Kapitel 14

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So altehrwürdig und prunkvoll das Haupthaus auch war, so wurde es doch durch das monströse Unterrichtsgebäude übertroffen.

Unser zusammengewürfeltes Trio trat aus der Hintertür des Anwesens und ich fand mich auf einem quadratischen Atrium wieder, welches sich vor uns erstreckte.

Ein Schlossgarten, wie passend, dachte ich und folgte Pacifica und Adam, die in eine hitzige Debatte verwickelt waren.

"Sag mal, bist du blind?!" rief meine neue Zimmerkameradin und griff sich an den Kopf. "Das ist eindeutig ein Hase, du Schwachkopf!"

"Wie um alles in der Welt sieht das da aus wie ein Hase? Esel trifft es eher."

Ich folgte ihren Blicken. Sie schafften es doch tatsächlich, sich über einen kunstvoll getrimmten Busch aufzuregen, bei dem sich der Gärtner anscheinend nicht ganz so sicher gewesen war, was genau diese Form darstellen sollte.
Zugegeben, ich selbst hatte auch keine Ahnung, wie ich die Kartoffel mit zwei Spitzen einordnen sollte.

Pacifica drehte sich abrupt zu mir um. "Sue, sag doch auch mal was! Ist dieser hässliche Busch ein Esel" Sie warf Adam einen abwertenden Blick zu. "Oder doch ein Hase, der vielleicht ein wenig abgemagert ist?"

"Ähm..." Ich begutachtete das Objekt länger als nötig, unsicher, was ich darauf antworten sollte. Wahrscheinlich war alles, was ich jetzt sagen würde, die falsche Antwort. "Sind wir nicht schon längst zu spät für den Unterricht? Vielleicht sollten wir uns..."

"Oh mann... sei doch nicht so konfliktscheu! Hab keine Angst davor, Menschen deine Meinung zu sagen! Das schränkt dich nur ein."
Pacifica verkreuzte die Arme vor der Brust.

"Es geht um einen Busch" versuchte ich ins Gedächtnis zu rufen, da ich immer noch nicht so ganz das Problem verstand. Hilfesuchend blickte ich zu Adam, der uns nur von der Seite angrinste.
Er war anscheinend keine große Hilfe. Und genauso mitteilungsfreudig wie Pacifica.

"Ich finde auch, du solltest keine Scheu vor großen Entscheidungen haben. Immerhin ist die Klassifizierung dieses Bäumchens da von höchster Signifikanz für die gesamte Menschheit!
Nicht wahr, Cica?"

Wenigstens hörte ich aus seiner Aussage einen großen Anteil an Sarkasmus heraus, das machte die Situation erträglicher.

Pacifica schien grundsätzlich gar nicht konfliktscheu zu sein und hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass das alles nicht nur zu ihrer persönlichen Unterhaltung diente, sondern auch viele Situationen in ihrem Alltag auflockerte. Es war immerhin gerade viel einfacher, eine sinnlose Diskussion anzufangen, als ein ernsthaftes Gespräch zu führen.

Adam hingegen hatte einfach nur seinen Spaß daran, Pacifica zur Weißglut zu treiben. Er wusste genau, wie er sie noch weiter anstacheln konnte und ließ sich gerne auf jede Debatte ein.
Die beiden waren ein seltsam harmonisches Duo. Wie genau, verstand ich noch nicht ganz.
Aber als ich sie so beobachtete, vertieft in ihr erhitztes Gespräch, kam es mir so vor, als würden beide in genau dieser Art von Kommunikation vollends aufblühen.
Seltsam.

"Ich finde, der Busch sieht aus wie eine Kartoffel."

Die beiden starrten mich an.

So.
Da hatten sie meine Meinung.
Ich würde mich nicht unterkriegen lassen.

"Ne, also eine Kartoffel ist das echt nicht" entschied Pacifica.

"Absolut nicht, keine Chance" fügte Adam hinzu.

Und so liefen wir wortlos weiter.
Immerhin waren sie sich darüber einig und ich hatte den anstrengenden Austausch vorerst beendet.

