wollte. Nein war es nicht, nichts war gut, nichts okay, nichts würde wieder gut werden, nichts.

Chuuya legte sich neben ihn, drückte seine Hand fest, spürte einen sanften Gegendruck, eine kalte schlanke Hand erfasste seine, gab ihm Halt, den Halt den doch er geben sollte. Er fasste sie stärker diese Hand, diese Hand die seinen Körper entlang geglitten war, ihn so unmenschlich gut hatte fühlen lassen, er zerquetschte sie beinah diese schmächtige Hand.

„Es ist okay", flüsterte Osamu, seine Stimme war so kaputt, dass sie beinah nicht zu hören war. Sie war dünn und brüchig, so wie er selbst. Er war schon so lange kaputt, er ertrug das alles einfach nicht. Er ertrug nicht schwach zu sein, er ertrug nicht, dass alle ihn kaputt machten, alle außer Chuuya, den er kaputt machen würde, weil er einfach gehen würde, er ertrug diese Welt nicht, sie machte ihn krank.

„Es tut mir leid", hauchte er, drehte seinen Kopf in Chuuyas Richtung, blickte ihm tief in die ozeanblauen Augen, verlor sich für einen langen Augenblick in ihnen. Ein stiller Moment der Zuneigung, der letzte. „Küss mich", hauchte er, er war längst zu schwach um sich noch zu bewegen.

Chuuya rückte über den kalten Boden an ihn heran, Osamus Blut fraß sich nun auch in seine Kleider. Vorsichtig zog er den schmächtigen jungen Mann an sich, schenkte ihm einen federleichten Kuss, der auch für ihn selbst war.

Osamus Augen schlossen sich, Chuuya drückte ihn näher an sich, hielt den noch warmen Körper dicht an sich gedrückt.

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now