ᴡɪᴇ ʜᴇɪßᴛ ᴅᴇɪɴᴇ ᴡᴏ̈ʟғɪɴ? ✔️

Dreiundzwanzig

~ Linn ~

"Linn, ich flehe dich an!", rief Leo zittrig. "Ich kaufe dir meinetwegen ein Pferd oder Pony. Bekoche dich bis zu deinem 19. Geburtstag jeden Tag mit Vor-, Haupt- und Nachspeise! Aber bitte! Bitte! Komm da runter!"
Ich musterte ihn müde. Die letzten 10 Minuten redete er mir schon mit solchen wirren Versprechen auf mich ein. Vorhin meinte er, dass er noch, dass er mir die Hausübungen freiwillig schreiben würde und nun glaubt er mir ein Pferd kaufen zu müssen.
"Bitte, Linn!" Oh Gott, der wird ja gleich noch anfangen zu weinen.
"Leo.", rief ich ihm verwirrt zu und schüttelte ungläubig den Kopf. "Was ist denn los mit dir?"
"Du-", fing er atemlos an. "Es-... Die Risiken-" Kraftlos warf er die Arme in die Luft. "Bitte, Linn.", quengelte er. "Ich kann nicht einmal zu dir hoch schauen."

Aufgröllend ordnete ich das Buch in meiner Hand wieder in das Regal vor mir ein. Danach drehte ich mich auf der Leiter wieder um und stieg sie genervt hinab.

Ich hab Leo mit viel Willenskraft dazu gedrängt mich bis zu unserer alten Rudelsbibliothek zu begleiten, damit ich da einige Nachforschungen bezüglich Noahs Zustand und Wolfsparasiten machen kann. Heute war es soweit und er mutierte zum kleinen Angsthäschen.

"Zufrieden?", schnaubend trat ich die letzte Stufe hinab.
Er nickte schluckend. "Alles okay."
Kopfschüttelnd sah ich zur Seite. "Leo, das ist doch Schwachsinn. Ich muss Sachen nachlesen und deswegen muss ich Bücher finden."
"Das kannst du auch gut und gerne.", unterbrach er mich.
"Aber dazu-", sprach ich lauter weiter. "Muss ich auch auf die Leitern steigen und in den oberen Abschnitten suchen."
Leo schüttelte wehement den Kopf.
"Du bist eine Memme.", warf ich ihm trocken entgegen.
"Du kannst es nicht sehen, aber ich habe gerade den Mund empört aufgerissen."
"Das hoffe ich auch für dich."
"Jetzt komm schon, Linn. Lass uns nach Hause gehen."
"Vergiss es.", lachte ich bitter auf.
Verloren trat Leo einen Schritt vor und ging dann wieder überfordert einen Schritt zurück. "Dann bleib zumindestens bei den tieferen Büchern."
"Nein."
"Okay, du kanst die erste Stufe hochsteigen."

So sehr Leo auf Player tun wollte und sich aufspielte, er hatte eine richtige Phobie.
Akrophobie. Zu gut deutsch auch Höhenangst - beziehungsweise in Leos Fall mehr die Angst vor dem Fallen.
Er hatte komische Grenzen.
Aus dem Fenster schauen ging zum Beispiel problemlos - weil er sich da ja am Rand festhalten kann und nach seinen Worten 'im Raum steht und nicht in der Luft schwebt'. Leitern konnte er auf der anderen Seite nicht einmal mit einem Blick würdigen. Da weckt sich sein Trauma mit der Spielzeugrutsche, die er mal als Kind hatte. Die Geschichte habe ich in den letzten 10 Minuten auch noch dreimal gehört - als ob ich sie nicht eh schon kannte.

Leitern können morsch sein, brechen, umstürzen, man könnte den Griff verlieren und so weiter. Leo hatte panische Angst davor mich fallen zu sehen, was ihm absolut keine Ruhe ließ.

Und eigentlich verstehe ich auch, dass er so reagiert und möchte seine Angst nicht weiter vorantreiben geschweige denn bestärken, aber ich bin in dieser Bibliothek aufgewachsen. Ich bin mit fünf schon unerlaubterweise diese Leitern hochgestiegen, als mein Opa mir kurz den Rücken zugewendet hat. Einige Male bin ich schon abgerutscht, aber ich weiß wie man sich abfängt.
Mit meinem Wolf könnte ich den Sturz sogar abfangen.

Leos hektische Atmen ließ mich die Augenbrauen zusammenziehen. Er würde noch in einen Anfall verfallen oder schlimmstenfalls in Ohnmacht. Unruhig knetete er seine Hände vor sich und trat auf einer Stelle herum.

"Leo, atme tief durch. Ich stehe auf festem Boden. Du stehst mit beiden Beinen auf festen Boden. Du bist auf keiner Plattform und vor dir ist kein Hindernis.", versuchte ich ihm ruhig zu zu reden und fasste ihn leicht an den Schultern. "Schau mich an." Blöd nur wenn ich nicht weiß ob er es wirklich tut. "Es ist alles okay."
"Linn, ich kann das nicht. Ich muss raus. Lass uns gehen, bitte.", sprach er verzweifelt auf mich ein.