1 | Peggy Sue

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»Riesen-Ohr, schmeiß doch jetzt mal endlich die Kiste an! Es ist Feiertag!«, rufe ich ihm zu. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir hier ewig am Warten sind, nur weil er sich angeblich nicht entscheiden kann.

So ein bekloppter Blödsinn, es wird eh seine Freundin. Die anderen anwesenden Gäste würden sicherlich auch darauf wetten ... und Tempo wünschen. Also tue ich es nur zum Wohle aller. 

»Jeder Tag ist ein Feiertag, verdammte Haxe. Mach mal nicht so ein Wind, Wy.« Er dreht sich zu mir um – ich hätte es wissen müssen –, somit verharre ich in meiner Drehung. »Also stress mich nicht bei der Auswahl des Liedes«, fügt er mit erhobenem Finger an.

»Im Ernst?«, frage ich ihn, obwohl ich ihn nicht ernst nehmen kann. Niedlich sieht er ja irgendwie aus, aber mit seiner kleinen schmächtigen Statur wirken solche Bedrohungen nun nicht wirklich. Und seine Mimik ... Es ist ein Trauerspiel. Auch wenn er endlich mal Dampf in seine Stimme bringen konnte, seine Augen verraten ihn. »Du wählst doch eh wieder dasselbe aus.« Ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten, wende ich mich ab und schlendere durch meine Bar zur Theke. Die Gläser warten. Die werden ja schließlich nicht von selbst poliert.

Wer hat es gesagt?! Kurz darauf ertönt der gleiche Song, den Riesen-Ohr auch sonst beliebt an der guten alten Jukebox auszuwählen. Peggy Sue ...

Er setzt sich liebestrunken seufzend auf seinen Hintern, während er die Jukebox anhimmelt ... und ich kotze gleich bei diesem Anblick. Und wir? Wir würgen in der Zeit unseren Frust – und mehr als das – hinab. Bäh. Polieren, wie ich es auf einmal liebe.

Und definitiv nicht Peggy Sue, trällere ich gedanklich mit. Ja-a-a, ganz und gar nicht Peggy Sue ... Mmmh. Peggy Sue, komme doch nun zum Ende, Peggy Sue, ich bitte dich darum. Oh, Peggy Sue.

Mein Blick gleitet nach oben, wobei ich die geringe Anzahl meiner Gäste überschaue. Abgesehen von Riesen-Ohr sind bisher nur zwei weitere anwesend.

Die letzten gesäuselten Worte erklingen. Ich schnaufe erleichtert aus. Damit Riesen-Ohr sich ja nicht erst erhebt, um auf die Idee zu kommen, uns das noch einmal anzutun – reicht, wenn wir uns das tagtäglich einmal reinziehen müssen –, bestimme ich schnell: »Links-Auge, du bist dran mit der Auswahl.«

Während die angenehmere Melodie eines Songs von Presley – ich wusste, sie wird etwas besseres aussuchen – im Hintergrund spielt, bin ich in den letzten Zügen der Vorbereitung. Der Mixer und Shaker ist bereit, die Zutaten sind es auch – und ich sowieso.

Die Mahagoniplatte meines Tresens wische ich noch einmal ab, ziehe mir meine grüne Schürze fest und lege mir dann das Geschirrtuch über die Schulter. Mit einem Cocktail gehe ich auf meinen Gast Nummer drei zu, der am Tresen Platz genommen hat.

»Claus, ich nehme an: wie immer.« Dabei stelle ich ihm seinen Drink bereits vor die Nase ab.

»Wy, und du so charmant wie immer, he?«

»Ach Quatsch, heute halte ich mich doch noch bedeckt.« Ich komme nicht umhin zu grinsen.

»Touché.« Sein trockener Tonfall irritiert mich und lässt mein Lächeln weggaloppieren.

»Clausi, alles gut bei dir?« Ich beuge mich etwas zu ihm rüber und stütze mich auf meine Ellenbogen ab.

