18 Soukoku

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(Suicide)
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Die Welt ist ein grausamer Ort.

Der erste Gedanke der ihm jemals gekommen war, den er jemals bewusst gedacht hatte, der erste Gedanke von dessen Wahrheitsgehalt er gänzlich überzeugt war, der einzige.

Diese Welt war nicht nur grausam, sie war grotesk, verworren, sinnlos, kaputt, fehlerhaft. Sie war kein guter Ort, kein Ort an dem er sein wollte, doch ihm blieb keine andere Wahl als auf dieser Welt zu bleiben, an diesem schrecklichen Ort, der von den widerwärtigsten Kreaturen bewohnt wurde, sie waren von derartiger Widerlichkeit, niemand vermochte sich solch grausame Wesen auszudenken.

Menschen waren schreckliche Gestalten. Sie belogen einander, gierten, nach Macht, Geld, Ansehen, Reichtümern, danach Dinge zu haben, die kein anderer hatte, danach sich durch diese abzuheben, sich besser darzustellen, sich zu profilieren.

Zusammengefasst bestand die Welt aus einem grausamen, erbarmungslosen Ort auf dem abscheuliche Kreaturen, die als Menschen betitelt wurden, ihren Platz gefunden hatten.

Menschen die angeblich menschlich sein sollten, eine Moral besitzen sollten, Gefühle. Menschen besaßen sie vielleicht diese Eigenschaften, diese Gefühle, dieses Ding das nicht so richtig in ihm Existierte, das ihn von ihnen unterschied, ihn zu einem anderen machte.

Doch wenn er sich die Menschen so ansah, vergaß er sein Streben danach so zu sein wie sie, menschlich zu sein. Lieber würde er noch hunderte, tausende Jahre in Unwissenheit über sein wahres Ich, über sein Naturell bleiben, als menschlich zu werden, zu diesen abstoßenden Kreaturen zu gehören.

Er hatte alle Menschen für derartige Kreaturen gehalten, alle von ihnen bis zu jenem Tag, bis zu jenem Tag an dem er diesem seltsamen Typ begegnet war, der all dies nicht wollte, nicht menschlich wirkte und es doch war.

Osamu Dazai war definitiv anders als jeder Mensch der ihm jemals begegnet war. Er war merkwürdig, eigentlich war er das nicht, aber Chuuya konnte es nicht besser beschreiben.

Osamu Dazai war vermutlich ein Irrer, ganz sicher sogar. Er sprach von morgens bis abends von Suizid Methoden und war immer noch am Leben. Ihm war alles egal, wirklich alles. Nichts schien ihn zu interessieren, nichts schien interessant genug, dass er sich dafür abmühen würde.

Wirklich nichts schien seinen Ansprüchen zu entsprechen, sich auch nur annähernd an diese heranzuwagen, es war für ihn einfach bedeutungslos, von solch einer gigantischen Bedeutungslosigkeit, dass sie für einen andern erdrückend gewesen wäre.

Osamu Dazai war seltsam, verquer, schräg, irgendwie all das und nichts davon, vermutlich auch ein wenig durchgeknallt und ganz sicher oder auch überhaupt nicht lebensmüde.

Nur bei einem war sich Chuuya im Bezug auf ihn sicher, niemand vermochte es ihn zu verstehen, seine Gedanken nachzuvollziehen, niemand war auch nur ansatzweise in der Lage Dazais Gedankengänge so entziffern.

Ein Rätsel für das es keine Lösung gab, das war Osamu Dazai, ein unlösbares Rätsel, weil es eben einfach keine Lösung gab, keine richtige Antwort, keine falsche.

Dieser Mann war die erste Person, generell das Erste, für das sich Chuuya jemals in seinem Leben interessiert hatte, richtig interessiert hatte. Irgendetwas hatte er, irgendeinen wirren Charakterzug, der ihn unglaublich interessant, unglaublich tiefsinnig, unglaublich verwirrend machte.

Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, je mehr Gespräche sie führten, desto weniger verstand Chuuya. Osamu redete viel, das war nicht das Problem, dass Problem war wie ungeordnet er Informationen von sich gab, dass es an Unmöglichkeit grenzte Worte die er aussprach, in wirren Sätzen von sich gab, zu sinnvollen, informationsstiftenden Stichpunkten zusammenzufassen.

Irgendwann fiel ihm auf, dass Osamu nicht von seiner Vergangenheit sprach, sie allgemein nicht zur Sprache kommen ließ. Es hatte lange gedauert, bis er dies bemerkt hatte, aber er hatte auch dann nicht nachgefragt.

Es lag nicht am fehlenden Mut, viel mehr war es Angst. Angst vor den Abgründen Osamus, vor dem Schrecklichen, dass er mit absoluter Sicherheit zu erzählen hatte.

Osamu war ein unergründliches Labyrinth, gefüllt mit allerhand tödlicher Fallen, in dem man sich am Ende doch verlief, weil es keinen Ausgang gab, keinen richtigen Weg. Egal wie sehr man es versuchte, niemals würde man ihn verstehen, immer würde er ein Geheimnis mit sich tragen.

Und egal was passierte, Chuuya war immer da, war immer bei diesem merkwürdigen Typ, der doch eigentlich gar nicht merkwürdig war. Und mit der Zeit bemerkte er, wie irgendetwas sich veränderte, Osamu nicht mehr unergründbar schien, er nicht mehr so verworren war.

Und irgendwann verstand er, dass nur dieser Mann es verdiente zu leben. Er war ein Mensch, definitiv. Doch er hatte Züge eines spielenden Gottes, Züge eines kleinen Kindes das mit ausgestreckten Händen die Welt erkundete, Züge eines alten Mannes der seinen Lebensabend damit zubrachte Bücher zu verschlingen.

Wahrlich dieser Mann dem doch alles egal war, diesem Mann sollte es gegönnt sein zu leben, mehr als ihn brauchte diese grausame Welt nicht. Wären die Menschen fort, wäre Osamu der Einzige von ihnen, die Welt wäre ein schöner Ort.

Ein Ort an dem sie gemeinsam des Nachts auf einem Bett liegen könnten, sich eine Zigarette teilen könnten, über das Leben philosophieren könnten, obwohl er selbst keine Ahnung davon hatte.

Das alles hätten sie tun können, er hätte es getan, eine neue Welt für Osamu geschaffen, eine Welt in der sie glücklich, ungestört waren, in der niemand ihnen auf die Finger sah, sie zu grausamen Dingen zwang. Osamu war schon so lange kaputt, ertrug die Grausamkeit der Welt nicht, flüchtete sich deshalb in die Welt der vollkommenen Egalität.

Auch wenn es sonst niemand zu bemerken schien, er war schon viel zu lang kaputt, völlig ausgelaugt, auch wenn das niemand zu wissen schien, er gut darin war sie alle zu täuschen.

Ja, sicherlich wären sie glücklich gewesen, glücklich geworden. Doch dafür war es zu spät, längst zu spät.

Denn es gab ihn nicht mehr, den einzigen Menschen der es verdiente zu leben, er existierte nicht mehr. Er war verstorben, war der Grausamkeit der Welt unterlegen, hatte klanglos gegen sie verloren.

Chuuya war durchgedreht, hatte diesen Schmerz nicht ertragen, hatte Nächte damit verbracht die gesamte Welt zu verfluchen, hatte seine Wohnung kurz und klein geschlagen. Nur um am Ende vor dem selben, nüchternen Ergebnis zu stehen, die selbe Erkenntnis hatte ihn erfasst, von ihm Besitz ergriffen.

Die Welt war ein grausamer Ort

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now