8 Sakuatsu

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Untergehende Sonne, rotes Flutlicht, warme Sommernacht, ein Diamant der Furchen in Vinyl kratzte, Boxen die leichte Töne von sich gaben.

Klischee Katalog abgehakt. Fehlte nur noch die zweite Person, die Person, die seine Hand nahm, ihn an sich zog, mit ihm zum Takt der sanften Musik hin und her wippte, jene Person, die nun nicht mehr da war, ihn verlassen hatte.

Er stand nicht in dem Wohnzimmer, drehte sich, mit dem Mann den er leibte, ungeschickt zur Musik, alberte nicht mit ihm herum. Er saß dort, eingekuschelt in einen zu großen Pullover, der ihm eigentlich gar nicht gehörte, ein zu volles Glas in der Hand, in dem eine zu große Menge billiger Discounterwein schwamm, sich hin und her bewegte, wenn er leicht im Takt mit wippte.

Starr blickte er nach draußen, sah bildlich vor Augen wie die Welt vor dem viel zu großen Fenster unterging. Die Welt in der zu viele glückliche Menschen lebten, zu viele Menschen liebten, geleibt wurden. Er ertrug das nicht, dieses Glück.

Er war ein Arschloch, nicht mal die Liebe seines eigenen Bruders ertrug er. Er hatte den Anruf, der am Morgen bei ihm eingegangen war, nicht angenommen, und den davor nicht, und den davor, und den davor, und den der davor eingegangen war, er hatte sie alle nicht angenommen, er hatte dieses Glück nicht ertragen.

Er war definitiv ein Arschloch, schließlich konnte Osamu nichts für die Scheiße, die gerade in seinem Leben abging. Er sollte sich freuen, dass sein Bruder mit Suna glücklich war, sie verlobt waren, in wenigen Monaten heiraten würden.

Und was tat er, ignorierte ihn, weil er dieses Glück, dass er verloren hatte, nicht ertrug. Was war eigentlich falsch bei ihm gelaufen, dass er zu so einem verfickten, eifersüchtigen Wichser geworden war. Er sollte es Osamu gönnen, tat er nicht, er war wirklich erbärmlich.

Die Musik endete, die Nadel bewegte sich automatisch zurück. Er murrte genervt, stand auf, ging durch das halbe Wohnzimmer, ein Wohnzimmer auf dessen Boden sich ein heilloses Chaos aus Weinflaschen, Zigarettenstummeln, Pizzakartons, Pappschachteln seines Lieblingsasiaten, ihres Lieblingsasiaten, aus welchen er nicht sein Lieblingsgericht aß, sondern das von ihm, stapelten, ein kroteskes Bild durch ihr bloßes Herumliegen schufen.

Er setzte die Nadel langsam wieder auf die Platte, latschte unbeholfen, leicht schwankend durch das Wohnzimmer, zurück auf die Couch, warf sich darauf, nahm seine vorige Position ein. Blind griff er mit der Hand auf dem Beistelltisch herum, tastete, ohne hinzusehen, nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug. Er zog einen der Glimmstängel aus der Pappschachtel, klemmte sich das Teufelszeug zwischen die Lippen, entzündete es, warf das Feuerzeug zurück auf den Tisch, traf nicht, es fiel auf den Boden, es war ihm egal.

Er erinnerte sich daran, wie Osamu ihm damals, dass erste Mal als er spitzgekriegt hatte, das sein Zwilling rauchte, die Kippe aus der Hand geschlagen, ihn am Kragen gepackt hatte, ihn angeschrien hatte, dass er, vor allem als Sportler, unverzüglich mit dieser giftigen Scheiße aufhören sollte. Er war sich sicher, Osamu hatte sich weniger kultiviert ausgedrückt. Dies war die Art des Jüngeren gewesen, seinem idiotischen Zwilling zu sagen, dass er mit dem Konsum von Nikotin aufhören sollte, weil er nicht wollte, dass er wegen Lungenkrebs starb.

