Kapitel 18 | Ein Papagei, Wolf, Rabe und Otter

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Als ich das Zimmer erreiche, steht ein Mann, der Ausbilder, bereits im Zimmer. Und tatsächlich sieht er gar nicht nach einem Nael Thani aus. Schwarzes Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, ein riesiger Stapel Akten auf dem Tisch. Ohne ein Wort lasse ich mich auf meinen Platz am Fenster nieder und versuche, ihn nicht anzuschauen. Ob Veronica noch kommt? Um ehrlich zu sein, bezweifle ich es.

Punkt und sie ist immer noch nicht aufgebaut. Der Mann räuspert sich und fängt direkt an.

„Guten Morgen", begrüsst er uns mit seiner warmen, aber irgendwie harten Stimme. „Mein Name ist Nael Thani und ich bilde seit fünf Jahren Agenten für die Agency for Intelligence Investigation aus. Das Sammeln von Information und die frühzeitige Erkennung von Gefahr ist für uns die oberste Priorität. Ich werde Ihnen beibringen, wie man Informationen sammeln kann. Informationen kann man technisch erhalten – oder durch die Nutzung von menschlichen Quellen. Damit werden Sie sich als Agenten am meisten beschäftigen. Manche von Ihnen dürften bereits vertraut damit sein."

Sein Blick schweift durch die Runde, bei einigen ruht er ein wenig länger, aber ich kann nicht ermitteln, welche das sind.

„Menschen sind offene Bücher. Das ist ein Fakt, den viele bestreiten würden. In der Tat können viele keine Menschen lesen. Sie sind Bücher, die in einer Sprache verfasst sind, mit der nur wenige wirklich vertraut sind. Als Leie, und wenn die menschliche Quelle es nicht geschickt anstellt, kann man einige Wörter, manchmal Sätze verstehen. Aber um wirklich fliessend lesen zu können, brauchen die meisten langjähriges Training. Das Können kommt mit der Erfahrung; Stundenlang Theorie büffeln wird Ihnen nichts bringen. Deshalb habe ich ein praktisches Beispiel mitgebracht. Ich werde Ihnen drei kurze Dinge über mich erzählen. Etwas ist wahr, der Rest ist ausgedacht."

Er zupft am Hemdkragen, bevor er das Blatt, welches auf dem Pult liegt, nimmt und sich wieder räuspert.

„Erste Geschichte: Ich war als Jugendlicher leidenschaftlicher Skirennfahrer und habe viele Preise gewonnen. Die Disziplin, in der ich mich am wohlsten gefühlt habe, ist der Riesenslalom. Mit neunzehn Jahren hätte ich an die Nordländischen Winterspiele gehen sollen, verletzungsbedingt musste ich aber zurücktreten. Stattdessen habe ich dann in einer Skischule Kindern das Fahren beigebracht, später habe ich Leistungsdiagnostik für das estorianische Nationalteam betrieben."

Er schaut kurz auf seine Notizen und scheint für einen Moment zu überlegen, bevor er fortfährt.

„Zweite Geschichte: Vor drei Jahren musste ich mich wegen eines Unfalls zwei Wochen krankschreiben lassen und habe damit die Abschlussprüfung der Agenten des letzten Ausbildungsprogramms verpasst. Ich wollte bei meinem Sohn Jay in der Gerichtsmedizin vorbeischauen, denn er arbeitet dort. Nur bin ich auf dem Blut, welches einer seiner Kollegen verschüttet haben, ausgerutscht, auf den Hinterkopf gefallen und habe mir dabei eine mittelschwere Gehirnerschütterung geholt."

Ich merke, wie sich eine zusammenreissen müssen, damit sie nicht lauthals anfangen zu lachen. Zugegeben, die makabre Vorstellung von auf dem Blut ausrutschen ist schon bizarr.

„Dritte Geschichte: Wir haben einen Schäferhund namens Kiwi, der ein ehemaliger Drogenspürhund ist. Er zeigt meiner Frau und mir manchmal auf, wer Drogen am Körper hat, was uns immer ein komisches Gefühl gibt, wenn wir an diesen Personen vorbeigehen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele verschiedene Leute Drogen dabeihaben."

Schmunzeln und leises Lachen aus den Bankreihen. Ich hebe nur meine Augenbrauen. Schwerverbrecher sehen wohl auch nicht immer wie Schwerverbrecher aus, dann kann man doch dasselbe über Drogendealer und Konsumenten sagen. Vielleicht ist's die alte Oma Gertrud nebenan oder der Banker am Schalter. Man kann es eben nie wissen. Unwillkürlich schweift mein Blick zu Jarl, der mich doch sehr an einen durchschnittlichen Bankschalterarbeiter erinnert. Ob er in seiner Freizeit auch kokst? Angeblich tun das ja viele Akademiker... nein, eigentlich ist der Typ zu jung, um mit seinem Studium fertig zu sein.

Am Abgrund der Zeit | Band IWhere stories live. Discover now