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Min Yoongi
Sonntag, 00:30


Ich wusste nicht, wie lange der Fussmarsch von Namjoons Haus zu meinem war, aber dauerte es noch lange, würde ich durchdrehen. Das Schweigen, das zwischen Jimin und mir herrschte, war kaum zu ertragen. Ich redete nicht viel, ja, aber das hiess noch lange nicht, dass ich die Stille des Schweigens auch immer guthiess. Manchmal waren meine eigenen Gedanken so laut, dass ich froh war, wenn jemand anderes sie übertönte. In diesem Moment würde ich alles geben, würde Jimin etwas sagen, einfach nur, damit das Rauschen der Blätter im Wind nicht das einzige Geräusch war, das in der dunklen Sommernacht zu vernehmen war.

Der Jüngere schien mein innerliches Flehen erhört zu haben, denn er setzte mit rauer Stimme zu sprechen an. «Es tut mir leid, habe ich dich auf diese Party geschleppt.»
Erstaunt blieb ich stehen. Ich wusste, jetzt war es an mir, etwas zu sagen, aber was? Dass es schrecklich war? Ja, war es, aber als ich in die dunklen, besorgten Augen meines Gegenübers blickte, wusste ich, dass ich etwas anderes sagen musste. «Muss es dir nicht, ich bin schliesslich in einem Alter, in dem ich Nein sagen kann.» Pha, was sagst du da? Rügte mich mein inneres-Ich.

Auch Jimin war stehen geblieben und wieder raufte er sich die Haare. Mir war schon lange aufgefallen, dass er dies immer tat, wenn er aufgebracht war. Ich bemühte mich, mir das Grinsen zu verkneifen. «Das weiss ich, aber trotzdem hätte ich dich nicht allein lassen sollen.»

«Ach komm schon, ich bin schon immer allein klargekommen», versuchte ich den Jüngeren zu beruhigen. Doch wenn ich ehrlich war, hatte ich mich schon lange nicht mehr so einsam gefühlt wie von dem Moment an, als Jimin vom Sofa aufgestanden war und wütend das Wohnzimmer verlassen hatte. Noch nicht einmal, wenn ich in der Mensa an einem leeren Tisch mein Mittagessen ass oder den Nachhauseweg in einsamer Stille antrat, wünschte ich mir so sehr einen Freund an meiner Seite wie am heutigen Abend.

«Trotzdem» schmollte mein Gegenüber.
Leise begann ich zu Kichern. «Hilft es dir, wenn wir so tun, als wäre dieser Abend meine Schuld?»
Verwirrt neigte der Orangehaarige den Kopf.
«Na ja, schliesslich bin ich heute Morgen vor deiner Haustüre aufgetaucht.»
Jimin lachte prustend. «Ich hätte dich auch nach Hause schicken können.»
«Hast du aber nicht.»
«Dann bin ich aber wieder schuld.»
Dieser Junge war hartnäckig. «Einigen wir uns darauf, dass niemand die Schuld daran trägt.»
Jimin grinste und nickte schliesslich. Sofort trat wieder Schweigen ein und wir führten unseren Weg fort. Nach weiteren fünf Minuten der Stille war es wieder Jimin, der sie durchbrach.
«Wieso eigentlich?»

«Was wieso?», tat ich auf ahnungslos, doch mir war klar, was der Jüngere wissen wollte.
«Wieso bist du heute bei mir aufgetaucht? Warum wolltest du nicht zu Hause sein?» Ich erkannte, dass Jimin sich sorgte, ich könnte wieder einen Rückzieher machen. Aber sollte ich es ihm wirklich erzählen? Wir standen uns nicht nahe, wir kannten uns nicht. Und trotzdem war ich ihm eine Erklärung schuldig, das wusste ich. Doch war Jimin der Richtige, um mir die momentanen Sorgen von der Seele zu reden?

Ich seufzte und vergrub meine Hände in der Vordertasche des Hoodies, welchen Namjoon mir ausgeliehen hatte, als ich fröstelnd in der Küche sass. «Ich wollte meinen Vater nicht belügen.»
«Das weiss ich», erinnerte mich Jimin. Genau das hatte ich ihm auch schon am Morgen erzählt. «Warum konntest du nicht zu Hause sein? Ist etwas passiert? Du kannst es mir erzählen, ich kann Geheimnisse für mich behalten, auch wenn ich manchmal vielleicht nicht danach wirke.»

Ich kicherte leise. Tatsächlich war ich schon immer davon überzeugt gewesen, dass Jimin die grösste Tratschtasche der Schule war, doch als ich gesehen hatte, wie die anderen ihn vergötterten, wurde mir klar, dass er einer dieser Freunde war, die man brauchte. Doch konnten wir das auch sein? Freunde? Würde ich jetzt weiterreden, würden wir immer mehr in diese Richtung schlittern und ich wusste nicht, ob ich das noch konnte. Befreundet sein mit jemandem. Ich hatte schon lange keine Freunde mehr.