Als der weiße Koloss vor uns immer größer wurde und fast mein komplettes Sichtfeld einnahm, wurde es mir flau im Magen.
Was würde dieser quadratische, fensterlose Bau für mich bereithalten?
War ich selbst überhaupt bereit für das, was da drinnen auf mich wartete?

Erst, als wir unmittelbar vor der Außenwand standen, konnte ich die leichte Umrandung einer unscheinbaren Tür erkennen.
Pacifica schloss kurz die Augen und ich hörte ein leises Rattern.
Dann löste sich die Tür geräuschlos und trat ein paar Zentimeter nach hinten, bevor sie dann zu Seite glitt.

"Woah" entfuhr es mir.

Adam lachte. "Diese Schule ist nicht annähernd so veraltet, wie sie aussieht... Der Professor hat zwar ein Faible für Antiquitäten, aber bei unserer Ausbildung sieht er ein, dass modernste Technik notwendig ist.
Diese Tür, zum Beispiel, können nur Sensible öffnen. Das ist eine Schutzvorkehrung, sodass kein Fremder eindringen kann."

Ich nickte beeindruckt, während er mich durch die Öffnung schob.
"Und wie genau funktioniert das?"

"Mit einer bestimmten Frequenz. Wenn du in Physik aufgepasst hast, dann..."

"Ernsthaft?!" Ich sah in angewidert an. Pacifica kicherte leise. "Ist denn alles hier Physik?"

"Wenn du mich so fragst, schon irgendwie..." Adam verzog das Gesicht. "Aber ist nicht generell alles auf der Welt Physik?"

"Klugscheißer" murmelte Pacifica und erntete einen leichten Schlag gegen die Schulter.
Ich war mir sicher, Adam konnte mit seinen außergewöhnlich gut trainierten Oberarmen deutlich mehr Schaden anrichten, wenn er nur wollte...

"Was für eine... Ebene... bist du eigentlich, Adam?" fragte ich neugierig.

Pacifica verdrehte die Augen.

Adam lächelte verschmitzt und nahm stolz die Schultern zurück.
"Ebene Gamma. Ich will ja nicht sagen, dass ich zur Elite gehöre, aber..."

"Ja, ja, ja." Pacifica packte mich ungeduldig und zog mich weiter durch die kahlen Hallen des Unterrichtsgebäudes. Überall waren die Wände mit kühlen Tönen gestrichen und es gab nur das absolut Nötigste an Inneneinrichtung.

Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt.
So eine futuristische Szenerie kannte ich eigentlich nur aus den wenigen Science-Fiction-Filmen, die ich in meinem Leben bisher geschaut hatte.
Den Gedanken, dass hinter den modernsten utopischen Umständen meist eine waschechte Dystopie mitsamt Diktatur und Überwachung gesteckt hatte, versuchte ich schnell zu verdrängen.

Wir fuhren in einem transparenten Aufzug an mindestens fünf Stockwerken vorbei, die allesamt identisch aussahen, bis er endlich zum Stehen kam und wir aussteigen konnten.

Zielstrebig liefen meine Begleiter zu einer der zehn Türen, die in einem Kreis angeordnet waren.
Ich hatte keine Ahnung, wie sie die Richtige identifizierten, aber sie schienen sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein.

"Wartet."

Ich blieb stehen.
Verwundert drehten sich Pacifica und Adam nach mir um.

"Ich weiß nicht, ob ich wirklich..."
Die Worte blieben mir im Halse stecken und ich verknotete nervös meine Finger.
"Aus was genau besteht eigentlich dieser Unterricht?"

Es gab bestimmt einen Grund, warum Professor Kingsley mich nicht mit den anderen zusammen in den Unterricht geschickt hatte...
Nun ja, zugegebenermaßen hatte er mir überhaupt keine Anweisungen gegeben, wie ich mich nach dem mehr oder weniger aufschlussreichen Gespräch in seinem Büro zu verhalten hatte.
Das bedeutete, er konnte es mir auch nicht übel nehmen, dass ich einfach nur meinen neuen "Freunden" folgte und versuchte, mich anzupassen.

"Das ist schwer zu erklären..." Adam kniff die Augen ein wenig zusammen. "Aber am besten probierst du es einfach selbst mal aus."

Und damit drückte er die Türklinke hinunter.

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