14 Kiribaku

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„Hey, hab dir deine Lieblingsblumen mitgebracht", schwer musste er schlucken, tief, sein Adamsapfel bewegte sich, vor und zurück, seine Stimme brach ab. „Scheiße in was für einem Klischeeliebesdrama bin ich denn jetzt gelandet, dass es auch noch regnet", wetterte er los, verlor den Halt seiner Stimme, sie brach erneut, ein stilles Flüstern.

Verdammt, warum bekam er keinen geraden Satz heraus, so schwer war das doch verfickt noch mal nicht. Er war kein beschissenes Kleinkind, er war keine sechzehn mehr und trotzdem, obwohl er doch Erwachsen, kein Kind mehr war, stark war, eisern, bekannt, bissig, er schaffte es nicht einen Satz heraus zu bekommen ohne loszuheulen, was war denn los, verdammt.

„Ayaka-", begann er einen neuen Satz, wollte seinem Ehemann von ihrer gemeinsamen Tochter berichten, ihm stolz erzählen, dass sie schon multiplizieren und dividieren konnte, nicht so ein Versager in Mathe war, mittlerweile schon flüssig las. Doch er schaffte auch dies nicht, konnte nicht zum besten geben, wie sie tanzte, grinste wenn sie sah wie er seine Macke einsetzte, stolz von ihrem Vater berichtete.

„Ayaka, sie sieht süß aus, in deinen Pullovern", schaffte er es dann doch. Er hatte das  nicht sagen wollen, er hatte Eijirou doch erzählen wollen, dass er stolz auf seine Tochter seien konnte, dass er sich alle Mühe gab sie großzuziehen, sie es schaffte ihn zum Lächeln zu bringen, dass sie ihn oft aufzog und es liebte von ihm durch die Luft gewirbelt zu werden.

Er wollte nicht davon erzählen, wie süß das Mädchen in den übergroßen Pullovern aussah, die ihm selbst ja schon immer ein wenig zu groß gewesen waren, wenn er sie denn mal mehr oder weniger unbeabsichtigt getragen hatte, in dem zumeist roten Stoff versank, ein bisschen wie eine rote Christbaumkugel aussah, aus der ein Kopf wuchs.

„Sie hat neulich nach dir gefragt", er nahm sich eine kurze Pause, dass er überhaupt irgendeinen Satz von sich geben konnte war schon ein Wunder, als nahm er sich Zeit für den zweiten Teil, hoffte seine Stimme würde nicht wieder brechen, stabil stehen, wie er, sein Ehemann es immer getan hatte, sich vor ihn geworfen, ihn beschützt, vor jeglicher Gefahr.

Ein dunkler Gedanke wuchs in seinem Kopf empor, kroch aus seinem Unterbewusstsein, oder seinen Erinnerungen hervor, woher war doch auch scheiß egal, alles war verdammt nochmal egal, alles außer Ayaka vielleicht, sonst gab es doch gar nichts wichtiges mehr.

Kurz musste er sarkastisch schnauben, was war denn bitte los mit ihm? Wie erbärmlich war es bitte, dass er nur noch für ihre gemeinsame Tochter lebte, für sie arbeitete, für sie ein schönes Leben, eine heile Welt aufbaute, wie Eijirou sie sich immer für sie beide, sie drei ausgemalt hatte. Es war doch schändlich, dass er seiner eigenen Tochter die Last seines eigenen, viel zu komplexen, verschissenen, Lebens auflud, sie war neun, viel zu jung für diese Art von Themen.

„Sie hat sich unser Hochzeitsfoto angekuckt, du weißt schon das kitschige am Strand mit dem Sonnenuntergang, dass du unbedingt im Wohnzimmer aufstellen musstest", es war keine ernstgemeinte Kritik, er war auch nicht wütend deswegen. Ja das Bild war kitschig, aber er mochte es, mochte die Erinnerung die er damit verband, ihre Hochzeit, einer der besten Tage in seinem Leben.

