7 Semishira

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Er zog ein weiteres Mal an der glimmenden Zigarette, inhalierte den giftigen Rauch, und ließ ihn in einem tiefen Zug aus seinem Mund rauschen. Früher hatte er so gut wie nie geraucht, früher hatte er das nie getan, weil Kenjirou ihm sonst vermutlich den Kopf von den Schultern geschlagen hätte. Der Jüngere hasst es, wenn Menschen rauchten, ihre Lebenszeit so sinnlos verkürzten.

Ein weiterer, tiefer Zug folgte, die zahllosen schädlichen Stoff füllten erneut seine Lunge. Er wusste wie ungesund das war. Kenjirou hatte ihm einen endlos langen Vortrag gehalten, als er eines Abends spät nachhause gekommen war, und seine Lippen bei einem leichten Kuss nach Nikotin geschmeckt hatten. Mittlerweile würden sie bestimmt völlig widerwärtig schmecken, zudem waren sie von dem vielen Rauchen rau geworden.

Die Zigarette in seiner Hand wurde kürzer und schließlich drückte er sie an dem hölzernen Türrahmen aus, in welchem er lehnte. Die Tür zum Garten war geöffnet, ein wenig frische Nachtluft würde ihm vermutlich nicht schaden.

Eigentlich war ihm das egal, aber Satori hatte vor einer guten Stunde angerufen, um ihn nach seinem Gemütszustand zu befragen und am Ende gemeint, dass es gut wäre, wenn er einmal die Fenster aufreißen würde, irgendetwas von gesunder, frischer Luft hatte er gefaselt.

Kenjirou hätte Semi vermutlich gelyncht, hätte er die vielen, kleinen, runden Brandflecken, die beinah im ganzen Haus zu finden waren, gesehen. Überall hatte der Ältere seine Kippen ausgedrückt, an Türrahmen, dem Bett, dem Esstisch, dem kleinen Beistelltischchen im Wohnzimmer, den Kommoden, den Schränken und dem Parkett.

Zu Beginn hatte er noch einen Aschenbecher verwendet, doch diesen ständig zu entleeren, war im irgendwann zu mühselig geworden und weil es sowieso niemanden störte, hatte er begonnen die unzähligen Glimmstängel einfach überall auszudrücken.

Er stieß sich vom Türrahmen ab, zog ein Feuerzeug aus der einen Tasche seiner grauen Jogginghose, aus der anderen zog er ein Päckchen der giftigen Bestien und steckte sich die Nächste an. Er war schlimmer als jeder Kettenraucher, denn seine einzige Beschäftigung, neben dem gelegentlichen Klavier- oder Gitarrespielen, war das Rauchen geworden.

Er schlenderte durch den Raum. Die Temperaturen außerhalb hatten sich seit jenem Tag deutlich abgekühlt, kein Wunder, der Vorfall lag mittlerweile schon einige Monate zurück. Vorsichtig drückte er den Knopf der Stereoanlage, schaltet den Plattenspieler an und setzte die Nadel behutsam auf dem schwarzen Stück Vinyl ab.

Sanft summte er die leise Melodie mit, sie war nicht vielschichtig, völlig simpel, kein Gesang, nichts. Es war einfach nur eine stumpfe Melodie wie sie jedes Kleinkind mit zwei Klavierstunden Erfahrung hätte spielen können, doch das genügte ihm, mehr wollte er nicht.

Mehr ertrug er nicht, keine Stimmen die ihm nur zeigten wie einsam er war, wie erbärmlich, keine anderen Instrumente die das Klavier begleiteten, das wäre zu komplex, würde ihm aufzeigen, dass sein Leben sinnlos vor die Hunde ging, er es selbst achtlos davon warf.

Er ließ sich nieder, setzte sich in den Türrahmen und ließ sich von der kalten Nachtluft einnehmen. Er hatte keine Ahnung wie viel Uhr es war, doch es war ihm irgendwo auch egal. Ihm war so gut wie alles egal.

