Kapitel 10

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"Nur, dass ich das richtig verstanden habe... Sie haben mich also hierhergeholt, damit ich mentale Superkräfte entwickeln kann?"

Ich war vor Aufregung immer näher an die Sesselkante gerutscht und hatte meine Unterarme auf dem Schreibtisch abgelegt.

"Und das heißt, ich lerne jetzt so coole Zaubertricks wie Gedankenlesen und Telekinese? Krass! Das ist eindeutig ein Upgrade zu meiner vorherigen Schule..."

Der Professor neigte den Kopf zur Seite. "Nicht... ganz. Du hast deine Fähigkeiten schon von Geburt an. Wir wollen sie nur entfalten und gezielt trainieren. Und die Zaubertricks, wie du sie nennst, sind leider auch kein Kinderspiel, sondern harte Arbeit. Du kannst dich glücklich schätzen, wenn du auf wenigstens eine der drei Ebenen Zugriff hast."

"Ebenen?"

"Die mentalen Ebenen: Telepathie, Television und Telekinese.
Jeder Sensible spezialisiert sich im Laufe seiner Ausbildung auf eine Ebene."

"Sensible?"

"Sensible, Sue. Menschen wie du, die Dinge wahrnehmen, die andere nicht sehen. Oder hören. Aber das hatten wir doch gerade alles schon!"

Ich starrte den silberhaarigen Professor mit offenem Mund an. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder zu fangen.
Das siebte Mal in Folge.

Seit bestimmt einer halben Stunde erleuterte mir der mysteriöse Nicht-Herzog nun seine Absichten.
Und es kostete mich meine gesamte Willenskraft, ihn nicht andauernd zu unterbrechen, weil ich
A) irgendwelche Bezeichnungen hinterfragte (ernsthaft, wie konnte man eine Gruppe mächtiger Jugendliche ernsthaft Sensible nennen? Als ob wir Hartcore-Allergiker oder sowas wären...)
und
B) seine Glaubwürdigkeit anzweifelte ("Aber wieso, WIESO fühlt sich das hier alles an wie Versteckte Kamera!?"
oder
C) schlicht und einfach nicht mitkam.

"Könnten sie nochmal den Part erklären, der sie dazu bringt, mich für so eine Sensible zu halten? Weil das verstehe ich nicht so ganz... Es gibt eigentlich keine Person, die weniger sensibel ist als ich. Ich bin Analphabet, was menschliche Emotionen und Gefühle angeht. Ich sage grundsätzlich immer das Falsche."

Professor Kingsley überkreuzte die Beine und setzte die Brille ab.

"Sue, du hast keine Ahnung, wie falsch du damit liegst... Du magst vielleicht nicht die größte Empathie an den Tag legen, aber du bist außergewöhnlich aufmerksam.
Anstelle dich in den Vordergrund zu stellen, hältst du dich zurück und beobachtest von der Ferne. Das ist typisch für Sensibilität. Du brauchst die physische Nähe nicht."

"Ja, aber" protestierte ich, "introvertiert zu sein, heißt doch noch lange nicht, dass mit meinem Gehirn etwas nicht stimmt!"

"Mit deinem Gehirn ist alles in Ordnung, in bester Ordnung sogar." Professor Kingsley lächelte. "Dein Verstand ist bemerkenswert! Nur Einer in zehn Millionen hat die Kapazitäten, die du hast. Betrachte die Sensibilität als eine Art... Erweiterung, sozusagen."

"Also das ist ja jetzt wirklich weit hergeholt. Haben sie mal meine Mathenoten gesehen? Oder meine kläglichen Versuche in Physik? Mein Gehirn ist nicht gemacht für komplexe Zusammenhänge! Und schon gar nicht... bemerkenswert." Eigentlich hatte es mich einfach nur mein ganzen Leben lang im Stich gelassen.

"Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch erklären soll..." Mich beeindruckte seine stoische Ruhe.
"All dieses... Zeug hat rein gar nichts mit der eigentlichen Sache zu tun. Du kannst vielleicht keine Ebenengleichungen aufstellen, aber dafür kannst du sie betreten! Verstehst du nicht, du kannst deinen Geist buchstäblich in eine andere Dimension versetzen!"

"Und diese Dimension ist was genau?"

"Die konnektive Mentalität. Ein Feld jenseits von Raum und Zeit, wo komplett andere Gesetze herrschen und Sensible wirken können.
Wenn ich mich nicht ganz irre, hast du sie bereits einmal besucht, damals bei deinem Sturz." Er sah mich aufmerksam an. "Damals, nach dem Anruf, hat sich die Realität um dich herum verändert, nicht war?"

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