13. Kapitel - Erin

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Nach der Schule ging ich mit Heather noch zu den Schließfächern, wo wir unsere Bücher wegpackten. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du Cory einen Korb gegeben hast", sagte Heather zum gefühlt einhundertsten Mal seit der Mittagspause. Ich zuckte lediglich mit den Schultern, was ich mir seit der vorletzten Stunde angeeignet hatte. Heather seufzte.

„Aber wenigstens konntest du reden. Ich glaube ich habe ihn angesehen, als sei er irgendwas Grusliges oder so..." Ich lächelte sie aufmunternd an. „Irgendwie ist er auch etwas Grusliges, findest du nicht? Ich meine, jeden Ball den er geworfen hat daneben zu werfen, ist schon schrecklich gruslig!"

Meine neue beste Freundin lachte und wir verließen das Schulgebäude. „Aber hast du gesehen, wie dich Cathie dich die restlichen Stunden angesehen hat?" Ich schnaubte belustigt. „Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wahrscheinlich um die zehnmal getötet worden", sagte ich und sah den Wagen von meinem Onkel vor dem Gelände parken. Ich seufzte.

„Ich muss los", sagte ich und umarmte Heather zum Abschied. „Bis morgen", sagte sie und ich ging auf den Wagen zu. Nathanael öffnete die Tür in genau dem Moment, wo ich vor dem Auto stand und ließ mich kurz inne halten, als ich einen Jungen auf der Rückbank sitzen sah, der gelangweilt auf sein Telefon starrte.

„Erinna, steig ein", sagte mein Onkel und sofort ließ ich mich auf den Rücksitz neben den Jungen fallen, den ich jetzt als Henry Nox identifizieren konnte. Cathies Bruder. Mein Onkel, der Henry gegenüber saß, lächelte mich an. „Wie war die Schule?", fragte er und ich schnallte mich an.

„Gut", antwortete ich und der Wagen setzte sich in Bewegung. „Erinna, das ist übrigens Henry. Henry, das ist meine Nichte Erinna", stellte mein Onkel uns vor. Henry sah mich kurz an und nickte, während ich nur kurz lächelte.

Mir brannte die Frage, weshalb Henry bei uns mitfuhr auf der Zunge. Aber ich sagte nichts, sondern sah einfach aus dem Fenster, was die ganze Situation halbwegs erträglich machte. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass immer eine peinliche Stille herrschte, wenn ich mit meinem Onkel im selben Raum war.

Bis jetzt hatten William McAlistair und ich nur das Nötigste an Sätzen miteinander gesprochen. Ein „Guten Morgen" oder ein „Hallo" waren oft die einzigen Wörter, die während einer Unterhaltung fielen. Wenn man unseren Wortaustausch als Unterhaltung betiteln konnte. Tatsächlich hatte ich mehr Worte am Stück mit einem Gnomkind gewechselt, als mit meinem eigenen Onkel. Auch wenn ich mir noch immer unsicher war, ob das gestern Abend im Garten wirklich passiert war.

Wenn ich nicht die Zeichnung hätte und an meiner Hand nicht noch immer die Kratzer von den Dornen zu sehen gewesen wären, hätte ich es als Traum abgetan. Aber diese zwei Dingen ließen mir keinen Zweifel. Gestern Abend hatte ich mit einem Gnom geredet. Einem Gnom, der normalerweise nur in Märchen und Sagen vorkommen sollte.

Das Auto kam vor dem Anwesen zum Stehen und Nathanael öffnete mir die Tür, während mein Onkel und Henry auf der anderen Seite ausstiegen. Seinen Rucksack ließ Henry im Wagen, aber eine braune Papiertüte nahm er mit und stieg die Treppe zu Eingangstür hinauf. Ich folgte ihm und gab Celestine meine Jacke, die sie mir lächelnd abnahm.

„Wie war die Schule?", fragte sie und nahm auch die Jacke von meinem Onkel entgegen, der die Treppe rauf ging. „Ganz gut. Hab einiges an Lernstoff, den ich mir noch aneignen muss, aber ich kriege das schon hin", sagte ich und Celestine lächelte. „Du bist ja auch eine intelligente, junge Frau. Möchtest du Tee?" Ich wollte gerade antworten, als die Tür zu dem kleinen Badezimmer aufging.

Henry trug statt der Schuluniform nun schlichte Kleidung in Erdtönen. Die dunkelbraune Hose erinnerte an diese Haremshosen und seine Füße steckten in dunklen Reitstiefeln. Das erste Mal betrachtete ich ihn genauer und musste feststellen, dass er wirklich attraktiv war.

Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Where stories live. Discover now