25. Kapitel - Erin

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Ich lag wach in meinem Bett und fand einfach keine Ruhe. Ich wälzte mich von links nach rechts und drehte mich erst auf den Bauch und dann zurück auf den Rücken. Aber an Schlaf konnte ich nicht einmal denken.

Viel zu surreal war es, dass das heute alles wirklich passiert ist. Sobald ich die Augen auch nur für wenige Sekunden schloss, hörte ich wieder Yilva sprechen. Ich sah die vielen, verschiedenen Völker vor mir und glaubte die Wärme der untergehenden Abendsonne auf der Haut zu spüren.

Ich war eine Hüterin.

Noch immer konnte ich es nicht wirklich fassen und noch immer hatte ich Angst, jeden Moment aufzuwachen.

Die ganze Zeremonie war so unglaublich gewesen. Ich hatte in jeder Sekunde gewusst was passieren würde und was man von mir erwartete. Aber niemand hatte mich darauf vorbereiten können, was für ein unglaubliches Gefühl das alles auslöste.

Einzig meine Affinität dämpfte dieses Glücksgefühl. Von allen vier Elementen musste es ausgerechnet das Feuer sein.

„Deine Affinität hat dir einmal das Leben gerettet..."

War das der Grund, weshalb ich hier war? Hatte ich das Feuer nur überlebt, weil ich eine Affinität zu genau diesem Element hatte?

Obwohl ich gerade noch so voller Glück gewesen war, spürte ich jetzt den altbekannten Kloß in meinem Hals und konnte auch nichts dagegen tun, als eine Träne den Weg über meine Wange fand.

Dieses ätzende Gefühl von Hilflosigkeit machte sich in mir breit und ich stand auf und knipste meine Nachttischlampe an.

Das Licht erleuchtete mein Zimmer nur spärlich, aber gut genug, sodass ich einwandfrei zur Balkontür ging und sie weit öffnete.

Sofort schlug mir ein kühler Wind entgegen und zitternd atmete ich die kühle Nachtluft ein.

Mit meinen Händen stützte ich mich auf der Balkonbrüstung ab, während ich in Gedanken langsam bis einhundert zählte und dabei langsam ein- und wieder ausatmete.

Aber heute wollte es einfach nicht funktionieren.

Mit jedem Atemzug wuchs der Kloß in meinem Hals weiter und weil es mir immer schwerer fiel, in Gedanken ruhig weiterzuzählen und dabei zu atmen, merkte ich selbst, wie ich hyperventilierte.

Erst einmal hatte ich mich so hilflos gefühlt wie jetzt gerade.

Es war kurz nach dem Tod meiner Eltern gewesen, als ich im Krankenhaus aufwachte und man mir mitteilte, dass sie es nicht geschafft hatten.

Damals war allerdings sofort ein Arzt dagewesen, der mich mit Sauerstoff versorgt hatte und beruhigend auf mich eingeredet hatte.

Jetzt war ich völlig allein.

Unruhig, beinahe panisch lief ich auf dem Balkon hin und her, rang nach Luft und versuchte irgendwie mich selbst zu beruhigen.

Du kannst atmen Erin! Du kannst atmen!

Ich schluchzte und stützte mich erneut auf der Balkonbrüstung ab, während ich tief einatmete, was nur in einen erneuten Schluchzer endete.

„Erinna, ist alles..."

Ich hatte nicht mitbekommen, dass mein Onkel wieder nachhause gekommen war. Erst jetzt, als ich seine Stimme hörte, öffnete ich die Augen und sah vor dem Haus das Auto stehen.

„Es ist alles in Ordnung", sagte er und strich mir vorsichtig über den Rücken. Aber in seiner Stimme schwang genauso viel Panik mit, wie ich gerade fühlte.

„Erinna, atme okay? Langsam ein- und wieder ausatmen", sagte er und nickte, während ich zitternd Luft holte.

Ich muss ihm wirklich zugutehalten, dass er versuchte ruhiger zu sprechen und mir das Gefühl zu geben, dass alles okay war.

„Ich habe Geräusche gehört, ist alles in..."

„Hol' mir bitte ein Glas Wasser und dann mach' einen Kamillentee!"

Nach einem weiteren, zitternden Atemzug spürte ich, wie der Kloß kleiner wurde und auch, wie sich meine Atmung langsam wieder normalisierte.

