Kapitel 26

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"Sag mal, spinnst du?"

Mein Schädel brummte und ein lautes Piepsen betäubte meinen Ohren.

"Kannst du nicht mal bisschen besser aufpassen?!"

Ich stöhnte und versuchte, meine bleischweren Augenlider zu heben.
"Was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?"

Wer auch immer mich da gerade so heftig ausschimpfte, beugte sich weiter herunter, um mein Gemurmel zu verstehen.
Anscheinend lag ich irgendwo auf dem Boden.

Mal wieder.

"Ich hab gar nichts falsch gemacht... außer vielleicht geboren zu werden. Aber das ist ja auch nicht wirklich meine Schuld..." Ich rieb mir die Nase.

"Sssh, Sue. Alles gut."

Hmm, ich mochte diese Stimme. So warm wie frisch gebackener Schokokuchen...

"Schokokuchen!" platzte ich viel zu laut heraus und warf blind die Arme nach oben. Mit ungeahnten Kräften packte ich Fynn um den Hals und versuchte ihn herunterzuziehen.

Allerdings konnte der sich gerade noch abfangen und ihm gelang es, seine Arme unter mich zu schieben. Mit einem Ruck war ich in der Luft und merkte an dem kalten Luftzug unter mir, dass das Gras, auf dem ich gelegen hatte, klatschnass gewesen war.

"Ich hab nicht mit dir geredet, du Nudel" vibrierte es an meiner Seite.

Der stetige Rhythmus von Fynns Schritten wiegte mich sanft hin und her und mein Kopf nickte langsam zur Seite weg.

"Ah ah ah!" Fynns erbarmungslosee Hand drückte mich wieder näher an seine Brust. "Einschlafen ist ganz schlecht bei einer Gehirnerschütterung."

Ich brummelte unzufrieden und schluckte ein paar Mal um den unangenehmen Geschmack in meinem Mund loszuwerden.

"Nur noch ein paar Meter. Gleich sind wir da."

Oh Mann, was war nur aus mir geworden?

"So. Hier ist es wenigstens ein bisschen bequemer."

Ich wurde langsam abgesetzt und stellte erleichtert fest, dass der  Untergrund viel weicher war als zuvor.

"Ey, ihr zwei da! Besorgt mal Wasser von irgendwo her! Und nicht nur was, was wie Wasser aussieht, sondern was, das tatsächlich Wasser ist."

Ich kicherte, meine Augen immer noch wie zugeklebt. "Das ist voll der Zungenbrecher... Was, das Wasser wasst-"

"Wieviel hast du denn bitte getrunken?" Ich spürte eine warme Hand auf meiner Stirn.
"Es ist noch nicht mal zehn."

Ich bewegte meine Hand nach oben und griff nach Fynns. Entschlossen schloss ich meine Finger um seine und zog sie auf Höhe meines Bauches. Er schien sich nicht zu wehren.

Die Schwere unserer beider Hände zusammen ruhte auf mir.
Zufrieden lächelte ich und drohte, wieder wegzudösen.

"Hey! Hey! Schau mich an, okay?"

Verwundert öffnete ich die Augen und erstarrte, als ich meinen Retter in Fleisch und Blut vor mir sitzen sah.

Oh Gott, das eben hatte sich nicht nur in meiner Fantasie abgespielt?

Ich schrak auf und ein unangenehmer Schmerz schoss durch meinen Kopf. Autsch.

Anscheinend hatte ich jetzt auch Fynns Hand losgelassen, denn er fuhr sich damit durch die weiß-silbernen Haare.
"Wie geht's dir?"

Abgesehen davon, dass ich gerade unfreiwillig jemanden belästigt hatte und mich davor ein Körperteil in den Hinterkopf gerammt hatte, ganz okay.

Langsam konnte ich immer mehr von meiner Umgebung wahrnehmen und bemerkte, dass ich mittlerweile auf einem mehr als fragwürdig aussehenden Sofa lag, das ein wenig abseits vom Geschehen herumstand.

