Kapitel 19

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"Wenn du dich so erschreckst, siehst du aus wie ein verstörtes Eichhörnchen!" hörte ich ein tiefe Stimme am Lagerfeuer.

"Du kannst mich mal, Henry."

"Was denn? Findet ihr diese Nase nicht auch irgendwie... passend?"

Ich wagte mich noch einen Schritt nach vorne und spähte durch die Äste des letzten Baumes, der mich noch von dem Geschehen trennte. Zum Glück war der Stamm so dick, dass ich meinen Körper gerade so dahinter verbergen konnte.
Ich war beeindruckt, dass ich bis jetzt noch nicht gestolpert, oder gar auf ein verräterischen Ast auf dem Boden getreten war.
Und das obwohl ich noch nicht mal eine Lampe bei mir hatte.
Respekt.

Normalerweise war das der Punkt in Geschichten, an dem die Hauptfigur entdeckt wurde, weil sie niesen musste, oder so.
Das konnte mir zum Glück nicht passieren.

Ich hielt mir in weiser Voraussicht die Nase zu und versuchte, so leise wie möglich durch den Mund zu atmen, als ich die kleine Gesellschaft vor mir beobachtete.

Die Feuerstelle in der Mitte beherbergte ein beachtliches Lagerfeuer, dass mindestens einen Meter nach oben ausschlug. Die vier Leute, die sich um es herum versammelt hatten, schienen sich allerdings weniger für das offensichtliche Risiko eines Waldbrandes zu interessieren, sondern hockten nur lässig auf zwei umgefallenen Baumstämmen.

Das Mädchen, das vorhin geschrien hatte, lachte jetzt wieder und vergrub ihr Gesicht in dem Ärmel des Typen daneben.
"Och mann, ich kann doch auch nichts für meine Stupsnase!"

"Nein, Baby. Sag sowas nicht! Ich liebe deine niedliche Nase!" Der Typ, der offensichtlich ihr Freund war, legte ein Arm um sie und zog sie noch näher zu sich heran.
Wenn das überhaupt möglich war, sie saßen sich ja quasi schon gegenseitig auf dem Schoß.

"Meinst du?" Die kleine Blondine schaute mit großen Augen auf. "Ich weiß ja nicht..."

"Doch, doch, glaub mir. Aber, um ehrlich zu sein, liebe ich jeden Zentimeter deines Körpers.
Und damit meine ich wirklich jeden."

Da musste ich mich doch beinahe übergeben.

Ich fand Pärchen-Gespräche zwar nie besonders angenehm, aber das hier war dann nun wirklich ein anderes Level.

Anscheinend ging es den anderen in der Runde nicht anders.

"Alter, muss das sein?" fragte der große Typ ganz links. Kurz darauf steckte er sich einen Finger in den Hals und simulierte einen Brechreiz.
Sympatisch.

"Du brauchst nicht immer so ausfallend zu werden", erwiderte Blondies Freund und schob seine Brille hoch, "nur, weil du selbst noch nie eine richtige Beziehung hattest und neidisch bist."

"Glaub mir, Victor, ich habe meinen Spaß. Nur halt eben nicht so... verpflichtet... wie ihr in eurer Kindergarten-Beziehung."
Er grinste und lehnte sich zurück.

"Iiih, Henry!" quietschte das Mädchen.
Henry lachte nur und strich sich die etwas längeren, schwarzen Haare aus dem Gesicht.

Der Vierte in der Runde hielt sich die ganze Zeit über eher bedeckt und beobachtete das Ganze wie ich hauptsächlich von der Ferne, obwohl er nur ein paar Meter von den anderen entfernt saß. Er trug einen schwarzen Kapuzenpulli und sein Gesicht lag im Schatten. Die Hände hatte er in seiner Bauchtasche verstaut, sodass man absolut gar nichts von ihm ausmachen konnte.

"Was, Lilith? Was möchtest du andeuten, hmm?"
Henry reckte ihr herausfordend sein Kinn entgegen, wobei er immer noch grinste.

"Ha ha ha", kicherte sie nur schrill und klammerte sich an Victors Arm fest.

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