Es half ungemein, dass mein Onkel neben mir stand und mir das Gefühl gab, dass ich nicht länger alleine war. Auch wenn er absolut nicht wusste, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.

„Hier..."

Mir wurde ein Glas Wasser gereicht und langsam trank ich es leer, während mein Körper sich entspannte.

Meine Atmung normalisierte sich und langsam öffnete ich auch wieder die Augen.

„Geht's wieder? Brauchst du irgendwas? Celestine macht gerade Tee und bringt ihn dann her", sagte mein Onkel und noch immer bemühte er sich ruhig zu sprechen.

Ich schluckte den letzten Rest des Kloß' hinunter und wischte mir die Reste der Tränen von den Wangen.

„Es... geht mir gut", sagte ich, auch wenn das eine absolute Lüge war. Mir ging es nicht gut. Aber ich konnte nicht in Worte fassen, was gerade passiert war.

„Bist du dir sicher? Kann ich irgendwas für dich tun?"

Ich wollte gerade antworten, als eilige Schritte zu hören waren. Ich drehte mich um und sah Celestine in mein Zimmer eilen. In der Hand hielt sie eine Tasse und obwohl sie beinahe rannte, schaffte sie es irgendwie nichts zu verschütten.

Sie trug einen rosafarbenen Morgenmantel und grellpinke Pantoffeln, die so gar nicht zu ihren sonst ehr düsteren Hausmädchenlook passen wollten.

Ihre blonden Haare hatte sie sich lediglich schnell zu einem sehr unordentlichen Dutt gebunden, sodass ihr einige Strähnen ins Gesicht fielen. Außerdem trug sie eine alte, klobige Brille, mit der ihre Augen noch größer wirkten, als sonst.

„Hier Liebes, trinken Sie etwas", sagte sie und reichte mir die Tasse, ehe sie mich langsam zurück in mein Zimmer führte und mich aufs Bett drückte, wo ich sitzen blieb.

Der Tee war kein normaler Kamillentee, sondern ich schmeckte eine leichte Baldriannote. Wahrscheinlich hatte Celestine eine Kräutermischung gemacht, sodass ich mich ein wenig beruhigen konnte.

„Brauchen Sie sonst noch etwas? Noch ein Glas Wasser?", fragte sie und ich schüttelte langsam den Kopf, während ich meinen Tee trank und dabei den Blicken von Celestine und meinem Onkel auswich.

„Bist du dir sicher, dass du nichts brauchst?", fragte er noch einmal und ich nickte.

„Ja... Tut mir leid, ich... ich wollte dich nicht erschrecken. Mir geht es wirklich gut", sagte ich ausweichend und inhalierte den letzten Rest meines Tees, ehe ich Celestine die Tasse zurück gab.

„Ich werde morgen früh Dr. Day anrufen und sie bitten, deinen Termin auf Montagnachmittag vorzuziehen. Ich wusste nicht, dass es dir so schlecht geht..."

Er sprach leise und ich vermutete, dass er seine Gedanken gar nicht laut äußern wollte. Ich sagte nichts und ich widersprach auch nicht seinem Vorschlag.

Es war wirklich an der Zeit, dass ich meine Therapie fortsetzte. Mir ging es zwar verhältnismäßig besser, als noch vor zwei Monaten, aber ich wusste, dass sich das jederzeit wieder ändern konnte.

Es hatte mit den Alpträumen angefangen und war jetzt in einer Panikattacke gegipfelt. Und ich konnte wirklich verstehen, dass mein Onkel nicht wusste, wie er damit umgehen sollte.

Ich wusste es ja selbst nicht!

„Danke...", sagte ich leise und schluckte. William seufzte.

„Ich schlage vor, dass du versuchst ein wenig zu schlafen. Wenn etwas ist, dann scheu dich nicht davor zu rufen, okay?"

Ich nickte und während er mit Celestine mein Zimmer verließ, kuschelte ich mich in meine Bettdecke und starrte aus der offenen Balkontür.

Meine Nachttischlampe ließ ich an und auch meine Zimmertür war nur angelehnt.

Und obwohl ich geglaubt hatte nicht einschlafen zu können, schaffte ich es doch irgendwie.

Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Where stories live. Discover now