Kapitel 17

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"Und du warst zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort?! Hast sie dann natürlich heldenhaft aufgefangen... Ich hasse es, wie du immer so tust, als ob wir Frauen auf männliche Hilfe angewiesen sind!"

Ich hörte ein Schnauben.

"Ich hätte sie auch einfach fallen lassen können, wenn dir das lieber gewesen wäre."

"Oh Mann, du checkst echt gar nichts, oder?!"

"Was kann ich denn dafür, dass sie buchstäblich in mich hineingerannt ist? Ich hätte gerne deinen Gesichtsausdruck gesehen, wenn ich ihr seelenruhig beim Ohnmächtig-Werden zugeschaut hätte..."

"Und dann trägt er sie auch noch - der Gentleman, der er ist - durchs komplette Schulgebäude. Damit auch ja jeder davon Wind bekommt und dich bewundern kann für deine-"

"Was stimmt eigentlich nicht mit dir?! Ich hab euch gesucht! Immerhin ist sie deine Zimmerkameradin! Und da kannst du nicht mal für fünf Minuten auf sie aufpassen..."

"Ich bin doch nicht ihr Babysitter! Keine Ahnung, wo sie auf einmal hin ist."

Mühsam öffnete ich die Augen. Sie waren wie zusammengeklebt.

Erst blickte ich nur an eine strahlend weiße Decke, bevor sich dann drei besorgte Gesichter in mein Sichtfeld schoben.

Na ja, zwei besorgte Gesichter.
Das dritte hob nur gelangweilt eine Augenbraue.

"Na endlich."

"Ein bisschen mehr Feingefühl, Fynn." kommentierte Adam und schaute mir eindringlich in die Augen. "Ihre Pupillen sind immer noch geweitet. Siehst du überhaupt irgendwas, Sue?"

Ich schluckte und krächzte ein "Meh" heraus. Ich konnte zwar sehen, aber erkennen konnte ich eher weniger.

"Wo zur Hölle warst du?!" Pacifica schaltete sich ein und kam mit ihrem Kopf noch ein wenig näher.
"Warum bist du nicht bei uns geblieben? Oder hast zumindest Bescheid gesagt?"

Da gerade eindeutig zu viel Aufmerksamkeit auf mich gerichtet war, kniff ich mein Gesicht zusammen und versuchte, mich aufzurichten. Dabei fuhr mir ein stechender Schmerz durch den Kopf und ich begann, zu zittern.

Adam drückte mich sanft wieder herunter. Ich lag anscheinend auf einem mehr oder weniger weichen Sofa. "Oh je, dich hat's ja echt schlimm erwischt..."

"Ich..." versuchte ich nutzlos. Was war nochmal eben gerade passiert?

"Sie ist mir im fünften Stock über den Weg gelaufen." Fynn war der Einzige, der keine Sorgenfalten auf der Stirn hatte und blickte nur ausdruckslos auf mich herab. "Wenn man das so nennen kann."

"Im fünften Stock? Was um alles in der Welt hat sie da gemacht?"

Ehrlich gesagt, hatte ich selbst keine Ahnung.

Obwohl...
Hinter meinem inneren Auge blitzten Bilder der seltsamen Ereignisse von letzter Stunde auf und ich zuckte zusammen.

Ich war in diesem merkwürdigen schwerelosen Zustand gewesen, nachdem ich mit Professor Kingsley meditiert hatte. Das Gruselige war aber nicht die tiefe Dunkelheit gewesen, sondern die Tatsache, dass ich beinahe nicht mehr aus der Trance aufgewacht wäre.

Immer noch schwach teilte ich meinen drei "Rettern" meine frischen Erinnerungen mit.

"Krass, du hast echt eine Einzelstunde beim King persönlich erhalten..." Pacifica grinste ungläubig. "Wie war's?"

"Anstrengend."

Adam nickte. "Klar... Du musstest natürlich erstmal die Grundlagen der Meditation lernen. Für uns ist das Routine, quasi so einfach wie Atmen. Auch irgendwie so wichtig wie Atmen..."

