Dreiundsechzig

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~ Linn ~

"Sag das noch einmal.", verlangte ich kurzatmig zu wissen und packte Jonas am Kragen seines Shirts. "Was hast du gesagt?"
"Noah...", stieß er perplex aus. "Er ist wach... er-"
Er konnte nicht einmal aussprechen, da stieg das Adrenalin und die Freude in mir so stark an, dass ich ihn von mir wegstieß und so spontan aus dem Bett sprang, dass ich beinahe abknickte und selbst fast auf den Boden knallte. Doch ich fing mich - abgelenkt an den Gedanken gleich Noah wieder zu sehen - und stolperte auf die Tür zu und durch den Gang zu seiner Tür. Jonas verfing sich hinter mir in meiner Bettdecke und fiel statt mir auf den Boden meines Zimmers.

Ich klopfte nicht erst an, wie ich es bei Mond meistens getan habe, sondern riss gleich die Tür auf und erwartete meinen Freund endlich wieder vor mir zu haben. Doch in dem Moment, indem ich ins Zimmer blickte, hatte er sich in einem Versuch vom Bett aufzustehen aufgerichtet und ist mit dem Gesicht voran schon auf den Boden vor sich gefallen. So hatte ich mir das Wiedersehen ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Ich hatte mehr Tränen und Liebesgeständnisse erwartet, mehr Drama und zur Abwechslung einmal wieder eine große Menge an positiven Gefühlen, die mich einnehmen und leiten konte. Die letzten Tage waren zu sehr von Trauer und Angst geprägt gewesen - vor allem für mein noch nicht ganz unter Kontrolle gebrachtes Talent.

Noah sprach dem Boden etwas zu und Wut machte sich in ihm bemerkbar. Was war denn los mit ihm? Schlief Mond noch oder warum hat er ihn nicht darüber aufgeklärt, dass er mindestens eine halbe Stunde Bettruhe brauchte, damit er vollkommen wieder in seinem Körper ankam und sich vorsichtig bewegen konnte? Er brauchte zumindestens noch die ganze Nacht bis er wieder zu all seinen Kräfte kommt.
Da konnte er sich doch nicht sofort auf die Beine stellen und glauben, dass er wieder herumwandern kann, als wenn ihm nie etwas passiert wäre! Selbst er konnte nicht eine Versiegelung so einfach wegstecken - vor allem ohne perfekte Kontrolle über seinen Wolf.

Perplex sah ich zu, wie er sich aufstöhnend auf den Bauch drehte und blinzelnd Unverständliches mit einem roten Augen herummurmelte. Ich musste verstört noch einen Moment im Türrahmen stehen bleiben bis er sich aufrichtete und Jonas plötzlich wieder hinter mir auftauchte.
"Verdammt, was machst du da?", gröllte er leise und trat neben mir vorbei, um seinem Bruder beim Aufsetzen zu helfen.
"Scheiße Jonas! Ich fühle meine Beine nicht mehr!", rief Noah panisch und ich musste dümmlich aufkichern. Meine Vorstellung für das Wiedersehen waren somit total hoffnungslos und nichts weiter als ein verliebter Traum. Verstand er es denn immer noch nicht? War Mond eingeschlafen und ließ ihn jetzt völlig orientierungslos aufwachen? Sein wilder Blick richtete sich unweigerlich auf mich und er rutschte fast aus Jonas Griff, als er auf mich zeigen wollte. "Seid doch mal kurz ruhig! Warum sollte ich Linn anrufen wenn sie eh da steht?" Auch über das hatte Mond ihn aufgeklärt. Süß, dass er sich gemerkt hat, dass Noah sich sofort bei mir melden soll, wenn er aufwacht.
Noahs Panik färbte auch auf Jonas ab, als dieser ihn mit Mühe auf das Bett hievte und ihn stützen musste, damit er nicht wieder sofort zu einer Seite kippte."Linn! Was ist hier los? Was ist mit Noah? Steh da nicht so herum! Ruf einen Krankenwagen!"

Schmunzelnd drückte ich mich aus dem Türrahmen und ging auf die beiden Katastrophenbrüder zu, bei denen es gerade ein Wunder war, dass sie noch bei Sinnen sind und nicht schon längst der Angst über Noahs Kraftlosigkeit verfielen. "Rutsch noch etwas nach hinten.", sprach ich Noah sanft zu und deutete ihm an mehr aufs Bett zu gehen, sodass er sich nur nach vorne beugen kann und nicht mehr so leicht zur Seite kippt. Dann fasste ich seine Wangen vorsichtig zwischen meine Hände und lächelte ihn leuchtend an. Ich fühle mich, als hätte meine Wölfin eine Heizung in mir eingeschaltet und ich schmolz fast dahin, als mir Noah einen amüsiert, liebenden Blick zuwarf. "Du bist fünf Tage im Koma gelegen.", fing ich flüsternd zu erklären an. Jonas warf ich einen wissenden Blick zu. "Hol eure Eltern. Ich glaub sie wollen ihn auch sehen." Dann wandte ich mich wieder an Noah und lehnte meine Stirn an seine. "Schlafen wirst du glaube ich die nächste Stunde nicht mehr."
"Erzähl mir was ich verpasst habe.", raunte er mir gefühlvoll zu. "Ich habe deine Stimme zu lange nicht mehr gehört." Oh Gott... vielleicht hätte ich meine Pläne für das Wiedersehen nicht doch so schnell abschreiben sollen.
"Soll ich euch Turteltauben wirklich jetzt alleine lassen?", fragte Jonas zweifelnd an. "Nicht, dass wenn ich zurückkomme ich Sachen sehe, die mich für den Rest meines Lebens prägen werden."
Verwundert fuhr ich zu Jonas herum und verstand nicht, worauf er ansprach und was der Unterton in seiner Stimme zu bedeuten hatte.
"Hau jetzt endlich ab.", zischte ihm Noah dunkel zu, worauf Jonas zu lachen anfing und ging.
"Okay, meinetwegen. Vergesst nur nicht zu verhüten. Gerade ist sowieso schon zu viel los."

ᴡɪᴇ ʜᴇɪßᴛ ᴅᴇɪɴᴇ ᴡᴏ̈ʟғɪɴ? ✔️Where stories live. Discover now