Jedes mal wenn er es ansah, sich richtig Zeit dafür nahm, dass Bild tiefgehend zu mustern, den lachenden, vor Freude sprühenden Gesichtsausdruck Eijirous, seinen eigenen viel zu fröhlichen analysierte, fühlte er dieses Gefühl der Leere in sich, dieses Gefühl des Verlusts, der Schuld.

„Jedenfalls hat sie das Bild gemustert, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen und hat sich oben am Regalrand mit ihren kleinen Händchen festgehalten", das Bild seiner blonden Tochter tauchte wieder in ihm auf, wie sie lächelte, lachte, sein glückliches Leben führte, ein Leben, dass er hoffte gut war. Er betete, obwohl er so null gläubig war, ein guter Vater für sie zu sein, ihr ein bezaubernde wundervolle Kindheit zubereiten, sie glücklich zu machen, auch wenn er doch wusste, dass er mit Sicherheit niemals ein so guter Vater wie Eijirou sein würde.

„Das ist mein andere Papa oder? hat sie gefragt und dabei so gekuckt, so wie du mich immer angeblickt hast, wenn du konzentriert über Matheaufgaben gegrübelt hast", die Erinnerung wurde immer lebhafter, lag sie auch schon beinah zwei Monate zurück, so spielte sich ihr Gesichtsausdruck bildlich vor seinem Auge ab, verglich ihn mit Eijirous und stelle fest, dass sie sich beim grübeln verdammt ähnlich sahen.

„Er ist hübsch. Hat sie gesagt und dann, dann-", seine Stimme brach und endgültig begannen die Tränen zu fließen, leiden in feinen Rinnsalen über seine blassen Wangen, über die raue Haut. Er bildete sich ein zwei Hände zu spüren, vertraute Hände die sanft sein Kinn in einen festen Griff nahmen, ihn zwangen in kirschrote Augen zu blicken, ihm mit den Daumen sanft die Tränen wegstrichen, ihn dann in eine kraftvolle Umarmung zogen, ihm die Zeit ließen, die er brauchte.

„Sie hat gesagt, ihr passt gut zueinander", die Worte waren mehr undeutliches Geschluchze gewesen als sonst irgendetwas, niemand hätte ihn so verstehen können. Er bekam es nicht hin nicht zu weinen, hatte er früher einmal, aber seitdem Eijirou ihm beigebracht hatte, dass Emotionen nichts schlimmes waren, sie zuzulassen ihn nicht schwach machte und weinen gut für ihn war, tat er es erstaunlich oft. Er hatte ewig gebraucht dafür, Eijirou hatte viel Geduld bewiesen und auch er selbst hatte hart an sich gearbeitet für diese salzigen tropfen.

Er braucht eine ganze Weile um sich wieder zusammen zukriegen, atmete tief ein und aus, spürte wie der kalte Regen auf ihn einprasselte. „Sie meinte, wie würden glücklich aussehen", er nahm sich zusammen, für wen oder was, keine Ahnung, aber er tat es, schloss seine Augen, ließ seinen Puls wieder Normalgeschwindigkeit annehmen.

Dann erhob er sich aus der unbequemen Hocke, schüttelte einmal seine Glieder durch. „Ich habs am Anfang schon mal versucht zu sagen, ich hab dir deine Lieblingsblumen mitgebracht Eijirou", behutsam, als könnten die Blumen von einem zu festen Griff zerspringen, legte er sie vor den dunklen Marmorstein.

„Ich muss los, Ayaka hat sich Curry gewünscht, ihr seit euch echt verdammt ähnlich.", er verbeugte sich noch einmal vor dem Grab, Respekt vor den Toten oder so, dann verschwand er von dem Friedhof, ließ den Ort hinter sich, doch seine Erinnerungen blieben, würden bleiben, genau wie das super kitschige Foto um Wohnzimmer.

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now