Als er sich in Kiyoomi verliebt hatte, hatte er längst nicht mehr geraucht. Es wäre vermutlich auch nicht gut bei dem Jüngeren angekommen, er hasste Menschen die unnötig ihre Gesundheit gefährdeten, er hatte ihm nie von dieser Jugendsünde erzählt.

Er stieß den Rauch aus, beobachte wie er empor stieg, sich an der Zimmerdecke sammelte, sich mit der restlichen Luft mischte, zu verschwinden schien, obwohl kein einziges Fenster geöffnet war.

Sein Blick glitt kurz durch den Raum. Emotionslos betrachtete er die verschiednen, mehr oder weniger leeren Verpackungen, die Pappschachteln, Boxen, Flaschen. Scheiße. Was für ein verkacktes Klischee von einem unglücklich Verleibten, war er eigentlich?

Kurz überlegte er aufzustehen, das Chaos zu beseitigen, sein Leben wieder unter Kontrolle zu kriegen, kurz davor aufzuspringen, die Kippe auszudrücken, eigentlich rauchte er ja nicht mehr, doch er blickte kurz an sich herab, erkannte, wessen Pullover er trug, ließ sich noch tiefer in die Polster zurückfallen.

Es war hoffnungslos, völlig unnütz sich diese Arbeit zu machen, am Ende würde er wieder in dieses Liebesloch fallen, sich wieder unnötig, überflüssig, unerwünscht, nicht zu lieben fühlen.

Es war sowieso alles scheißegal, seit Omi weg war, hatte gar nichts mehr einen Sinn, alles war egal. Vielleicht hätte er erkennen sollen, wie angsterregend es war, dass er dachte sein Leben sei sinnlos ohne Kiyoomi, es war nicht gesund, aber ihm war das egal.

Er machte sich selbst fertig, fühlte sich mager, so sinnvoll wie ein Fünfcent-Automaten-Kaugummi, das noch nie gut geschmeckt hatte, kein Mensch brauchte, gar vermissen würde, wenn es nicht mehr da wäre, man den Automaten durch einen mit Plüschtieren für kleine Kinder ersetzen würde.

Er drückte die Zigarette aus, sie war bis zu seinen Fingern abgebrannt, hatte ein wenig der empfindlichen Haut seiner Hände verbrannt, ihm war das egal. Eigentlich war es wichtig, dass seine Finger unbeschadet blieben, schließlich war er Zuspieler, Feingefühl in den Händen absolut wichtig. Aber er wusste nicht einmal, ob er jemals wieder spielen wollte, so ganz ohne Kiyoomi, er konnte sich das einfach nicht vorstellen.

Klar, auch Bokuto und Hinata waren gute Kameraden, denen er den Ball gern zuspielte, ihnen gern half zu punkten, aber sie waren eben beide nicht Kiyoomi. Und vor allem waren auch sie beide glücklich was die Liebe betraf, auch ihre Anwesenheit konnte er also nicht ertragen.

Was war eigentlich bei ihm schilfgelaufen, dass er keinem seiner Freunde, nicht mal seinem Ebenbild gönnte glücklich zu sein. Warum war er so scheiße eifersüchtig auf jeden scheiß Menschen der verliebt war, liebte.

Er kannte die Antwort, er vermisste, wollte Kiyommi zurück, ein dämlicher Wunschtraum, der nicht in Erfüllung gehen würde.

Er setzte sich auf, nahm das Glas in die Hand, kippte sich die rote Plörre in den Rachen, schluckte, stellte fest das die Discounterware scheiße schmeckte, er mochte Rotwein sowieso nicht, aber irgendwie macht er es erträglicher, und Omi hatte gern mal ein Gläschen von der dunkeln Flüssigkeit getrunken, allerdings in geregelten Mengen.

Er stellte das leere Glas wieder ab, ließ sich zurück in die Couch sinken, zog die Ärmel des zu großen Pullovers über seine feinen Finger. Blickte starr geradeaus, beobachtete die Sonne beim versinken, hörte still der traurigen Melodie zu, nahm sie unterbewusst war, weinte, viel.

One-shot Adventskalender, oder soWhere stories live. Discover now