Sein Kopf schwang leicht hin und her, dem Takt der dünnen Melodie folgend. Irgendwie erinnerte dieser Moment ihn an schon längst vergangenen Tag. An Tage an denen Kenjirou noch da gewesen war, an Tage an denen er ihn damit aufgezogen hatte, dass er so unglaublich gern seine Musik hörte.

Unweigerlich drängte sich Eita die Frage auf, ob Kenjirou auch seine jetzige Musik mögen würde. Schließlich hatte sie sich, genau wie er selbst völlig verändert. Seine Musik war früher anders gewesen, einfacher, nicht so tiefgehend, fröhlicher, so wie er selbst es gewesen war. Doch sie hatte schnell eine hundertachtziggrad Wende gemacht, war gefühlvoller, langsamer, dunkler geworden, verarbeitet viel mehr Gefühl, viel mehr Melancholie, viel mehr Schmerz.

Doch er würde Kenjirou nicht fragen können, glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod und mit Toten zu kommunizieren war auch nicht möglich, wenn es möglich gewesen wäre, er hätte es getan, würde es tun, immer und immer wieder. Er würde sein ganzes Geld, von dem er sowieso viel zu viel hatte, dafür herauswerfen mit dem Mann den er liebte zu sprechen.

„Ich glaube ich dreh langsam durch", sagte er, ließ den Rauch aus, nun spekulierte er schon darüber was wäre, wenn er die Grenzen der Natur überschreiten könnte, er war doch nicht mehr ganz dicht.

„Ich vermiss dich Kenjirou", flüsterte er vor sich hin, atmete aus, beobachtet die kleinen Rauchringe, die in den Himmel empor stiegen, vom leichten Wind mit sich genommen wurde. „Irgendwie ist alles so still ohne dich", seine Stimme war ein Hauchen, kaum laut genug, dass er selbst es hörte, so leise war sie, kam nicht an gegen die drückende Nacht, gegen das schwarze Dunkel, versagte selbst in der Stille.

Früher war sie einmal kräftig gewesen, hatte gegen schreiende Massen gekämpft, gegen sie triumphiert. Sie war stark gewesen, hatte sich mit seinem Partner gestritten, gegen ihn gesprochen, seine Meinung verkündet. Jetzt tat sie so etwas nicht mehr, fand sich nur noch in elegischen Lieder triefend von Melancholie und Sehnsucht und Liebe wieder.

Er erhob sich, drückte den Glimmstängel aggressiv aus, warf ihn achtlos in den ehemals gepflegten Garten, in dem nun überall nur so das Unkraut sprießte, er knallte die Gartentür geräuschvoll zu, der Knall der dabei entstand war ohrenbetäubend.

„Scheiße!", fluchte er lauthals, fegte in seiner Aggression alles vom Esstisch, was darauf seinen Platz gefunden hatte. Manches stand seit Tagen dort, Anderes seit Monaten. Auf dem Boden zersprangen Kristallgläser, leere Alkoholflaschen, Geschirr, daneben klatschten Bücher, beschriebene, oftmals eher beschmierte Notenblätter.

„Wie erbärmlich bin ich eigentlich", seine beine klappten unter ihm weg, er fiel, klatschte auf den eiskalten Fliesenboden. Er spürte wie sich eine etwas Spitzes in seine Hand bohrte, vermutlich eine der Scherben, vermutlich war er in einen Haufen von ihnen gefallen, denn es pikste überall an seinem Körper.

Tränen rannen aus seinen Augen, alles wirkte so sinnlos so unnütz. Nichts funktionierte, nichts brachte irgendwas, am Ende würde er Kenjirou nie wieder sehen, egal was er auch tat, er würde ihn niemals zurückbekommen und egal wie egal ihm alles Andere auch sein mochte, diese Erkenntnis tat verdammt weh.

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now