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Park Jimin
Montag 12:00

«Denkt ihr, er wird kommen?», abermals wanderte mein Blick zur Eingangstür der Mensa, doch noch immer hatte ich Yoongi nicht entdeckt. Wäre Hobi heute nicht krank, hätte ich ihn gebeten, nach der Stunde mit dem Älteren zusammen in die Mensa zu kommen, doch da mein bester Freund mit Migräne zu Hause im Bett lag, musste ich mich mit ein paar Nachrichten an meinen Nachhilfelehrer zufriedengeben.

Wir sitzen an unserem üblichen Platz
Freuen uns!
11:45

Hast du etwa den Weg in die Mensa vergessen?
11:55

Ich weiss, dass du nicht erst um 12:00 Schluss hast. Hobi ist immer als Erster an unserem Tisch. Also drück dich nicht davor Yoongs...
12:00

«Bestimmt», meinte Namjoon grummelnd. Er war heute nicht bester Stimmung. Seine Mutter hatte am Sonntagabend eine leere Bierdose im Swimmingpool entdeckt, die uns beim Aufräumen leider durch die Lappen ging und der Braunhaarige konnte froh sein, durfte er überhaupt noch für die Schule aus dem Haus.

Ich gab mich geschlagen. Vielleicht hatte er etwas in seinem Klassenzimmer liegen lassen und musste noch einmal umkehren. Oder vielleicht wurde er aufgehalten. Von seinem Vater oder von Männern in schwarzen Anzügen mit dunklen Sonnenbrillen und wurde dann von ihnen in ein teures Auto gesteckt und entführt ...
Ich schüttelte den Kopf über meine dämlichen Gedanken. Hätte ich doch gestern nicht diesen gruseligen Film geschaut. Aber nachdem ich über eine Stunde im Internet die verschiedensten Persönlichkeitstypen nachgeschlagen hatte, einen Selbsttest durchgeführt hatte und schliesslich herausgefunden hatte, dass Brittney Spears Aura das Gegenstück zu der meinen war, war mir irgendwann nach einem Film.
Ein Actionfilm gepaart mit Mafia und Kidnapping stand ganz oben auf meiner Liste, was ich heute bereute, denn meine Fantasie schien sich mit mir einen Spass zu erlauben.

«Du könntest ihn doch suchen gehen, Chim», meinte Jin nur schulterzuckend, schaute dabei aber nicht mich an, sondern seinen Freund, welcher niedergeschlagen in seinen Nudeln herumstocherte.
«Wenn er in zehn Minuten ...», ich wurde durch eine Bewegung im Augenwinkel abgelenkt und sofort begann ich zu grinsen. «Oder besser jetzt schon», verkündete ich lautstark. Meine Aufmerksamkeit war nämlich auf ein gewisses blondes Mädchen in kurzem Rock und langen Beinen gefallen. Auf dem Weg zu Yoongis Klassenzimmer würde ein kleiner Zwischenstopp bei Rosé bestimm nicht schaden. Tae schien erkannt zu haben, worauf ich hinauswollte, und zwinkerte mir mit einem dämlichen Lächeln zu, woraufhin ich ihm an die Stirn schnipste und bemüht cool zu dem Mädchen schlenderte.

«Hey Rosé»
«Oh, hi Jimin», die Schönheit warf sich mir sofort in die Arme und drückte mich einen Moment länger als normal war. Mein Grinsen musste von einem Ohr zum anderen reichen. «Ich habe letzte Nacht von dir geträumt.»
Etwas creepy, doch darüber sah ich hinweg. Ich meine Hallo! Rosé hatte von mir geträumt!
Ich zwinkerte ihr zu. «Ach ja, hast du?»

Ihre Wangen nahmen einen leichten Rotton an und schüchtern bedeckte sie ihren Mund, während sie kicherte. «Ja», flüsterte sie und fuhr mir mit den langen Fingern über die Schulter, den Arm hinunter, wo sie dann knapp über meinem Ellenbogen innehielt. Ihr Duft hüllte mich ein und ihr Rock war so kurz ... Ich war froh, standen wir etwas abseits von der ganzen Menschenmenge und niemand beobachtete uns - ausser vielleicht meine Freunde, doch denen flogen bestimmt schon Fliegen in die offenen Münder, – denn ich spürte unmerklich, wie meine Hose etwas enger wurde. Das war der Moment, in dem ich verschwinden musste.

