Kapitel 12

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"Masch su sen Kaffee?" grummelte Pacifica in ihr Kissen. Sie hatte sich sofort wieder mit dem Gesicht voran auf ihr Bett geschmissen und hob nun unmotiviert die Hand, um auf eine kleine Kaffeemaschine zu zeigen, die direkt neben der Tür auf einem Mini-Kühlschrank stand.
"Bidde..."

Perplex sah ich mich um.

Das riesige Zweierzimmer war weniger antik eingerichtet als der Rest der Akademie und glich wohl eher einer normalsterblichen Residenz. Obwohl, die Betten waren schon echt überdimensional, zumindest für mich, die eine 80cm breite Matratze gewöhnt war...

Der Bereich war in zwei identische Hälften aufgeteilt, von denen eine schlicht und aufgeräumt war, während sich in der anderen Berge von Klamottenstapeln häuften. Ungefähr Zweidrittel der Fläche des Bodens dort waren bedeckt und auch die Wände hingen vollbeladen mit Zeichnungen, Fotos und Postern.
Auf dem Schreibtisch türmten sich Bücher, jedoch keine Schulbücher, wie ich feststellte, sondern Literaturklassiker.

Dreimal dürft ihr raten, wem diese Hälfte gehörte.

Meine zwei Taschen standen auf der gegenüberliegenden Seite neben dem frisch bezogenen Bett und ich fragte mich, wie Karl sie hier überhaupt abgeliefert hatte. War er etwa unbemerkt ins Zimmer gekommen, während Pacifica noch geschlafen hatte? Creep.

"Kaffeeeeeee" hörte ich zwischen den Kissen hervorkommen und ich drückte schmunzelnd auf den Knopf der Maschine. Eine saubere Tasse hatte schon darunter gestanden.

Lustig, dass wir hier unsere eigene Minibar hatten, noch dazu mit einem kleinen Kaffeetisch an der Wand.

Während ich wartete, blickte ich mich weiter um und war schließlich gefesselt von der Bomben-Aussicht.

Wie in der Eingangshalle gab es auch hier bodenlange Fenster, die einem das Gefühl gaben, mitten in der Natur zu stehen, dunkelgrüne Bäume ringsherum.

Das Brummen der Kaffeemaschine hörte abrupt auf und ich stellte die dampfende Tasse auf den Tisch.

"Du musst jetzt aber schon herkommen." wagte ich. "Sonst verschüttest du den Kaffee noch im Bett."

Pacifica stöhnte, schlurfte dann aber doch in ihrem grauen Schlafshirt und karierten Hosen zu mir.
Wie ein nasser Sack ließ sie sich auf einen der Stühle fallen.

"Ich..." Sie nahm einen großen Schluck des kochend heißen Getränks. "bin Profi im Im Bett Kaffee Trinken, ja? Wie würde ich denn sonst überleben..."

Sie sah mich über den Tassenrand hinweg an. "Willst du denn keinen trinken?"

Ich schüttelte den Kopf. "Ich hab einfach nur Sterbenshunger... Hab seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen."

Ich hatte Angst, ihr zu beichten, dass ich Kaffee so gar nicht ausstehen konnte. Was würde sie wohl tun? Mich nachts heimlich mit einem Kissen ersticken?

Umständlich verbog sich Pacifica, bis sie schließlich einen Müsliriegel aus der Schublade hinter hier gekramt hatte. "Hier. Iss das. Aber es gibt auch bald Frühstück."

Dankbar nahm ich ihn an, denn mein Magen grummelte wirklich unangenehm.

"Also. Sue, richtig?" sagte Pacifica schließlich mit einem entspannteren Gesichtsausdruck, den Kaffee zur Hälfte geleert. "Du bist also die Neue."

Ich nickte erleichtert. Immerhin verhielt sie sich jetzt deutlich weniger einschüchternd.
"Jap."

"Cool. Ich bin Pacifica." Sie hielt mir ihre mit Bleistift verschmierte Hand hin. "Oh, sorry... Ich hab letzte Nacht noch gezeichnet."

Ich ergriff sie dennoch dankbar.
Irgendwie hatte das was von einem Friedensangebot und ich nahm es gerne an.

"Hast du die alle gemacht?" fragte ich und deutete auf die vielen Skizzen von abstrakten Formen und... waren das Gesichter?... an der Wand.

"Hmhmm" murmelte sie, wieder an ihrem Kaffee schlürfend.

"Die sind echt gut." Ich biss ebenfalls in den Riegel.

