Speziaaal ~ 35

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(Es hätte eigentlich ein normales Kapitel werden sollen...
Aber auf einmal hatte es einfach mehr Wörter als mein letztes Spezial... 🥲 und das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.
Also gönnt es euch! 😉)

÷ Julian ÷
(Noahs Vater)

Die Zahnräder ratterten nur so in meinem Kopf herum, aber es klang keinesfalls so wie eine geölte Maschine, sondern eher als würde ich mit meinem alten, verrosteten Fahrrad as der dunkesten Ecke meiner Garage einen Berg hinauffahren mit dem Wissen, dass jede Sekunde die Kette einfach platzen könnte und ich auf den Boden falle. Das Bild im Fotobuch musterte ich, als wäre es mein einziger Ausweg vom rostigen Fahrrad.
Kira erkannte ich ja auf dem Bild sofort, immerhin habe ich sie in den Jahren auch gesehen und auf sie aufgepasst. Sie ist ja meine Nichte und lebt glücklicherweise keine zehn Minuten von mir entfernt. Aber um Linn auf dem Foto zu erkennen, muss mir schon jemand genau sagen, dass sie das ist.

Miriam verzog passend zu meinem Gedankengang nachdenklich das Gesicht. "Ich meine ... ja irgendwie... das Mädchen ähnelt Linn schon - vor allem auch von der Augenpartie und der Nase her - aber die Strähne kann auch nur Zufall sein. Das kann alles Zufall sein."
"Genau und selbst wenn-", hing ich unbehaglich an und wrang die Hände ineinander. "Was soll das jetzt bedeuten? Kiras und Linns Kindergartenzeiten sind lange vorbei. Jahre her."
Miriam nickte mir zustimmend zu. "Sie waren noch jung, da kann es passieren, dass sie einander vergessen, Henry. Selbst wenn du Jonas jetzt zwingen würdest, könnte er sich nicht mehr an alles und jeden aus der Volksschule erinnern."

Henry schüttelte durch unsere Argumente wehement den Kopf wie ein trotziges Kind - nein genauso wie Kira, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Jetzt weiß ich woher sie das hat. Henry schien so sehr in dem Thema zu sein, dass meine Sorge um ihn immer weiter anstieg. Seine Hände waren neben dem Fotobuch fest zu Fäusten zusammengedrückt, sodass seine Adern schon beinahe von unter seiner Haut herausspringen wollten.

Ich konnte mir seine Wut auf die Hambes nicht erklären.
Meinetwegen konnte das Mädchen auf den Bild Linn sein, aber was würde sich denn auch an unseren Leben ändern? Kira und Linn würden sich die Hand an die Stirn klatschen, wenn sie heraus finden, dass sie einander nach all den Jahren nicht wiedererkannt haben, aber sonst? Vielleicht würde die Hambes dann auch Henry als Kleinkind-Kiras Vater wiedererkennen und sie würden ihn auf einen Kaffee bei sich einladen der alten Zeiten Willen. Meinetwegen würden sie sich dann noch weiter unangenehm immer kurz unterhalten, wenn sie sich über den Weg laufen, aber...
Das erklärt für mich noch immer nicht Henrys Wut.

Naserümpfelnd fing er dann an im Buch wild hin und her zu blättern und schob es dann wieder wie auf einem Präsentierteller Miriam und mir hin. "Das Bild!", verkündete er genervt und deutete auf eines an dessen Zeit ich lieber nicht zurückgedacht hätte. "Das Bild ist kurz nach Lindas Tod aufgenommen worden, als wir Kira erklärt haben, was mit ihrer Mutter passiert ist." Bevor mir wieder ein Kloß im Hals aufsteigen konnte, sah ich schon die Tränen in Henrys Augen. Miriam fasste meine Hand, die schlapp an der Seite hinabhing und drückte kurz fest zu. Ein altes Zeichen, womit sie mich erinnert, dass ich nicht alleine bin. Nie, solange ich sie habe.

Der Tod meiner Schwester kam für uns alle überraschend. Besonders für Henry, Miriam und mich.
Ich musste meine eigene kleine Schwester in ihr Grab tragen gemeinsam mit ihrem Seelenverwandten und das während Miriam auf ihre und unseren kleinen Kinder aufpasste. Timmy war damals noch nicht geboren gewesen und das Rudel hatte das Vertrauen zu mir verloren gehabt. Es waren dunkle Zeiten gewesen und meine kleine Sonne war nicht mehr da gewesen um in alles und jeden das Gute zu sehen.

Kira konnte nur schwer verstehen warum ihre Mama nicht mehr nach Hause kam und sie abends zudeckte oder mit ihr morgens durchs Haus tanzte.
Aber irgendwie haben wir ihr es dann doch einfühlsam erklären können und sie kam aus dem Weinen nicht mehr hinaus. Kira war zwar jung aber nicht dumm gewesen. Sie hatte Henry Tag und Nacht weinen gesehen und wie er im Hausflur geschlafen hat, weil ihn das Schlaf- und Wohnzimmer zu sehr an seine verstorbene Seelenverwandte erinnert hatte. Sie hatte praktisch aufgegriffen, dass etwas schlechtes passiert sein musste.
"Henry.", sprach Miriam sanft auf ihn ein und streckte ihm eine unterstützende Hand über den Tisch hinüber.
"Nein.", unterbrach er streng und schniefte. "Ich habe miterlebt wie meiner Frau immer mehr das innere Licht ausgegangen ist und ich konnte nichts anderes tun als danach tatenlos zuzusehen, wie die Augen meiner kleinen Tochter vor Schmerz brachen.", sprach er tonlos und schluckte schwer.
"Wir waren damals für euch da, wir sind es immer gewesen und wir werden es auch immer. Du gehörst zu meiner Familie, Henry. Genauso wie es Kira tut.", versichterte ich ihm erneut und sah ihm fest in die Augen. "Wir sind das gemeinsam schon oft durchgegangen und wenn du eine Auszeit brauchst, dann unterstützen wir dich wieder dabei."

ᴡɪᴇ ʜᴇɪßᴛ ᴅᴇɪɴᴇ ᴡᴏ̈ʟғɪɴ? ✔️Where stories live. Discover now