Sechsundfünfzig

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~ Linn ~

"Okay, du willst mir also wirklich weismachen, dass in Noah ein böser Geist lebt? Und dass der Geist Schuld ist daran, dass er sich in letzter Zeit so komisch verhalten hat und er diese komischen roten Augen auch davon hat?" Verstört starrte Timmy den Zauberwürfel in seinen Händen an, während ich den Hauptraum meines alten Packhauses auf vermisste oder verschwundene Artefakte durchsah.
" Mehr oder weniger ja." Tonlos öffnete ich schließlich eine Kommode und zählte hauchend die alten, verstaubten Schneekugeln durch. "Okay, es ist alles da.", flüsterte ich erleichtert und schloss die Türen.

Ich war lange nicht mehr im Packhaus gewesen beziehungsweise hatte ich mich nicht wirklich getraut. Das letzte Mal war ich in Leos Begleitung hier und auch nur bis in die Bibliothek, aber ich hatte mir weder die Zeit noch den Mut genommen alles auf Vollständigkeit durchzuschauen. Ich wusste ja nicht ob ein neues Rudel schon das Packhaus beansprucht hat oder fremde Wölfe oder schlimmer noch Rogues hier Zuflucht gefunden haben.

"Linn.", meckerte Timmy herum und ich drehte mich zu ihm. "Ich bin vielleicht sieben aber ich bin nicht dumm.", warf er mir trocken entgegen und brach in der nächsten Sekunde schon eine Ecke aus dem Zauberwürfel, der sofort auseinanderfiel. Er begutachtete einen Moment noch das Plastikherz und fing dann an die Teile in der richtigen Ordnung drum herum aufzubauen.
Ich musste lachen. "Du weißt aber schon, dass man so keinen Zauberwürfel löst."
Er blickte kurz auf und sandte mir einen unschuldigen Blick zu. "Jonas macht das auch immer so. Kannst du mir jetzt weiter erzählen was da Zuhause abläuft? Das sah aus als wenn sie einer Sekte beitreten wollen würden und Noah dazu opfern müssten."
"Woher hast du solche Infos?", rief ich verstört und ließ mich auf die gepolsterte Bank neben ihn fallen.
"Ich hab so meine Quellen."

Ausatmend lehnte ich mich zurück und starrte auf die eher niedrige Decke hoch. Ich fühlte mich falsch. Es war ungewohnt mit Timmy über solche Themen zu reden, aber Noahs Familie hatte so entschieden.
Noah und Jonas haben stundenlang gestritten in der letzten Nacht, aber sie waren sich von Anfang an einer Sache einig gewesen.
Timmy wird nicht mehr jede Ausrede einfach so akzeptieren.
Während Noah und sein Bruder sich also im Wohnzimmer in die Haare gekriegt hatten, zog mich ihre Mutter in die Küche wo auch ihr Vater saß. Das Gespräch war weitaus angenehmer gewesen als der Gebrüderkampf im Nebenraum.
Miriam und Julian haben mich gebeten Timmy in Sachen Werwolf aufzuklären und ihm richtige Erklärungen zu geben, die er lernen kann, sodass er nicht die falschen in sich aufsaugt und nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

"So gern wir es nicht sehen wollen.", hatte Miriam angefangen. "Aber Timmy wird immer größer und natürlich will er mehr über sich und sein Dasein lernen."
"Wir wollen aber nicht, dass er irgendetwas aufgreift und falsche Informationen lernt.", meinte Julian verständlicherweise besorgt. "Wir können ihm nicht immer alles vorenthalten, aber wenn wir schon die Chance haben, dass du - eine ausgebildete Werwölfin - ihm etwas beibringen könntest, dann nehmen wir dieses Angebot eher an als ihn zu unserem Bibliothekar zu schicken."
"Ist denn euer Bibliothekar so schlecht? Immerhin muss er ja eine Schulung durchgehen und genug Wissen angesammelt haben, um richtig lehren zu können." Das mussten zumindestens die Bibliothekare meines Rudels und zudem wurden sie immer von den Vorgängern ausgebildet und bewacht. Opa hatte besonders Wert auf die Schulungen gelegt.
Miriam und Julian wechselten einen vielsagenden Blick. "Er ist etwas eigen.", versuchte Miriam vordichtig das Thema anzusprechen.
"Er ist der Erbe der letzten Bibliothekarin, aber er interessiert sich nicht wirklich für das alles." Julian behielt seinen Blick auf der Tischplatte und seinem Wasserglas. "Ich habe ihn schon mehrmals gebeten, dass er sein Budget sinnvoll einsetzt, aber er widersetzt sich dem manchmal."
"Oder er besorgt Bücher und Artefakte mit denen kaum wer etwas anfangen kann."
"Inwiefern kann man mit ihnen nichts anfangen?", unterbrach ich die beiden. Mit jedem Buch konnte man etwas dazulernen und ich hatte mich in meiner Ehre gekränkt gefühlt gehabt, als die beiden nicht meiner Ansicht gewesen waren. Für mich war das Bibliothekarsleben heilig und-
"Wir haben einen ganzen verschlossenen Raum voller antike Waffe.", platzte es schließlich aus Julian und ich starrte ihn einen Moment verblüfft an.
"Okay, davon kann man auch etwas lernen.", hatte ich versucht es schön zu reden, aber der Gedanke statt Büchern eher Waffen zu besorgen wollte in meinem Kopf nicht so gut ankommen.
"Schwerter, Sperre, ein verfluchtes Katapult, Schilde, Messer... Ein halbes Munitionslager.", erklärte Miriam trocken und ich musste verwundert schlucken. "Der Großteil des Rudels weiß nicht einmal, dass dieser Raum existiert."
"Moment einmal... wie viele Bücher fasst eure Bibliothek?"
"Um die 200."

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