16. Kapitel - Henry

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Wie zu erwarten war, hatte mein Vater kein Problem damit, dass ich dem Unterricht morgen fern blieb. Tatsächlich lobte er mich sogar dafür, dass ich so verantwortungsbewusst war, und meine Pflicht als Hüter von Lavandia in den Vordergrund stellte.

Meine Mutter war allerdings anderer Ansicht und selbst durch meine geschlossene Tür hindurch hörte ich die Beiden im Wohnzimmer streiten.

„Du musst auch an seine Zukunft denken Lucius! Du kannst nicht von ihm erwarten, dass er alles hinten anstellt. Er ist noch immer ein Kind!"

Ich versuchte mich abzulenken, indem ich Musik hörte und mich an meine Hausaufgaben setzte. Ich wollte ganz gewiss nicht das Streitgespräch zwischen meiner Mutter und meinem Vater mitbekommen.

„Er ist ein Hüter! Seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse werden immer an letzter Stelle stehen. Er hat einen Eid geleistet und diesen muss er erfüllen!"

„Nach dem Unterricht! Er kann nicht immer fehlen, nur weil etwas in dieser Welt gerade nicht so ist, wie es sein soll. Du könntest dich genauso darum kümmern!"

Meine Tür ging leise auf und Cathie sah mich zögernd an. Ich nickte und tat das, was ich schon seit Jahren tat. Sofort kam Cathie zu mir und umarmte mich. Seufzend drückte ich sie an mich und wünschte mir, dass sie endlich aufhörten zu streiten.

„Er ist jung und er muss lernen was es bedeutet ein Hüter zu sein! Er ist kein normaler Junge, der brav zur Schule geht, studiert und einen einfachen Job nachgeht. Er muss lernen, dass er Abstriche machen muss!"

„Er muss aber auch sein Leben fernab hiervon leben dürfen! Er muss Freunde treffe dürfen, an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen, Spaß haben und Fehler machen! Du kannst ihn nicht behandeln, als sei er schon längst erwachsen, nur weil du es nicht akzeptieren kannst, dass deine Kräfte schwächer werden!"

Cathie wimmerte leise und ich drückte sie fester an mich. „Shshsh", sagte ich leise und schloss die Augen zu einem stummen Gebet, es würde aufhören.

„Gleich ist es vorbei. Sie hören gleich auf zu streiten", murmelte ich und wünschte mir so sehr, ich würde Recht haben. Aber mein Vater wurde nur noch lauter. „Mach dass sie aufhören Henry", wimmerte meine kleine Schwester und schluchzte.

„Du hast gewusst auf was du dich einlässt! Ich habe dir nie vorenthalten, wie das Leben aussehen wird und du wusstest, dass eines unserer Kinder diesem Weg folgen würde! Du hast es akzeptiert und ich werde mich von dir nicht zurechtweisen lassen, wie ich meinen Sohn zu erziehen habe!"

„Bleib hier, okay?" Ich sah Cathie an und ließ sie los. Sie nickte und kletterte auf mein Bett, wo sie sich unter der Bettdecke verstecke. So wie sie es schon als kleines Kind gemacht hatte, wenn sich unsere Eltern gestritten hatten.

Leise verließ ich mein Zimmer und folgte den lauten Stimmen meiner Eltern. Die Tür zum Wohnzimmer stand einen Spalt breit offen und ich sah meine Mutter, wütend und mit Tränen in den Augen, neben dem Sofa stehen. Meinen Vater sah ich nicht, aber ich hörte seine Stimme. Wie es schien, stand er am Kamin, den ich von hier aus nicht sehen konnte.

„Er ist auch mein Sohn! Ich habe genauso ein Recht darauf in seine Erziehung einzufließen, wie du! Ich werde nicht zusehen, wie er wegen dir seine Zukunft verbaut! Hast du ihn jemals gefragt, was er will? Hast du ihn jemals gefragt, ob er überhaupt hier bleiben will?"

„Nein, weil er keine Wahl hat! Wenn es dir nicht passt, dann ist das dein Problem, womit du klarkommen musst! Ich diskutiere nicht weiter darüber, wie ich meinen Sohn erziehe und welche Werte ich ihm vermittle. Seine oberste Priorität ist Lavandia und nichts und niemand ist wichtiger!"

Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt