10. Kapitel - Henry

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Cory warf mir den Basketball zu, den ich gerade noch so abfangen konnte. „Junge", sagte ich genervt und er lachte, als er den Ball problemlos abfing. „Sorry Kumpel, aber ich konnte nichts anders", grinste er und ließ sich neben mir auf die Bank fallen.

Es war Mittagspause und wir hatten uns nach dem Mittagessen sofort nach draußen verzogen. Während Cory versuchte Körbe zu werfen, saß Jason neben der Bank und war, wie so oft, in einem Buch vertieft. Kaden lag im Gras und hatte die Augen geschlossen, aber ich wusste, dass er noch alles ganz genau mitbekam. Die drei waren meine besten Freunde, seit der Grundschule, denen ich (fast) alles anvertrauen konnte. Bis auf die Hüter-Sache natürlich.

Jason war schon immer der stille Typ gewesen, der seine Nase lieber in ein Buch steckte und sich auch sehr für Geschichte und Mathematik interessierte. Es war also auch kein Wunder, dass er genau diese Fächer studieren wollte, um Lehrer zu werden. Und obwohl wir augenscheinlich nichts gemeinsam hatten, hatten wir uns sofort gut verstanden, als wir uns kennengelernt hatten. Mit Kaden war es anders.

Er war zwar auch ehr in sich gekehrt, aber er hatte auch kein Problem damit, jemanden ernsthaft seine Meinung zu sagen. Er war sportlich und Mitglied im Basketballteam der Schule und unser Sportlehrer sagte oft, dass er das Zeug zum Profi hatte. Allerdings hatte Kaden wenig Interesse daran in die Profiliga aufzusteigen. Er wollte Ingenieur werden, so wie sein Vater, nur mit dem Unterschied, dass er Avaglade verlassen würde. 

Und Cory... Na ja er war Cory. Witzig, ehrgeizig, sorglos und so ziemlich genau das, was in dämlichen Highschool-Filmen als Badboy betitelt wurde. Ich hatte irgendwann aufgehört, seine ganzen Freundinnen zu zählen und fragte auch gar nicht mehr, ob er gerade mit einem Mädchen was hatte. Wobei das ob keine Rolle spielte. Ehr das wie viele er gerade hatte. Und trotzdem war er mein bester Freund und ich würde ihn um nichts in der Welt missen wollen. Ich konnte ihm (fast) alles anvertrauen und ich hatte mich schon oft genug bei ihm über meinen Vater ausgekotzt.

„Du siehst echt beschissen aus. Mach es wie Kaden und penn' eine Runde", sagte Cory und klopfte mir auf die Schulter, was mich aus meinen Gedanken riss. Kaden blinzelte und warf unserem Kumpel einen genervten Blick zu.

„Ich schlafe nicht", sagte er und setzte sich auf. Cory verdrehte die Augen. „Wie auch immer", murmelte er und sah mich an. „Warum heute so müde?" „Schlecht geschlafen", antwortete ich vage und gähnte. „Die wohl häufigste Ursache für Schlafstörungen beim Menschen ist Stress oder beruflicher Ärger. Da das Schuljahr gerade erst angefangen hat, frage ich mich ehrlich, was dir den Schlaf raubt", sagte Jason, ohne von seinem Buch aufzusehen. Ich seufzte.

„Gab Zuhause ein paar Probleme", sagte ich und Cody nickte mitfühlend. „Wieder Stress mit deinem Dad? Man, was hast du denn jetzt in seinen Augen wieder falsch gemacht?" Ich zuckte mit den Schultern und stöhnte genervt, als ich die Petze auf uns zukommen sah. Gefolgt von ihren zwei Freundinnen, deren Namen ich immer wieder vergaß, weil ich mich auch nicht wirklich für sie interessierte.

