Kapitel 10 | Teil 2 | ... ist Familiensache

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Meine Hoffnungen bleiben nur das. Hoffnungen. Wir halten vor dem kleinen Haus in Easttown. Zunächst habe ich mich gewundert, ob sie nicht weiss, wo sie mich absetzen muss, aber da sie nicht danach gefragt hat, schloss ich daraus, dass sie hierherkommen wollte. Ich schaue auf die Uhr. Halb neun. Im Haus brennt Licht. Katherine ist also schon zurückgekommen.

„Was wollen wir hier?", frage ich Róis und blicke mich missmutig um. Zumindest hatte ich nicht vor, hier einen Halt zu machen.

„Ich dachte, du würdest dich darüber freuen, wenn ich dich zum Essen einlade", meint sie und lächelt mich sachte an. Ich nicke. „Danke", murmle ich und steige mit ihr aus. Mein Magen knurrt auch schon. Seit dem Mittag habe ich nichts gegessen und das ist auch schon einige Stunden her. Gemeinsam gehen wir zur Tür, während der Schnee unter unseren Füssen knirscht. Es hat mittlerweile aufgehört zu schneien. Katherines Mutter macht die Türe auf, was mich wundert, denn gerade in Zeiten wie diesen sollte man sie doch immer abschliessen. Verunsichert folge ich ihr ins Haus, welches ich etliche Male betreten habe.

Ein dezenter Duft liegt im Flur des Hauses. Vanille oder so. Etwas Süssliches auf jeden Fall.

„Mom?", ruft eine weibliche Stimme aus dem Wohnzimmer. Katherine.

Langsam ziehe ich meinen Mantel aus und hänge ihn an den Haken, bevor ich meine Stiefel abstreife und Róis in offene Wohnzimmer folge. Katherine und ihr älterer Bruder sitzen am Esstisch und löffeln gerade den Inhalt eines riesigen Eimers mit Schokoeis.

„Das wollten wir doch am Sonntag essen", stöhnt die Mutter der beiden, bevor sie ihre Handtasche auf dem Tisch abstellt. Da fallen die Blicke der beiden auf mich.

„Richard?"

Katherine springt auf und läuft zu mir, bevor sie mich wieder einmal schier mit einer Umarmung erdrückt.

„Was machst du hier?", fragt sie und lässt mich los, bevor sie zu ihrer Mutter schaut. Ich schaue auch zu ihr, denn ich habe keine Ausrede.

„Hat sich verlaufen, ich bin ihm über den Weg gelaufen und hab ihn zum Essen eingeladen", erwidert sie ohne mit der Wimper zu zucken.

„Na da hoffe ich aber, dass du ihn nicht über den Weg gefahren bist", brummt der junge Mann, welcher immer noch Schokoeis in sich stopft. Ich schmunzle.

„Also du kannst gerne noch vom Eis nehmen, wenn du willst", fügt meine Freundin an und stellt sich vor ihren Bruder, bevor sie sich zu mir lehnt und mir etwas ins Ohr flüstert. „Hör nicht auf den Deppen dort."

Sie grinst mich verschmilzt an, bevor sie mich gegen die Schulter boxt. „Schön, dich wieder zu sehen. Wirklich."

Ich nicke. „Gleichfalls."

„Also", meldet sich Róis zu Wort. „Was wollen wir essen?"

„Nudeln", erwidert Kats Bruder schroff, bevor er aufsteht und mir einen giftigen Blick zuwirft. Was hat dieser Typ gegen mich? Er kennt mich doch, ich kenne ihn. Und dass seine Schwester und ich nur Freunde sind, das weiss er auch. Der junge Mann verdreht die Augen und geht zu seiner Mutter in die Küche. Wir beide bleiben allein zurück.

„Habt ihr im Sunshine nichts gegessen?", frage ich. Das Mädchen schüttelt mit dem Kopf.

„Nur einige Drinks gehabt."

Ich nicke. Katherine geht zur Couch und lässt sich fallen. „Boa ne, heute war wirklich anstrengend."

Zögernd folge ich ihr, lasse mich mit zwei Armlängen Abstand neben ihr nieder. „Wieso?"

Sie schmunzelt und setzt sich aufrechter hin. „Wir haben den ganzen Tag nur geprobt. Morgen muss alles perfekt sitzen. Und... es würde mich wirklich freuen, wenn du zum Zuschauen kommen könntest."

Am Abgrund der Zeit | Band IWhere stories live. Discover now