Kapitel 15

23 8 14
                                    

Es war wirklich ein Kampf, bei dieser merkwürdigen Atmosphäre nicht einzuschlafen.

Ich saß im Schneidersitz auf dem Boden, zusammen mit ungefähr 50 anderen, und versuchte vergeblich, mein geistiges Zentrum zu finden.

Wie zur Hölle sollte ich das denn bitte anstellen?!

Immerhin waren auf einmal viel zu viele neue Gesichter um mich herum, die ebenfalls Schüler hier sein mussten. Wie sollte ich mich denn da konzentrieren?

Bereitwillig hatten sie sich alle, mit ein wenig Abstand zueinander, auf dem mit Matten ausgelegten Boden niedergelassen und seitdem nicht mehr vom Fleck gerührt.

Morgenmeditation.

So hatte Adam diese seltsame Zeit der Stille genannt, kurz bevor er mich zu einer der Matten manövriert hatte.

Seit nun bestimmt einer halben Stunde saß ich nun hier und bildete mir ein, nur noch meinen eigenen Herzschlag und irgendwie viel zu lauten Atem zu hören.
Seit ich in diesen - natürlich - überdimensionalen Raum getreten war, hatte ich das Gefühl, dass sämtliche Geräusche um mich herum einfach von den Wänden absorbiert wurde und meine Ohren deshalb wie betäubt waren, so, als ob ich Kopfhörer aufgestülpt bekommen hätte.

Außerdem war es hier drinnen richtig kalt. Ich zog meine Jacke etwas enger um mich und rieb mir meine Arme.

Meine Bewegungen schienen aber mehr als unnatürlich in diesem Umfeld zu sein. Keiner außer mir regte auch nur einen Finger.

Gruselig.

Pacifica hatte mir nur kurz zugeflüstert, dass wir nun meditieren würden und dass das Pflicht sei jeden Morgen.
Unter Meditieren stellte ich mir zwar eine etwas einladendere Umgebung vor, so mit gemütlichen Kissen, einer netten Musik und Räucherstäbchen, aber anscheinend hatte die Akademie da andere Vorstellungen.

Ich schloss meine Augen und fokussierte mich ganz auf meinen Atem. Dabei zählte ich jeden Atemzug und versuchte, die Luft so langsam wie möglich herauszulassen.
Diese Technik hatte mir früher immer geholfen, wenn ich meine Gedanken vor dem Einschlafen sortieren wollte. Da passierte es mir oft, dass ich, ob ich es wollte oder nicht, sämtliche unangenehmen Situationen des Tages wieder durchleben musste. Wie in einer Spirale abwärts drehte sich mein Verstand dann um sich selbst und zwang mich dazu, wachzubleiben, bis sich dieser Knoten in meinem Kopf gelöst hatte.

Durch das Atmen gelang es mir jetzt tatsächlich, meinen Puls etwas zu entschleunigen und meine Lunge ließ sich nun immer tiefer mit Luft füllen.

Eigentlich war es ja doch ganz entspannt hier.
Ich legte meine Hände auf die Knie und öffnete meine Augen wieder, weil ich sonst wahrscheinlich wirklich wegdämmern würde. Immerhin war das meine Einschlaf-Methode.

Ich konnte nicht anders als unauffällig zu den anderen zu gucken. Hatten sie ihre Augen geschlossen? Oder konnten sie auch so meditieren?

Es war schon komisch, dass sie nicht mal zu atmen schienen...
Wie versteinert blickten sie geradeaus und mir wurde langsam mulmig.

War ich hier etwa in einer Sekte gelandet? Wer weiß, vielleicht ist diese Sensibilität nichts anderes als ein spirituelles Was-Weiß-Ich, das sich der Professor nur ausgedacht hatte. Immerhin glaubte man alles, wenn es einem nur lang genug und vor allem überzeugend präsentiert wurde...

Mein Entspannungsfortschritt verabschiedete sich dann mal wieder und ich wurde zunehmend unruhiger.

Dieser Schneidersitz war ja sowas von unbequem, meine Knie fingen schon an zu schmerzen. Auch mein Hintern war schon halb eingeschlafen.

Auch wenn es sich unnatürlich anfühlte, entfaltete ich meine Gliedmaßen und stellte mich hin. Immerhin war hier ja noch nicht mal ein Lehrer oder eine Lehrerin, die mich dafür rügen konnte.
Anscheinend war dieses Meditations-Ding so eine geistige Stillarbeit, oder so...

Langsam zog ich mich zum Ausgang des Raumes zurück und versuchte, so unauffällig wie möglich, nicht über andere Schüler zu stolpern. Irgendwie war mir die ganze Sache hier nicht geheuer. Ich hatte eindeutig zu wenig Informationen um hier mitzumachen...

Das Herunterdrücken der Türklinke hallte durch den kahlen Raum und ich zuckte zusammen. Doch selbst jetzt drehte sich keiner nach mir um.

Ich runzelte die Stirn und huschte durch die Tür.

---

Ziellos wanderte ich durch das Unterrichtsgebäude. Weit und breit schien alles gleich auszusehen. Weiße Wände, grauer Boden, noch grauere Türen...

Ich fragte mich, ob der Rest des Unterrichts genauso trostlos war wie das, was ich eben erlebt hatte. Wenn ja, dann hatte ich diese ganze Superkraft-Sache eindeutig falsch eingeschätzt.

Gerade, als ich aufgeben wollte und wieder zurück zu unserem Zimmer gehen wollte, hörte ich eine Stimme hinter mir.

"Oh, Sue. Gut, dass ich dir begegne."
Professor Kingsley trat aus einer der Türen.
"Ich hatte ganz vergessen, dir zu sagen, dass du erstmal nicht am regulären Unterricht teilnehmen wirst."

"Okay..." Puh. Ich musste also nicht mehr sinnlos auf dem Boden sitzen und eine Wand anstarren.

Er kam auf mich zu und ließ seine Hände in den Hosentasche verschwinden. "Das muss dir gerade wirklich komisch vorgekommen sein, oder? Die unangeleiteten Meditationen sind eigentlich nur für unsere fortgeschrittenen Schüler..."

Ich konnte nicht anders, als mir diesen Satz in einem anderen Kontext vorzustellen. Er hätte doch eins zu eins von einer Wahrsager-Konferenz in einem Wellnesshotel stammen können.

"... aber das heißt nicht, dass du nicht auch meditieren solltest. Oder es zumindest versuchen solltest."

Och menno.

Der Professor setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm reflexartig. Irgendwie lief ich hier sowieso nur jedem hinterher.

"Komm mit, ich habe gerade eine Freistunde." verkündete er und führte mich in eines der vielen Klassenzimmer. "Am Anfang werde ich dir erst einmal persönlich die Grundlagen vermitteln und dann sehen wir, inwiefern wir dich in Lerngruppen eingliedern können."

"Einzelunterricht?" Das war immerhin besser, als mit Kindergarten-Kindern zu trainieren.

"Einzelunterricht." bestätigte der Professor.

liquidOù les histoires vivent. Découvrez maintenant