"Danke." antwortete das verschlafene Mädchen knapp. Ich hatte das Gefühl, dass das Kompliment ihr irgendwie unangenehm war.
"Zeichnest du auch?"

Ich hielt abwehrend die Hände hoch. "Ne ne, keine Chance! Ich bin absolut unbegabt, was Kunst jeglicher Art angeht..."

Sie kniff die Augen zusammen. "Was machst du dann so? Irgendwas musst du doch besonders mögen... Oh Gott, bitte sag mir nicht, dass du einer von diesen Mathe-Cracks bist! Ich halte es nicht mit jemandem aus, der vor dem Einschlafen die Primzahlen durchgeht..."

Ich lachte unerwarteterweise.
"Keine Sorge, da besteht bei mir keine Gefahr. Ich kann eigentlich so gut wie... nichts."

Pacifica runzelte die Stirn. "Echt nicht? So gar nichts? Du bist ja langweiliger als ich dachte..."

Autsch, der hatte gesessen. Ungewollt getroffen schaute ich zur Seite.

"Oh shit." Sie beugte sich vor. "Das war echt ne dumme Aussage, tut mir leid. Du bist nicht langweilig! Ich bin nur manchmal... Hör zu, ich hab echt die Hälfte der Zeit keine Ahnung, was ich von mir gebe, okay?"

Ich sah ihr direkt in das ehrlich besorgte Gesicht und war fasziniert von den grauen Augen. Zusammen mit ihrem glatten, braunen Haar war Pacifica eine natürliche Schönheit und jeder aus meiner alten Schule hätte sie entweder vergöttert oder zu Tode beneidet. Ihr schien ihr Äußerliches mehr oder weniger egal zu sein, und das machte sie irgendwie noch attraktiver... Waren etwa alle hier so gut aussehend?

"Alles gut" sagte ich schulterzuckend und verknotete meine Finger unterm Tisch. "Du hast ja Recht. Ich weiß, dass ich uninteressant bin. Ich hab mein ganzes Leben lang nach irgendetwas Besonderem an mir gesucht, aber bis jetzt: Fehlanzeige."

"Ääähm..." Pacifica hob die Augenbrauen. "Dir ist aber schon bewusst, dass du hier in einer Akademie für Geisteswissenschaften sitzt? Und nicht in so einer, die sich mit Sprachen und so beschäftigt?"
Eine kurze Pause.
"Alter, du hast mentale Superkräfte!"

Daran zweifelte ich zwar immer noch, aber es fühlte sich schon gut an, so etwas gesagt zu bekommen.

"Außerdem hat Professor frickin' Kingsley dich persönlich adoptiert, Mädchen. Der Schulleiter ist jetzt offiziell dein Daddy."

Ich grinste, ließ dann aber schnell wieder die Schultern hängen. "Ich hätte bloß gerne irgendetwas, dass mich ausmacht, weißt du?"

"Ja, das ist schon komisch" erwiderte Pacifica ernst. "Normalerweise..."

"Normalerweise was?"

Sie schien mit sich zu ringen.
"Normalerweise hat jeder, der hierhin kommt, eine... Richtung, die ihm liegt. Das hat mit der Spezialisierung zu tun. Viele sind naturwissenschaftlich begabt und können deshalb gut auditive Signale wahrnehmen..."

"Telepathie" unterbrach ich sie.

"Genau. Dann gibt es Sensible, die gut visualisieren können und kreative Vorlieben haben. Die sind meistens Televisionäre."

"Also du auch?"

"Gut erkannt, Sherlock.
Und dann gibt es da noch die Gamma-Ebene... die Königsklasse sozusagen. Auf die haben nur die Krassesten Zugriff."
Sie verdrehte die Augen.
"Telekinese. Das schaffen eigentlich nur die Ultrasportlichen, weil es anscheinend nur mit viel Ausdauer und körperlichem Training möglich ist. Dabei erzählen sie uns doch immer, die konnektive Mentalität geht allein von unseren Köpfen aus...
Na ja, die findest du vor allem im Gym. Wo auch sonst."

"Persönliche Erfahrung?" hakte ich neugierig nach.

"Wenn du nur wüsstest..." Pacifica zwinkerte und ich musste lachen.
"Mann, es ist echt zu früh für diese Art von Gespräch. Ich hau mich wieder hin!"

Und innerhalb weniger Sekunden vergrub sie den Kopf wieder in ihren Kissen.

Na gut, dann packte ich eben erstmal meine Sachen aus.

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