«Also, wir sehen uns», meine Stimme klang verräterisch beklommen, doch Rosé schien es nicht bemerkt zu haben – oder liess es sich nicht anmerken, was ich der Blonden hoch anrechnen würde.
Das Mädchen stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte mir sanft einen Kuss auf die Wange, während ihre Hand auf meiner Hüfte zu liegen kam. Jetzt war es um mich geschehen. Shit! Wenn ich nicht schleunigst hier rauskäme, würde es peinlich werden.
Ein letztes Mal zwinkerte ich ihr zu und eilte schliesslich aus der Mensa.

Angestrengt dachte ich an all die Dinge, die mich abturnten – alte Männer in knappen Badehöschen, die Zehennägel meiner Oma - und langsam merkte ich, wie ich wieder Platz hatte in der Hose.
An der Flurwand lehnend versuchte ich mich zu sammeln. Ich war in der Schule. Mein Vorhaben war es ursprünglich, Yoongi zu finden und wenn es sein musste, den Jungen an den Ohren in die Mensa zu zerren.

Immer noch schweratmend eilte ich an meinem eigenen Klassenzimmer vorbei, die Treppe hoch in den zweiten Stock und hielt schliesslich vor einer offenstehenden Türe halt. Das Zimmer dahinter war leer. Kein schwarzhaariger Junge sass allein an einem der Tische und verdrückte sein Mittagessen. Das war nämlich das, was mir auf dem Weg hierher durch den Kopf ging: Yoongi versteckte sich, ass allein zu Mittag, nur um nicht mit mir und meinen Freunden zu essen. Die Tatsache, dass er nicht hier war, machte den Gedanken, er könnte sich vor mir verstecken, zwar nicht unmöglich, in meinem Kopf rückten nun aber die schwarzen Anzüge immer mehr in den Vordergrund.

Ich trottete den Flur zurück und am anderen Ende Treppe wieder hinab. Mein Blick glitt immer wieder aus dem Fenster, da die Sommersonne das Schulhaus in einen goldenen Ton tauchte und man sich beinahe vorstellen konnte, nicht in dieser Lehranstalt festzusitzen. Da erblickte ich auf dem Pausenhof einen Jungen in dunklem Pullover. Und da mir nur eine Person bekannt war, die bei diesen sommerlichen Temperaturen mit langen Kleidern herumlief – und als wäre dies nicht schon schlimm genug auch noch komplett in Schwarz - wusste ich sofort, wer da alleine auf einer Bank sass und auf seinem Handy herumtippte.

Zu meiner Überraschung spürte ich Ärger in mir hochkriechen. Er hatte sein Handy direkt vor der Nase, war sich aber zu gut, meine Nachrichten zu beantworten und mir Bescheid zu geben, dass er nicht mit uns essen wollte.
Augenblicklich joggte ich die Treppe hinunter und auf direktem Weg aus dem Schulgebäude hinaus, nicht, dass mir der Miesepeter erneut entwischen konnte.
Vor der Bank blieb ich stehen und wartete, bis mich der Schwarzhaarige entdeckte.

«Ji-» setzte er an, doch ich liess ihn nicht ausreden.
«Ich habe es mir anders überlegt, das Lernen heut Nachmittag kannst du vergessen und dein Mittagessen darfst du gerne wie immer allein geniessen. Das bist du doch gewohnt Yoongi.»
Ich wusste, dass meine Worte hart waren, doch ich war wütend.

Der Schwarzhaarige hatte seinen Blick auf den Boden gerichtet. «Lass es mich dir erklären, Jimin.» Jetzt hob er den Kopf, sah mich direkt an, und augenblicklich rutschte das Herz in die Hosen.
Seine dunklen Augen schienen mir so viele Dinge sagen zu wollen, doch ich verstand die stummen Worte meines Gegenübers nicht, wusste nicht, woher seine Tränen kamen. Als wäre ich nicht imstande, seine Gedanken zu verstehen, nicht fähig, seine Gefühle ohne die dazu gehörigen Worte zu deuten. Die Erkenntnis, dass Yoongi so viel zu verbergen hatte und ich nicht derjenige war, der ihm die Tränen zu trocknen vermochte, bescherte mir ein verräterisches Stechen in der Brust.
«Bitte.»

—-
Es ist mir ziemlich peinliech, nach einer so langen Zeit hier wieder mit einem Kapitel zu erscheinen...
Doch seit dem letzten Jahr hat sich einiges getan, sodass leider auch eine meiner Lieblingsbeschäftigung in den Hintergrund rücken musste ...

look here - YoonminWhere stories live. Discover now