Vierter Zwischenteil

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Eigentlich hatte er sich nicht dazu entschlossen, an diesen Ort zu gehen. Doch irgendetwas sagte ihm, dass er es tun musste.

Sergio atmete nochmals tief durch, ehe er die Tür seines Wagens öffnete und ausstieg. Die Kältewelle erschlug ihn beinahe, aber er biss die Zähne zusammen und verriegelte den Wagen. Wieder fielen kleine Schneeflocken vom Himmel. Irgendwo in der Ferne heulte eine Sirene. Eine Gruppe junge Erwachsene lief am Gehstein an ihm vorbei, sie lachten und mussten Spass haben.

Er seufzte und liess seinen Blick die gläserne Fassade des Hochhauses entlang nach oben schweifen. Dieses Gebäude hatte er nun ein Jahr lang nicht mehr betreten. Es war eines der höchsten in der Stadt, und schimmerte, je nach Wetter, in Blau- oder Grautönen. Im Erdgeschoss befand sich ein Restaurant, weiter oben gab es noch eines. Für ihn war das Haus der Inbegriff von Luxus. Etwas, was er schon immer abgelehnt hatte.

Seine Absätze klapperten auf dem glatten Marmorboden, als er an der Rezeption vorbeilief, wo niemand mehr sass. Dies verwunderte ihn nicht weiter, da es schon spät war. Allerdings noch früh genug, damit er seinen Bruder abpassen konnte.

Mit dem Lift fuhr der junge Mann in den obersten Stock. Dort hatte Jasper sein Büro, von wo aus er einen Ausblick auf die Skyline von Lizburry hatte. Es machte pling!, er ging hinaus. Der klinische Geruch von Putzmitteln fand den Weg in seine Nase, ein Putzwagen stand im Gang, doch von einer Putzkraft war keine Spur zu sehen. Vor der Bürotür seines Bruders blieb er stehen. Kurz überlegte er, ob er einfach reingehen sollte, entschied sich jedoch dazu, zuerst anzuklopfen.

„Herein!", rief eine Stimme von innen, woraufhin Sergio die Tür aufstiess. Der Zigarrengeruch schlug ihm sofort entgegen und er hätte ihn liebend gerne gegen Putzmittel getauscht, doch das war nicht seine grösste Sorge. Jasper sass hinter seinem massiven Tisch aus Mahagoni, rauchte eine Zigarre und hatte seine Beine hochgelegt.

„Na sieh mal an... Bruderherz ist doch aufgetaucht", höhnte der junge Mann. Seine dunklen Haare hatte er nach hinten gekämmt, was ihm nur einen noch arroganteren Look verpasste. „Also ich habe wirklich gedacht, du ziehst den Schwanz ein."

Er grinste und nahm die Beine vom Tisch, bevor er seine Zigarre im Aschenbecher ausdrückte und aufstand. Sergio wäre fast einen Schritt zurückgewichen, konnte sich im letzten Moment jedoch noch abhalten. Er wollte keine Schwäche vor seinem verhassten Bruder zeigen.

„Willst du was zu trinken?", fragte dieser, ehe er auf das Regal zu seiner Rechten deutete. „Ich habe eine Flasche Vercemischen Whiskey geschenkt bekommen. Der könnte dir wirklich schmecken."

„Nein danke", erwiderte der junge Mann mit strenger Stimme. „Wir sollten die Sache im nüchternen Zustand besprechen."

Jasper hob die Augenbrauen, lächelte dann jedoch und wies auf den Stuhl vor sich. „Setz dich doch."

Es war Sergio nicht wohl dabei, sich mit dem Rücken zur Tür hinzusetzen. Aber den optimalsten Platz hatte der andere besetzt, weshalb er sich mit einem Zähneknirschen auf den unbequemen Plastikstuhl fallen liess. Er stellte seine Aktentasche auf seinen Schoss, öffnete diese und zog eine Mappe mit Dokumenten hervor.

„Das sind die Papiere von der Firma", erklärte er und stellte seine Tasche wieder hin. Sein Bruder nickte scheinbar interessiert, auch wenn er wusste, dass er nur so tat. Nein, Jasper war nicht daran interessiert, was mit seiner Firma geschah. Dieser lehnte sich nach hinten und rieb mit den Fingern über sein Kinn.

„Und... was willst du damit?", fragte er.

„Vater besass Anteile an der Firma. Mit seinem Tod sind diese an dich gegangen. Ich möchte sie dir abkaufen."

Am Abgrund der Zeit | Band IWhere stories live. Discover now