XLV. Gefangen im Keller

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Wohne von Geburt an im Keller von Stäben umgeben ein einsames Insassenleben. Es ist nicht der Fall, dass ich hier nicht raus kann, mich nie nach dem kalten Metall ersann oder wusste, wann dieses Gefühl ursprünglich begann.

Ein Gefühl von nach Hilfe schreien zu wollen, ohne Grund zu haben, über meine Not zu schmollen. Ich komme, ich gehe, es passiert eben, was geschehe, aber ich gehe wieder an altbekannten Ort zurück. Denn hier ist es sicher und ich habe ein bisschen das Gefühl von Glück, obwohl der Platz viel zu klein für mich ist, ich mich dennoch hier hinein drück.

Aber ich mag diese quetschende Enge, das Gefühl von euphemistischer Tyrannei und bekannter Zwänge. Mag den Ausblick, der sich mir erstreckt, während mich die Kälte mit trägen Witzen neckt.

Mein Blickfeld ist gestreift, ein bisschen wie Wassermelonen unter der Sonne gereift. Aber ich weiß genau, ich kann die Streifen entfernen, wenn mich doch immer mal nach draußen trau. Es wird Zeit, neue Orte kennen zu lernen, aber dennoch kehre ich stets hier wieder ein. Keine Ahnung wieso, aber gewissermaßen ist dies hier mein viel zu kleines Heim.

Wieso bin ich hier? Hier gibt nicht ein einziges Scharnier, das mich hält, maximal das eintönige Blickfeld.

Obwohl ich müde bin, auf die immer gleiche Wand zu starren, bin es irgendwie Leid, hier nach jedem Freigang erneut bis zum nächsten wie eine Stubenfliege zu verharren. Diese Enge bringt mir keine Freude, sie ist nur ein Komfort, den ich aus Kindertagen heraus zeuge. Kurz und einfach: Ich bin es gewohnt.

Ich habe mich so sehr hier nun eingequetscht, habe mich möglicherweise mit meinem Körper nur falsch gedolmetscht. Nur sprechen wir aktuell zwei verschiedene Sprachen, die äußerst seriös streitend entzweibrachen.

Denn mein Herz will hier bleiben, aber der Kopf will meinen Körper weit weg treiben. Ein anderer Ort ist nicht das Ziel, will nur weit weg von hier kommen. Die Zeit ist verronnen, wie Sonnenauf- und -untergang, dennoch hast du mir meine Freiheit genommen.

Und nun bin ich draußen, plane nicht meine Rückkehr, das sei gewiss, bin völlig auf mich allein gestellt, hier, in der Alltagswildnis. Doch da ist eine Stimme, vernebelt mir die Sinne. Sie trägt mir die eisernen Stäbe hinter her. Doch wohin ich geh, sie verfolgen mich, kreuz und quer, sogar bis zum Meer.

Hier stehe ich nun. Lausche dem Wind, der so wundersame Klänge in meine Ohren singt, das Rauschen der Wellen, das so wunderbar klingt.

Ich verharre hier, genieße den Moment, würde hier bleiben bis zum Advent, doch die Stimme hat mich eingeholt, hat mich nach ihren Wünschen wieder umgepolt.

Mein Kompass zeigte kurz gen Süden, und nun wieder gen Norden. Mit Sicherheit war dies keine meiner Plattitüden, nur mein innigster Herzenswunsch.

Aber die Stimme hörte mir nicht zu, hörte mich nicht an, horschte nur in sich selbst hinein, als wahre sie nur den Schein, als halte sie mich ganz klitzeklein. Es ist die Stimme, die mir die Gitterstäbe hinter her trägt, nicht einmal für mein Wohl meine Unabhängigkeit abwägt.

Aber sie reichte mir die Hand, ging mit mir zurück, altbekannter Blick an die Wand, aber in einem neu gekauften Gewand. Meine Sehnsucht gilt dem Sand, der zwischen meinen Zehen rieselte.

Ich bin noch nicht ganz sicher, was ich will, aber dank meines Ausflugs erscheint mir die Welt endlicher. So weiß ich doch mit Sicherheit, dass es mein Wille ist und die Zeit, die mich von den Stäben irgendwann von selbst befreit.

Bis dahin sitze ich hier, träume vom Leben, einem besseren, als dem, was ich aktuell führe. Vielleicht ist es irgendwann so weit, dass ich das Ende dieser Lebensphase feierlich zum Ruhestand kühre. Aber bis dato versuche ich mir bis zum Stichtag die Zeit zu vertreiben, jeden Tag mehr und mehr an den Stöben zu reiben, sodass sie irgendwann nur noch wie ein Pulver im Wind verwehen, genau wie der Sand zwischen meinen Zehen.

Melodien meiner GedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt