Kapitel 23 | Kindliche Albernheit

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„Du willst nur nicht wahrhaben, weil du ein Junge bist und es dir nicht eingestehen kannst. Es ist keine Schwäche, glaub mir, ich–"

„Es ist nicht deswegen! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er zu sowas fähig sein könnte!", erwidere ich fauchend und verschränke meine Arme, während ich aus dem Fenster schaue. „Ist doch egal jetzt. Es ist passiert. Ich kann nichts mehr ändern."

„Was ich nicht ganz verstehe", setzt der Ausbildungsleiter ein weiteres Mal an, „ist, warum er dich fesseln sollte, wenn du sowieso bewusstlos warst."

„Ich möche nicht darüber reden!"

Also wirklich! Dieser Kerl traut sich etwas! Jedes Mal, wenn er seinen Mund aufmacht, kommt nichts als Scheisse heraus. Ich möchte mir am liebsten die Ohren mit Panzertape zukleben und mich in eine Wattekiste legen, damit ich endlich meine Ruhe vor ihm habe.

Zum Glück sehe ich bereits das Schild, welches zum Westwood-Friedhof hinführt. So muss ich sein Gerede nicht noch weitere fünfzehn Minuten ertragen. Er parkt auf dem Parkplatz. Wir steigen aus.

„Ich werde nicht mitkommen. Aber ich werde dich im Blick haben", meint er mit kühler Stimme, als wir beide zum Tor des Friedhofs gehen. Ich nicke und passiere. Wo soll ich „die Veranstaltung" überhaupt finden?

Fürs erste gehe ich den Hauptweg entlang. Die Sonne geht gerade auf und spendet etwas Licht. Die Schatten, welche die Grabsteine werfen, werden kürzer. Es beruhigt mich ein bisschen. Schon seit Jahren habe ich keinen Friedhof mehr besucht, für Scott gab es nicht einmal eine Gedenkstätte auf einem. Deshalb unternahm ich Spaziergänge durch die Parks wegen der Still, nicht, weil ich jemanden besuchen wollte.

Das Vogelkonzert ist gerade im vollen Gange, aber ich weiss nicht, welcher Gesang zu welcher Art gehört, da ich mich noch nie dafür interessiert habe. Beovr ich jedoch weitere Gedanken damit verschwende, sehe ich jemanden auf einer Bank sitzen. Um diese Uhrzeit?

Die junge Frau mit den zotteligen schwarzen Haaren schaut auf, als ich mich ihr nähere. Sie scheint etwas zu rauchen, dem Geruch nach einen Joint.

„Was machste hier, Knirps?", fragt sie. Ihre Stimme ist rau, und obwohl sie so jung scheint, erinnert es mich an einen Ketterraucher.

„Todesfall", erwidere ich und will eigentlich weiterlaufen, weil ich mich am Gestank störe, da fügt sie etwas hinzu.

„Ne gewisse Veronica?"

Ich nicke vorsichtig.

„Dann kannste gleich stehenbleiben, sie wird hier beigesetzt."

Ich seufze. Also werde ich den Geruch für eine weitere halbe Stunde ertragen müssen. Die Frau steht auf und hält mir ihre Hand hin.

„Alayah", meint sie und nickt. Ich nehme ihre Hand, schüttle sie.

„Richard", erwidere ich. Sie hebt eine Augenbraue und mustert mich skeptisch.

„Du erscheinst mir nicht wie jemand, der sich mit Nic abgibt."

Ich zucke mit den Schultern. „Wir kennen uns von der Arbeit."

Sie nickt. „Soso, Arbeit also. Hat mich schon gewundert. Nic und Arbeit? Dass sie sich für so n lahmen Bürojob beworben hat, konnte ich nicht glauben. War wohl so lahm, dass es sie in den Selbstmord getrieben hat. Ja, eine Schande..."

Alayah hält mir den halbfertig gerauchten Joint hin. „Willste?"

Ich schüttle den Kopf und schaue mich um. Diesen verdammten Moran kann ich nicht sehen, aber das heisst nicht, dass er nicht in der Nähe ist.

Am Abgrund der Zeit | Band IWhere stories live. Discover now