„Cathie, was willst du?", fragte ich sah meiner Schwester genervt entgegen. „Darf ich die Pause nicht mit meinem Lieblingsbruder verbringen?" Sie setzte sich zwischen mich und Cory, während ihre beiden Freundinnen stehen blieben. Cory grinste und ich sah meine Schwester stirnrunzelnd an.

„Was hast du ausgefressen?", fragte ich. Wenn sie so freundlich zu mir war, musste sie irgendwas gemacht haben. Sie war nie grundlos nett zu mir, oder nannte mich ihren Lieblingsbruder. Davon einmal abgesehen, dass ich ihr einziger Bruder war.

„Gar nichts", sagte Cathie lachend. „Das ist dein letztes Schuljahr und ich will Zeit mit dir verbringen!" Sie schielte kurz zu Cory und jetzt verstand ich, wo das Kind begraben lag. Meine Schwester hatte sich in Cory verguckt.

Vergiss es...

„Schlechte Ausrede Cathie-Maus", sagte ich und ihr empörter Gesichtsausdruck bestätigte meine Vermutung. „Los, verzieht euch und geht mit eurem Jahrgang spielen!" „Aber..." „Verpiss dich!" Beleidigt stand meine kleine Schwester auf und verzog sich. Ihren Anhang nahm sie natürlich mit.

„Man, du solltest echt netter zu deiner Sis sein", sagte Cory und schnappte sich wieder den Basketball. „Bis jetzt hat mir Nettigkeit bei ihr noch nie etwas gebracht. Und ich kann ehrlich darauf verzichten, auch noch während der Schule Zeit mit ihr zu verbringen", sagte ich und sah zu, wie mein bester Freund einen Drei-Punkte-Wurf versemmelte. 

Ich würde ihm auf keinen Fall unter die Nase reiben, dass sie sich in ihn verguckt hatte. Ich kannte Cory und auch wenn ich wusste, dass er nie im Leben etwas mit meiner Schwester anfangen würde, musste er es ja nicht unbedingt wissen. Zumal er seinen Mund nie halten konnte und wenn er wusste, dass Cathie in ihn verschossen war, würde es in ein paar Tagen jeder wissen. Und Cathie würde dann sehr sauer auf mich sein. 

„Reibungen unter Geschwistern ist völlig normal. Vor allem, wenn nur ein geringer Altersunterschied besteht. Das erstgeborene Kind bekommt dann oft den Eindruck, dass die Eltern keine Zeit mehr für einen haben", sagte Jason und sah mich kurz an. „Dabei verbringen die Eltern sogar mit beiden Kindern gleichviel Zeit!" Ich schnaubte.

Unser Problem war nicht das Gefühl, dass unsere Eltern nur Zeit für Cathie hatten, oder ich eifersüchtig war. Unser Problem lag viel tiefer begraben, aber das wussten meine Freunde ja nicht. Okay, Eifersucht spielte eine Rolle. Nur mit dem Unterschied, dass Cathie eifersüchtig auf mich war, weil ich ein Hüter war und sie nicht. 

„Nicht in Henrys Fall Kumpel", sagte Kaden und sprang auf die Füße, um sich zu strecken.

„Da gibt es Henry, den Erstgeborenen und dann gibt es Cathie-Maus, die kleine Prinzessin und die Sonne der Familie!" Er zwinkerte mir zu und ich lachte, weil er ja so Recht hatte. Cathie war der liebe, wunderbare Engel während ich (zumindest in den Augen meines Vaters) der unnütze, verantwortungslose Junge war, der das Glück hatte, ein Gen in sich zu tragen, dass mich besonders machte.

Jason zuckte mit den Schultern. „Dennoch völlig normal, dass die beiden sich ständig streiten. Gibt sich im Erwachsenenalter meistens", murmelte er und vertiefte sich wieder in seinem Buch. „Bestimmt", sagte ich sarkastisch und stand auf. 

„Wirf her Cory!", fügte ich hinzu und fing an mit meinem besten Freund ein paar Körbe zu werfen.

Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Where stories live. Discover now