Kapitel 3

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Mucksmäuschenstill trat ich über die Schwelle und versuchte, möglichst geräuschlos die Tür zuzumachen.

Wenn Charlotte nämlich nicht im Büro war, musste sie irgendwo anders sein, und ich konnte nur hoffen, so weit wie möglich von mir entfernt.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und verfluchte den rustikalen Holzboden, der bei jedem Schritt verräterisch knarzte.

Ich war gerade an der Treppe angelangt, als mein Herz einen Moment aussetzte.

Aus dem Zimmer direkt neben mir ertönte ein markerschütternder Schrei. Anscheinend war eins der jüngeren Kinder zuhause geblieben, weil es krank war.

Das bedeutete allerdings, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Charlotte würde jeden Moment auftauchen und das weinende Kind zum Schweigen bringen.

Also alles oder nichts.
Jetzt, wo das Knarzen des Holzes von Kindergschrei übertönt wurde, konnte ich einen Gang zulegen und sprintete die Treppe hinunter.
Dabei ließ ich routiniert die drittletzte Stufe aus, die schon jahrelang besonders laut quietschte.

Zum Glück war das Büro gleich neben der Treppe und ich konnte direkt darin verschwinden.
Dachte ich zumindest.

Natürlich war die Tür verschlossen.
Mist, Mist, Doppel-Mist!
Was hatte ich auch erwartet?

Auf einmal hörte ich die unverkennbaren stechenden Schritte der genervten Heimmutter.

"Paul, was ist denn? Ich mach ja schon was zu essen! Je mehr du mich vom Kochen abhälts, desto länger musst du warten."

Die Schritte kamen immer näher. Charlotte musste auch hier unten sein, vermutlich in der Küche.

Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg und rüttelte auf gut Glück nochmal an dem Türknauf.
Wie durch ein Wunder rasteten die richtigen Bolzen ein und die Tür gab nach. Halleluja!

Ich schlüfte durch einen schmalen Spalt und atmete tief durch, als ich die Tür hinter mir schließen konnte. So weit war ich immerhin schon mal gekommen.

Jetzt galt es nur noch die Kiste mit meinem Handy zu finden. Das konnte ja nicht so schwer sein, schließlich hatte mich das Summen bis hierher geführt. Da konnte es mir nun auch einen finalen Hinweis geben.

Doch: Stille.

Da hatte dieses vermaledeite Smartphone geschlagene zehn Minuten durchgeklingelt und jetzt, wo es ernst wurde, ließ es mich im Stich.
Anscheinend hatte der mysteriöse Anrufer schlussendlich doch aufgegeben.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als sämtliche Schubladen durchzusehen und jede Schranktür aufzumachen. Irgendwo musste diese kleine grüne Box doch sein...

Das Geschrei im oberen Stockwerk hatte mittlerweile aufgehört und eine Tür wurde energisch zugezogen.

Oh nein, Charlotte war auf dem Weg hierher. Gar nicht gut!

Hastig schloss ich alle von mir geöffneten Fächer und wollte gerade unverrichteter Dinge wieder verschwinden, als ich einen Schlüssel im Schloss umdrehen hörte.

Shit, shit, shit! Was jetzt?

Verzweifelt blickte ich mich um und sah die einzige mögliche Rettung:
Der verstaubte Kleiderschrank hinter Charlottes Schreibtisch.

Warum sie einen Kleiderschrank in ihrem Büro stehen hatte?
Keine Ahnung. Vermutlich stattete sie mit den bereits getragenen Klamotten alle Neuankömmlinge aus.

Das war mir gerade, ehrlich gesagt, auch ziemlich egal.

Wenige Sekunden später fand ich mich zwischen Bergen müffelnder und staubiger Mäntel, Schneehosen und Pelzmützen wieder.

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