Kapitel 29 | In der Sackgasse

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Ich ziehe den Schal etwas enger um meinen Hals, als ich das Café verlasse. Von Moran weit und breit keine Spur. Vielleicht hat er sich in einer Toilettenkabine verbarrikadiert. Komischerweise muss ich bei dieser Vorstellung schmunzeln.

Auf dem Stadtplan meines Handys suche ich das Hotel, welches wir als Treffpunkt ausgemacht haben, sollten wir uns aus den Augen verlieren. Wir haben Zimmer gebucht. Vielleicht ist er bereits dort, mit hoffentlich all meinem Gepäck.

Ich steige in die Strassenbahn ein und dränge mich zwischen die unzähligen Pendler, die um diese Zeit von der Arbeit kommen. Wenige Stationen später steige ich aus. Das Hotel sieht von aussen viel teurer aus, als ich es erwartet habe, schliesslich haben wir kein unbegrenztes Budget.

Wärme umschlingt mich, als ich hineingehe und auf die Rezeption zusteuere. Die Frau hinter dem Tresen lächelt mich an. „Was kann ich für Sie tun?"

Ich krame in meiner Jackentasche nach meinem Portemonnaie, bevor ich meinen Pass herausziehe und ihn ihr reiche. „Ich habe ein Zimmer gebucht."

Sie nickt und gibt meinen Namen in den Computer ein, bevor sie aufschaut und mir eine Karte reicht. „Bitte. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt."

Ich bedanke mich und nehme die Karte entgegen, bevor ich den Weg in die Richtung der Aufzüge einschlage. Mein Zimmer ist in der achten Etage.

Zu meinem Bedauern finde ich keine schöne Aussicht über die Stadt vor, sondern eine auf die graue Fassade eines Hochhauses hinter dem Hotel. Und meine Tasche sehe ich auch nirgendwo. Ich schliesse die Tür und lasse mich aufs Bett fallen. Mein Magen knurrt. Zum Mittag habe ich die restliche Packung Waffeln gegessen, aber seitdem nichts mehr.

Kurz werfe ich einen Blick auf die Sigma. Erst um sechs können wir essen gehen. Eigentlich habe ich keine Lust darauf, mit ihm essen zu gehen. Ich ziehe mein Portemonnaie hervor und zähle das Geld, welches ich dabeihabe. Es würde sicher reichen, um einen Jahresvorrat Ziegenkäse und Beerenkuchen zu kaufen.

Als ich auf dem Smartphone nach dem nächsten, grösseren Supermarkt suchen möchte, bekomme ich eine Nachricht.

‚Wie geht's?'

Die letzten zwei Ziffern stimmen mit den von Sergios Nummer überein. Meine Finger zittern, als ich auf die Nachricht klicke und den Chat öffne.

‚Schon in Vercem?', schreibe ich.

‚Jep. Wollen wir telefonieren?'

Hätte mich mein Verstand nicht davon abgehalten, ein Ja zu schreiben, hätte ich es schon getan. Aber zum Glück hat dieser mich daran erinnert, dass ich mich in Nasmos befinde und eine Rechnung auf Róis' Konto horrend wäre. Deshalb schicke ich ein ‚Lieber Sprachanruf über Internet. Hab nicht unbegrenzt Guthaben.'

Im nächsten Moment geht sein Anruf ein. Ich stecke mir meine Bluetooth-Kopfhörer in die Ohren und stehe auf, um zur Tür zu laufen, wo ich meinen Mantel vom Haken nehme und nach draussen gehe. Dann nehme ich den Anruf entgegen. Seine dunkle, sanfte Stimme begrüsst mich mit einem „Richard, lange nicht gehört, was?"

Ich blicke mich schnell um, damit ich mir sicher sein kann, dass auch wirklich niemand mir folgt und steige in den Aufzug ein. „Das kannst du laut sagen", meine ich und drücke den Kopf zum Erdgeschoss.

„Was machst du gerade?", fragt er.

„Einkaufen gehen." Ich lehne mich gegen eine Wand des Aufzugs und vergewissere mich, dass mein Geld in der innersten Tasche ist, die ich habe. „Und du?"

„Ach, mir Champagner bringen lassen."

„Haha, sehr witzig", brumme ich und schaue auf die Uhr. Lizburry und Amalaswin liegen in der gleichen Zeitzone, ganz Vercem ist zwei Stunden voraus. Es müsste bei ihm also kurz vor neun sein.

Am Abgrund der Zeit | Band IWhere stories live. Discover now