"Macht ihr das hier öfter?" fragte ich, um die Stille zu unterbrechen.

"So ab und zu. Meistens nach wichtigen Prüfungen, manchmal einfach nur so."

"Und die Musik eben war... Techno?"

Fynn lachte. "Jap. Gefällt nicht jedem."

"Was für Musik magst du denn? Was... spielst du so auf deinem... Cello?"

Gott, wäre ich nicht so betrunken und leicht sediert aufgrund meines Zusammenstoßes wäre ich garantiert nicht so... aufdringlich.

Doch Fynn senkte nur den Blick und schien nicht von den Fragen gestört zu sein. Stattdessen überlegte er einen Moment und antwortete: "Also erstmal freut es mich, dass zumindest dein
Kurzzeitgedächtnis noch intakt zu sein schein scheint. Und was die Musik angeht-"

"Yo, was ist denn hier los?" Ein großer Schatten fiel auf einmal auf uns. "Hätte nicht gedacht, dass du hierfür der Typ bist, Fynn."

Henry nahm einen großen Schluck aus seinem Becher und hielt ihn mir hin. "Da."

Ich nahm ihn ohne große Zier an, doch bevor er meine Lippen berührte, entriss Fynn ihn mir. "Ernsthaft?! Du siehst doch, dass sie nicht noch mehr braucht!"

"Entspann dich, Großer. Du wolltest doch Wasser für deine... Bekanntschaft."

Fynn schnaubte und gab mir das den Becher zurück. Ich setzte ihn an und fühlte die kühle Flüssigkeit angenehm meinen Rachen hinunterlaufen.

"Ich lass euch dann mal wieder alleine" verkündete Henry - nicht ohne ein viel zu offensichtliches Zwinkern in meine Richtung - und verzog sich.

Ich trank weiter und beäugte Fynn unauffällig, der auf einmal sehr versteift auf der Sofa-Kante saß und auf den Boden starrte.

"Also... ähm, was spielst du jetzt so?"
Ich klammerte mich an dem Plastikbecher fest und spürte auf einmal eine Unbehaglichkeit und Kälte, die von Fynn ausstrahlte.

Als seine Augen endlich wieder meine trafen, stand er abrupt auf und schaute auf seine Armbanduhr. "Ich muss los."

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen.

"Tu dir den Gefallen und geh so schnell wie möglich nach Hause.
Das hier ist absolut kein Ort für dich."

Auf einmal klarte mein vernebeltes Gehirn ein bisschen auf und ich erkannte, dass ich diesen Satz schon einmal gehört hatte.

"Was ist denn ein richtiger Ort für mich, hm?" rief ich provokativ.

Ich setzt mich so aufrecht wie möglich auf das Sofa und streckte ihm mein Kinn entgegen.

Fynn, der sich schon zum Gehen abgewandt hatte, blieb einen Moment stehen.

"Ist es das Kinderheim? Oder ein zerstörter Schlossgarten? Oder doch vielleicht lieber eine kalte Zelle für Straftäter?"

Die Klarheit, die mich wie ein Eimer kaltes Wasser übergossen hatte, hatte ich gerade bitter nötig.
Fynn war einer der wenigen Menschen, die bei dem Zwischenfall vor kurzem direkt vor Ort gewesen waren.

Vielleicht leugnete er ja nicht alles und konnte er mir Antworten liefern. Immerhin war er es gewesen, der mich eingesperrt hatte.

"Was ist gestern passiert?"

Meine Frage hallte über die wenigen Meter, die Fynn schon zwischen uns gebracht hatte.

Ein kleiner Moment verging, bevor er mir wieder den Rücken zukehrte und sagte: "Geh ins Bett, Sue. Ich schicke Pacifica oder Adam zu dir.
Gute Nacht."

Und so ließ er mich auf dieser vergammelten Couch sitzen.

Mit einem leeren Becher in der Hand, einer gigantischen Beule am Hinterkopf und tausend Fragezeichen in den Augen.

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⏰ Last updated: Nov 28, 2023 ⏰

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