Ich seufzte erneut und fasste Mut. «Die neue Freundin meines Vaters wollte zu Besuch kommen.»
«Und du kannst sie nicht leiden?», versucht Jimin etwas mehr zu erfahren.
«Das weiss ich nicht» beschämt zuckte ich mit den Schultern. Mein Verhalten war mir auf einmal peinlich. Ich war doch keine zwölf mehr.
Jimin schien verwirrt. «Warum?»
«Ich war schon weg, bevor ich sie überhaupt treffen konnte.»

Jetzt blieb der Jüngere wieder stehen. «Warum hast du Angst davor, sie kennenzulernen?»
«Ich habe nicht gesagt, dass ich Angst davor habe», schmollte ich.
«Die Tatsache, dass du den ganzen Tag nicht zu Hause sein wolltest, die Anrufe deines Vaters ignoriertest und jetzt hier vor mir stehst und beinahe zitterst wie Espenlaub, mach die Sache ziemlich klar, finde ich.»
Ich vergrub mich tiefer in dem Pulli und senkte den Blick.

«Wieso also Yoongi?», Jimin drückte vorsichtig meine Schulter, liess die Hand aber sofort sinken, als ich den Blick hob.
Ich beschloss, dass es keinen Wert hatte, um den heissen Brei herum zu reden und stattdessen die Katze aus dem Sack zu lassen. Jimin würde es früher oder später so oder so aus mir herausgequetscht kriegen, da war ich mir sicher. «Ich habe Angst, dass sie mich nicht mag, weil ich auf Jungs stehe.»

Gespannt beobachtete ich Jimins Gesichtsausdruck, doch dieser verriet nichts. Keine Reaktion darauf, dass ich schwul war. Allmählich wurde ich ruhiger, meine Schultern entspannten sich, und die Fäuste in der Hoodie Tasche lockerten sich. «Mein Vater weiss es und er unterstützt mich bei allem, egal an wen sich meine Gefühle richten. Aber seine letzte Freundin war da anderer Meinung. Sie fand mich abstossend, nannte mich hinter seinem Rücken eine Schwuchtel und hielt mich vor ihrem Sohn fern aus sorge ich könnte ihm die gleichen Flausen in den Kopf setzen

«Shit Yoongi, das tut mir so leid», war das Erste, was Jimin sagte.
«Muss es dir nicht», meinte ich nur schulterzuckend und begann wieder loszulaufen.
«Hast du es deinem Vater erzählt, das mit seiner alten Freundin?»
«Nein, er war glücklich mit ihr. Ich wollte mich da nicht dazwischen drängen.»
Jimin riss entsetzt die Augen auf. «Yoongi, du musst dich wehren, verdammt. Steh für dich selbst ein!»

Überrascht von seiner Reaktion zuckte ich zusammen. «Das ist einfacher gesagt als getan.» Traurig erinnerte ich mich an eine Zeit zurück, als ich mich noch nicht herumschubsen liess.
«Yoongi, versprich mir eines. Rede mit deinem Vater. Ich bin mir sicher, er wird es verstehen.»
«Ist ja schon gut, das werde ich, aber können wir jetzt bitte das Thema wechseln», murmelte ich.
Jimin sah mich lange an, seufzte schliesslich und nickte. «Es ist so oder so Zeit für dich reinzugehen.» Er deutete mit seinem Kopf auf das Haus neben uns.

Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir an meinem Haus angekommen waren. Drinnen war es dunkel und kein Auto stand in der Auffahrt, also ging ich davon aus, dass mein Vater nicht daheim war.
«Also gut, dann», Jimin schien zu überlegen, «wir sehen uns.» Der Orangehaarige hob etwas unbeholfen die Hand. Scheinbar wusste auch er nicht, was zu tun war. Einschlagen? Ein Händedruck? Gar nichts? Waren wir Freunde oder einfach nur Nachhilfelehrer und dessen Schüler?
«Bis Montag», murmelte ich also hastig und stapfte in den Garten. Erst als ich im Haus angelangt war, holte ich erst einmal wieder tief Luft.

Wieso verdammt erzählte ich Jimin all diese Dinge. Ich sollte es doch besser wissen und nicht jedem Dahergelaufenen meine Gedanken mitteilen. Ich warf einen vorsichtigen Blick hinter die Gardinen und sah gerade noch, wie Jimin lässig hinter der nächsten Hausecke verschwand.

Der Junge, von dem ich glaubte, er sei so dumm wie ein Toastbrot, hatte doch tatsächlich einiges mehr zu bieten, als ich erst dachte.

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