»So gut, wie es einem hier eben gehen kann, ne?!«

»So weit, so gut – oder vielmehr bekannt.« Ich bedenke ihn mit einem vielsagenden Blick.

»Was soll ich darauf sonst antworten?« Er dreht das Glas zwischen seinen Händen, wodurch die Eiswürfel anfangen zu klirren.

»Immerhin bist du gerade bei dir geblieben ...«, stelle ich fest. »Du hast von dir gesprochen; gefragt, was du – nicht wie sonst man – sonst antworten sollst.«

»Und davon soll ich mir jetzt was kaufen?«, fragt er zynisch nach und schwenkt das Glas auf einmal in die andere Richtung. Beinahe wäre die Flüssigkeit über den Rand geschwappt. Die Eiswürfel knallen immer deutlicher gegen das Innere des Glases. In der gleichen Hektik dehnt sich sein Bauchraum ein und aus.

Huch, was ist heute nur mit Clausi los?

»Tut mir leid«, gibt er nach einem kleinen Moment Stille von sich. Er scheint sich etwas beruhigt haben zu können. Sein Bauch droht zumindest nicht mehr gleich meine Theke zu durchbohren.

»Schon okay. Ist denn heute etwas vorgefallen?«, hake ich nach.

»Dieselbe Anzeige wie auch sonst, falls du das meinst.«

Ich nicke daraufhin. Das ist eigentlich gut, aber vielleicht fühlt er sich auch, als würde er auf der Stelle treten. Falls er noch etwas sagen oder loswerden will, wird er das schon tun. Schließlich bin ich zum Zuhören da.

Im Augenwinkel bemerke ich, wie zwei weitere meiner Stammgäste durch die grüne Tür reinflattern und die Hand zur Begrüßung heben. Ich nicke ihnen zu. Was sie trinken wollen, weiß ich.

»Ich bin hier, das weißt du ja«, lasse ich Claus wissen, bevor ich mich zwei Schritte entferne, um die Drinks für Frosty und Ein-Bein zu mixen.

Clausi murmelt noch irgendetwas, doch ich denke, es ist eher an sich selbst gerichtet, zumindest verstehe ich davon überhaupt nichts. Auch als ich ihn anblicke, macht er keine Anzeichen, dass er mir gegenüber noch etwas erwähnen mag. Daher bereite ich die Cocktails zu und bringe sie den gerade gekommenen Gästen.

»Na, ihr beiden. Wie schaut es heute aus?«

»So wie immer«, erwidert Frosty.

»Also am Frieren?« Sein Name kommt ja nicht von ungefähr. »Und wie geht es dir, Ein-Bein?«

»Wenn du den Drink abstellst, bedeutend besser.«

»Oho, seid wann bist du denn so wortgewandt?« Meine Worte könnten herabwürdigend wahrgenommen werden, doch ich bin ehrlich, schockierend, positiv überrascht.

Ihr Grinsen zeigt mir, dass sie mich genau richtig verstanden hat. Verlegen streicht sie sich eine ihrer roten Strähnen hinters Ohr.

»Ihr habt übrigens Glück. Peggy Sue lief schon.« Und wie ich merke, scheint Links-Auge gerade eine Presley-Phase durchzumachen, aber das stört mich weniger.

»Und wie geht es Riesen-Ohr gerade?«, fragt Ein-Bein mit dem Blick auf ihn gerichtet. Er sitzt nach wie vor auf dem Stuhl vor der Jukebox; von mir aus links.

Ich zucke die Achseln, doch eigentlich nicht so gut, denke ich mir. Jedoch mag er gerade nicht sprechen. »Genießt den Feiertag!«, verkünde ich daher und klopfe auf den Tisch.

»Wy, bei dir ist immer Feiertag!«, erwidern sie gleichzeitig.

Ja, na und?! Was ist daran schlimm? 

SonderbarWhere stories live. Discover now