Ich fühlte mich jetzt doch ein wenig sicherer und bewegte mich aus der Horizontalen in eine sitzende Position.
"Ihr wisst aber schon, dass euer Meditieren echt verstörend ist für Außenstehende?"

"Du bist aber keine Außenstehende, Sue."

Ich blickte zögerlich zu Fynn und wollte mir direkt eine Ohrfeige dafür geben. Diese verfluchten Augen! Jetzt hatte ich ihn wieder viel zu lange angestarrt.

"Fühlt sich aber so an." murmelte ich und fühlte meine Wange verräterisch rot werden. Ob vor Scham oder etwas anderem, wusste ich noch nicht.

"Aber du hast erstmal nur meditiert, oder? Also keine weitere mentale Ebene betreten?" fragte Adam, während er sich auf die Lehne des dunkelblauen Sofas setzte.
Pacifica ließ sich neben mich plumpsen.

Nur Fynn blieb ungerührt vor mir stehen.

"Oh Mann, es ist zu früh für so ein Drama." stöhnte Pacifica.
"Eigentlich haben wir ja gerade noch Unterricht. Tja, der muss jetzt aber leider Gottes warten. Wir haben hier einen Notfall."
Sie faltete die Hände hinter ihren Kopf.

Adam grinste.
"Das tut uns jetzt aber wirklich Leid.
Hey, Sue. Willst du nicht vielleicht öfters mal umkippen?"

Die beiden fingen an zu kichern und ich stieg mit ein. Es war irgendwie schön, so ausgelassen mit ihnen zu lachen, und ich fühlte eine Wärme in mir aufsteigen.

"Ist das jetzt euer Ernst?!"

Fynn schien als Einziger gar nichts Komisches an der ganzen Situation zu sehen.

"Du warst eben gerade noch bewusstlos, Sue. Es ist normal, dass mentale Aktivitäten zehrend sind und das einem manchmal schwindelig wird, aber in Kombination mit dem hier-" Er deutete auf meinen Schoß. "Das ist echt besorgniserregend. Vielleicht sollte ich nochmal mit dem Professor-"

"Kannst du dich nicht einmal aus etwas raushalten, Fynn?!" keifte Pacifica.

"Er hat schon irgendwie Recht, Cica." bemerkte Adam mit kühlem Kopf. "Aber was ich nicht verstehe... Der Professor war doch live dabei bei dem Ganzen. Warum hat er denn nichts unternommen?"

Tja, gute Frage.

Wortlos saßen wir so eine Weile da und starrten in die Luft.
Bis auf Fynn natürlich.
Der stand immer noch vor mir und starrte mich an.

Ich räusperte mich.
"Danke. Fürs Auffangen und so."

"Kein Ding."

Um einen erneuten intensiven Blickkontakt zu vermeiden, blickte ich mich um. Wir waren in einem erstaunlich gemütlich eingerichteten Aufenthaltsraum, in dem mehrere Couchen standen und einige Pflanzen verteilt waren.

"Kommt ihr oft hierher?"

Pacifica nickte. "Jap. Das ist so ziemlich der einzige Ort, wo wir uns treffen können, wenn wir nicht draußen im Wald hocken wollen. Wir dürfen uns nämlich nicht gegenseitig in unseren Zimmer besuchen, weißt du?" Sie zwinkerte mir zu.

"Alles klar." Ich verzog verlegen mein Gesicht, weil ich ziemlich genau wusste, auf was sie da anspielte.

Pacifica war die Art von Mädchen, die sich nicht anstrengen musste, um Typen für sich zu gewinnen. Sie machte genau das, was sie wollte und wie sie es wollte, und sich absolut keine Gedanken darüber, was andere über sie dachten.
Und genau das war für Menschen unglaublich anziehend.

"Wie auch immer." Fynn hatte anscheinend genug von unserer Versammlung. "Ich muss los."

"Okay." Ich hob die Hand und winkte ihm noch unbeholfen hinterher. "Danke nochmal."

Er drehte sich kurz vor der Tür noch einmal um.

"Wie gesagt, keine Ursache.
Ich bin immer an Ort und Stelle, wenn eine Jungfrau in Not Hilfe braucht."

Pacifica warf ein Kissen nach ihm.

liquidWhere stories live. Discover now