Kapitel 7

18 10 22
                                    

Umso verdutzter war ich, als sie auf einmal mitten im Zimmer stand, die Handtasche verkrampft in den Händen und nervös umher schauend.

Ich trat mit wackligen Beinen aus dem Bad.

Augenblicklich merkte ich, wie Charlottes Blick über meinen Körper glitt und sich verfinsterte. Ihr schienen die Veränderungen also auch aufzufallen.

"Sue." Sie blickte mir in die Augen. "Ich..."

Charlotte ging einen Schritt auf mich zu.

"Wie geht es dir? Ich meine, du..."
Sie verstummte, kniff die Augen leicht zusammen.

"Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Hat dich unser Gespräch so... getroffen, dass du...?"

Ich starrte zurück.

Sie dachte doch tatsächlich, ich hätte mich absichtlich vom Dach gestürzt.

"Nein!" Ich war, wie so oft, erschrocken von meiner heiseren Stimme.

"Was hast du dann dort oben gemacht?" Charlotte trat noch einen Schritt vor. "Ein Glück, dass Cecily dich so schnell gefunden hat! Das arme Mädchen war ganz verstört, dich so verdreht da liegen zu sehen."

Richtig. Arme Cecily.

Ich hatte genug.
"Charlotte, was willst du hier? Wir wissen beide, dass du nicht hier bist, um dich nach mir zu erkundigen. Sonst wärst du in den letzten Wochen wenigstens einmal aufgekreuzt.
Also: Warum tauchst du gerade jetzt auf?"

Charlotte schwieg für einen Moment. "Du wirst entlassen. Du kannst gehen. Anscheinend bist du mittlerweile stark genug, um nicht mehr stationär behandelt werden zu müssen."

Das waren doch mal gute Nachrichten.

"Heißt das, ich kann wieder ins Heim?" Ich war unsicher, was ich davon halten sollte. Klar, würde ich die verbrauchte Luft im Krankenhaus nicht vermissen und das Essen hier war auch nicht genießbar, jedoch hatte mir das Kinderheim auch nicht wirklich gefehlt.

"Nicht ganz." Charlotte stand nun direkt vor mir und fuhr mit dem Daumen über die frische Narbe an meinem Kinn. Eine seltsam liebevolle Geste, was ich so absolut nicht von ihr gewohnt war.
"Jemand möchte dich adoptieren, Sue.
Ich hab mein Einverständnis bereits erteilt."

Zum Glück hatte ich mich teilweise auf diese Situation vorbereitet.
Gut, vor ein paar Wochen hätte ich nicht damit gerechnet, Charlotte würde mir das hier im Krankhaus offenbaren, dazu noch vor einer im Koma liegenden Patienten.
Aber ich hatte mit so etwas gerechnet.
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen.

"Wer?" fragte ich nur und humpelte rüber zu meinem Bett.
Der Moment gerade war mir eindeutig zu intensiv gewesen.

Charlotte rührte sich nicht vom Fleck.
"Das kann ich dir im Moment noch nicht sagen. Sie wollen sich dir selbst vorstellen."

Sie.
Vielleicht ging tatsächlich mein Kindheitstraum von einer perfekten Bilderbuchfamile in Erfüllung.
Eine richtige Mutter, ein richtiger Vater und womöglich sogar Geschwister.

"Sie wollen dich heute abend abholen. Am besten, du kommst jetzt gleich mit, und wir packen deine Sachen."

So kurzfristig? Und warum abends?

Charlotte schien meine Gedanken lesen zu können. "Du hast eine lange Reise vor dir. Sie leben ziemlich weit von hier, deswegen ist es besser über Nacht zu fahren. Ich weiß, dass ist nicht gerade angenehm für dich in deinem Zustand, aber irgendwie müssen wir dich ja von A nach B transportieren."

Beim Gedanken an eine lange, unbequeme Autofahrt wurde mir ganz schlecht.

"Komm, Sue. Setz dich am besten in den Rollstuhl. Und verabschiede dich mal von deiner Zimmerkameradin."

liquidDove le storie prendono vita. Scoprilo ora